Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Kommunen suchen neue Wege gegen die Wohnungsnot
FREIBURG/STUTTGART. Mehr Fläche geht kaum. Freiburg weist mit dem Baugebiet Dietenbach auf 107 Hektar für 7000 neue Bürger das wohl größte Wohngebiet im Land aus, allein 22 Kindertagesstätten werden dafür geplant. Die Stadt hat unter Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) ein direkt bei ihm angesiedeltes Referat für bezahlbares Wohnen gegründet. Leerstände werden gescannt, die Eigentümer erhalten eine freundliche Mail, ob die Stadt helfen kann – oder selbst bauen und vermieten.
Die Stadt setzt alle Hebel in Bewegung – im Großen wie im Kleinen. „Wir bringen das Vermieten illegaler Ferienwohnungen beim Finanzamt zur Anzeige und wir scannen Mietangebote automatisiert nach Mietwucher“, sagt der 38-jährige OB Martin Horn, der seit seiner überraschenden Wahl 2018 in Freiburg einen unkonventionellen Regierungsstil pflegt. Mehr kann eine Kommune kaum machen.
Tübingen will Verdichtung statt neuer Flächen
Und dennoch fehlen laut der Wohnbedarfsprognose 4000 Wohnungen in Freiburg. „Kaum eine Stadt steht so sehr unter Siedlungsdruck“, sagt Sebastian Ritter, der Baudezernent des Städtetags. Ähnlich weit in die Fläche geht man sonst nur noch bei der Bahnstadt in Heidelberg. Bezahlbarer Wohnraum, das ist für die Kommunen derzeit die größte Herausforderung. OB Horn drückt es so aus: „Das ist ein Kampf David gegen Goliath, und wir sind David.“
Andere Kommunen gehen einen anderen Weg – wie Tübingen. Auch dort gibt es ein eigenes Referat für Wohnungsbau, allerdings ist es beim Baubürgermeister angesiedelt. Großflächige Wohngebiete werden nicht neu ausgewiesen, stattdessen will man brach liegende Flächen aktivieren. So wird durch die neu geführte Grundsteuer C Druck auf die Eigentümer ausgeübt.
Land stockt sozialen Wohnungsbau auf
Die grün-schwarze Landesregierung plant mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau im Haushalt ein. Das Bewilligungsvolumen soll von zuletzt 427 Millionen Euro auf 463 Millionen Euro steigen. Im laufenden Jahr werde bei der Förderung bereits ein Rekordniveau erreicht, wie Bauministerin Nicole Razavi (CDU) erklärt. Die Bauminister der Länder haben allerdings vor einer zu starken Fokussierung auf den sozialen Wohnungsbau bei der Förderpolitik gewarnt. Es brauche eine neue Balance zwischen frei finanziertem und sozial gefördertem Wohnungsbau, hieß es in einem gemeinsamen Beschluss. (lsw)
„Beides ist ein gangbarer Weg vor Ort“, sagt Sebastian Ritter vom Städtetag, „man muss auf die Situationen vor Ort ganz unterschiedlich reagieren.“ Der Dachverband macht auch Druck auf das Land. „Die Weiterentwicklung des Förderprogramms zum sozialen Wohnungsbau war ein guter und wichtiger Schritt, auf dem sich das Land aber nicht ausruhen darf“, sagte Ralf Broß, der neue Geschäftsführer des Städtetags Baden-Württemberg. Man müsse die Genehmigungsverfahren verkürzen: „Und zwar nicht durch eine zeitaufwendige Änderung von Zuständigkeiten, sondern durch kluge gesetzliche Änderungen.“
Themen gibt es zuhauf: Umweltauflagen, durch Nachbarn ausgelöste Widerspruchsverfahren, Brandschutzprüfungen durch Behörden. „Wichtig ist, dass eine grundlegende Novellierung der Landesbauordnung noch in dieser Legislaturperiode angegangen wird“, so Ralf Broß.
Das Land schafft neue Instrumente für Kommunen
Auch die grün-schwarze Landesregierung hat Weichen gestellt – im Sommer wurden den Kommunen drei neue Instrumente an die Hand gegeben: Ein erweitertes Vorkaufsrecht für unbebaute Grundstücke und Befreiungsmöglichkeiten vom Bebauungsplan. Damit können zum Beispiel Aufstockungen erleichtert werden. Und auch ein Baugebot für Leerflächen. „Jede Kommune kann dabei selbst entscheiden, ob und welches der Instrumente sie nutzen möchte“, so die Bauministerin Nicole Razavi (CDU).
Es sind aber auch kluge Konzepte vor Ort gefragt. Anstatt freie Flächen an den Höchstbietenden zu verkaufen, gibt es Konzeptausschreibungen: Wer die überzeugendste Idee präsentiert, erhält den Zuschlag. „Wir ermutigen die Kommunen, nicht den Kopf in den Sand zu stecken“, sagt Sebastian Ritter vom Städtetag, „es lohnt sich, die Herkulesaufgabe anzugehen.“
Quelle/Autor: Rafael Binkowski und Philipp Rudolf