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Können die Grünen mit Özdemir gewinnen?
Stuttgart. Wenn an diesem Donnerstagabend Cem Özdemir die Ehrenbürgerwürde in seiner Heimatstadt Bad Urach verliehen wird, schließt sich der Kreis. Hier ist er vor fast 59 Jahren geboren. Und in Baden-Württemberg wird seine politische Karriere vollendet.
Es ist ein weiter Weg vom jungen Bundestagsabgeordneten, der 1994 in den Bundestag gewählt wurde und der damals revolutionären schwarz-grünen „Pizza Connection“ angehörte. Der seine deutsch-türkische Herkunft nie versteckt, thematisiert hat, ohne sie aufzudrängen. Der 2002 über die Bonusmeilen-Affäre stolperte, wiederkam und ins Europaparlament ging, zehn Jahre Grünen-Chef war und jetzt Agrarminister der Ampel.
Kann Özdemir in die großen Fußstapfen von Winfried Kretschmann treten? Das ländlich-konservative Milieu weiterhin der CDU streitig machen? „Er unternimmt alles Mögliche dafür“, sagt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft in Hohenheim. Etwa mit einem Loblied auf das Land, die Verbundenheit zur Heimat und die demonstrative Nähe zum einzigen grünen Ministerpräsidenten.
Kann Özdemir den Kretschmann-Bonus wieder erreichen?
Der Politikexperte schätzt den „Kretschmann-Bonus“ bei Landtagswahlen auf 12 bis 15 Prozent, die der grüne Regent die Partei nach oben gezogen hat. „Das ist realistisch nicht zu erreichen“, sagt Brettschneider. Zumal Özdemir als Minister stärker mit der Bundespolitik verbunden ist, und immer seinen Fokus in der internationalen Politik hatte.
Einen Kommentar zu Özdemirs Kandidatur lest ihr hier.
Dennoch schätzt der Freiburger Politikwissenschaftler Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung: „Wenn es einer für die Grünen schaffen kann, dann er.“ Der 58-Jährige stehe für den realpolitischen Kurs der Partei. Es gelte nun, dem Land eine „positive Zukunftserzählung“ zu vermitteln, die mit den Kompetenzen der Grünen verbunden sei. Wehner rät zur Kärrnertour: „Händeschütteln, eine „24/7-Präsenz bei Unternehmen und wichtigen zivilgesellschaftlichen Gruppen.“ Dass Özdemir seine Kandidatur nicht per Pressekonferenz, sondern auf Instagram und per Mail bekannt gegeben hat, verwundert Wehner: „Das inszeniert man doch mit einem großen Auftritt.“ Im Grünen-Lager verweist man auf soziale Medien als modernes Format. Vielleicht wollte man auch die Regierungsarbeit von Grün-Schwarz des noch bis Frühjahr 2026 amtierenden Kretschmann nicht allzu offensiv überlagern.
Die Grünen liegen aktuell bei 18 Prozent
Die aktuellen Umfragen vom BW-Trend sehen die Grünen bei 18 und die CDU bei 34 Prozent. Ist das überhaupt noch aufzuholen? Die Experten sind sich einig. „Das wird sehr schwierig“, sagt Frank Brettschneider. Doch die Parteibindung nimmt ab, die Zahl der späten Entscheider nimmt zu, und die Bundestagswahl 2021 hat gezeigt, wie schnell sich der Wind drehen kann. „Wenn ein Kanzler Friedrich Merz in Berlin unpopuläre Entscheidungen trifft, könnte die Landtagswahl 2026 die erste Gelegenheit werden, einen Denkzettel zu verpassen“, sagt Michael Wehner. Daher rät auch Frank Brettschneider: „Nerven und Zuversicht bewahren.“
Interessant ist, wie der voraussichtliche CDU-Spitzenkandidat Manuel Hagel auf die Kandidatur von Cem Özdemir reagiert: nämlich gar nicht. Kein Statement, keine Erwähnung, der sonst auf Dauersendung gestellte Instagram-Kanal bleibt stumm. Die CDU-Generalsekretärin Nina Warken gibt die Wadenbeißerin und ätzt über „Zögern und Zaudern“.
Eine Bildergalerie zu Özdemirs Karriere finden Sie hier.
Der CDU-Kandidat äußert sich nicht zum Kontrahenten
Ist die Zurückhaltung Strategie? Das vermutet Michael Wehner: „Hagel sieht sich als legitimer Amtsnachfolger von Winfried Kretschmann.“ Der 35-Jährige ist laut Umfragen weitgehend unbekannt im Land, Brettschneider lobt aber: „Er hat es geschafft, aus der CDU eine einige Truppe zu schmieden, die in der Koalition Streitpunkte konstruktiv löst.“ So entziehen sich beide Kontrahenten um die Kretschmann-Nachfolge erst einmal fast ganz der Öffentlichkeit. Özdemir gibt einigen ausgewählten Medien Interviews, die Süddeutsche Zeitung befragt beide am 20. November in Stuttgart – nacheinander.
Das Fernduell quer durch den Südwesten ist eröffnet
Es ist ein Fernduell, Hagel und Özdemir touren ab sofort unermüdlich durchs Land. Und natürlich werden die Medienvertreter auf jede Äußerung, jede Nuance, jeden Wimpernschlag protokollieren.
In Bad Urach wird Cem Özdemir am Donnerstag erstmal seine ehemalige Schule besuchen, die treffenderweise „Grünes Herz“ heißt. Und die ehemalige Nachhilfelehrerin an der Geschwister-Scholl-Realschule wird die Laudatio halten. Der Wahlkampf wird dann vielleicht zum letzten Mal bei einem öffentlichen Özdemir-Termin ganz weit weg sein.