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Essay

Kleine Fische, große Haie, brave Steuerbeamte

Weshalb es sinnvoller wäre, wenn sich der Fokus stärker auf internationale Finanzbetrüger richtete, erläutert Michael Schwarz in seinem Essay.

Sein Agieren im Cum-Ex-Skandal hat Kanzler Scholz eine Menge Glaubwürdigkeit gekostet.

dpa/Pressebildagentur ULMER)

Als Anne Brorhilker, Leiterin der Hauptabteilung für die Ermittlungen im Steuerskandal Cum-Ex, im April ihren Job hinschmiss, teilte sie heftig gegen die Politik aus. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Die Justiz sei viel zu schwach aufgestellt. Beschuldigte könnte sich oft aus Verfahren einfach herauskaufen.

Die Kritik traf auch deshalb ins Mark, weil sie ein weit verbreitetes Vorurteil bestätigte: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Dazu schien zu passen, dass der Kanzler sich im Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss auf angebliche Erinnerungslücken berief. Oder dass Ex-Warburg-Chef Christian Olerarius, mit dem sich Scholz wiederholt traf, mit einer Einstellung des Verfahrens wegkam und anschließend die Chuzpe hatte, auch noch Brorhilker anzuzeigen, weil sie ihn angeblich unfair behandelt hatte.

So läuft der Hase also, denkt man und macht sich gleichzeitig Gedanken, wie man die eigene Steuerschuld mindern kann. Und stellt dann fest, dass dies gar nicht so einfach ist, weil das Steuerzahlen bei abhängig Beschäftigten – und das ist die große Mehrheit – automatisch passiert. Man sieht das Geld überhaupt nicht, es wandert direkt ans Finanzamt. Und man kann nur hoffen, dass man einen Teil davon bei der Steuererklärung zurückbekommt. Wer neben seinem Gehalt andere bedeutende Einnahmequellen hat, wird auch da noch einmal zur Kasse gebeten.

Nein, es bereitet keine Freude, Steuern zu zahlen. Vor allem, wenn man den Eindruck hat, dass andere alle legalen und illegalen Steuerschlupflöcher nutzen. Insofern ist es schon erstaunlich, dass die fehlende Steuergerechtigkeit so einfach hingenommen wird. Vielleicht liegt das auch daran, dass nicht jeder einen Traktor besitzt. Und auch nicht jeder die Zeit, vor dem Reichstag und dem Kanzleramt zu demonstrieren. Was im Übrigen auch etwas über das Timing der Ampel aussagt: Wie kann man bloß so blöd sein, die Bauern gegen sich aufzubringen, nachdem sie die Ernte eingebracht haben?

Ein Grund für die Genügsamkeit des deutschen Steuerzahlers besteht aber auch darin, dass sein Gegenüber, der deutsche Steuerbeamte, als grundanständig und unbestechlich gilt. Und dass der Freund, Nachbar oder Arbeitskollege, mit dem man sich vergleicht, in der Regel auch über keine Kontakte zur internationalen Finanzmafia verfügt.

Trotzdem wäre es doch schön, wenn sich diese Staatsbediensteten nicht nur um kleine Fische kümmern würden. Es mag ja sein, dass viele Putzfrauen und 24-Stunden-Pflegekräfte nicht korrekt versteuert werden. Doch für den Fiskus würde es mehr bringen, wenn jenen das Handwerk gelegt wird, die Milliarden am Fiskus vorbeijonglieren.

Wenn man gleichzeitig bedenkt, dass in den kommenden Jahren die Babyboomer in den Ruhestand gehen und die Stellen schon heute nicht mehr vollständig besetzt, führt an einer Neuorientierung kein Weg mehr vorbei. Der Fokus muss weggehen vom abhängig Beschäftigten.

Das wird zu neuen Unwuchten führen. Wer clever genug ist, wird auch als „Normalsterblicher“ Wege finden, das Finanzamt zu prellen. Schon heute hat man als Steuerzahler oft den Eindruck, dass nicht mehr so genau hingeschaut wird, dass fehlende Unterlagen seltener nachgefordert werden. Doch das kann man vielleicht auch als Zugewinn an Freiheit interpretieren.

Doch wie bringt man die Finanzbehörden dazu, sich neu zu orientieren? Schließlich ist der Kampf gegen die Großbetrüger eine ganz andere Nummer. Eine Idee wäre, Routinearbeiten noch mehr als heute vom Kollegen Computer erledigen zu lassen. KI könnte dabei helfen, eine Veranlagung von Amts wegen auch – dann müssten Steuerzahler, die nur von dem leben, was ihnen ihr Arbeitgeber monatlich überweist, gar keine Steuererklärung mehr abgeben. Eine andere wäre, die Beamten so gut zu besolden, dass sie nicht mehr scharenweise auf die andere Seite wechseln – zu den deutlich besser honorierten Steuerberatern.

Völlige Waffengleichheit wird es jedoch nie geben. Die Trickser werden immer die Nase vorn haben. Die Frage ist nur, wie viel Vorsprung man ihnen lässt. Und da stellt sich wieder die Frage, wie glaubwürdig die Politik agiert. Wenn Olaf Scholz sich einen schlanken Fuß macht, wenn die Steuerfahnder nicht über die nötige Rückendeckung verfügen, dann macht das nicht nur den Fiskus arm, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit des Staates.

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