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Bildungsreform

Ist die Realschule auf dem Abstellgleis?

Der Realschulverband schlägt Alarm. Die geplante Rückkehr zum G9 als Regelform beeinträchtigt nach Ansicht der Landes- wie des Bundesvorsitzenden andere Schularten. Dabei seien Realschulen im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg besonders wichtig.

Potenzialtests auch für die Realschule fordert ein Lehrerverband. Foto: IMAGO/Panthermedia

Kzenon via imago-images.de)

Stuttgart. Mitunter wütend, mitunter fast verzweifelt wirkte Karin Broszat, Landesvorsitzende des Realschullehrverbands (RLV), als sie vorige Woche in der Landeshauptstadt in einer Pressekonferenz vor den Gefahren für ihre Schulart durch die geplante Bildungsreform der grün-schwarzen Landesregierung warnte. Auch der Bundesvorsitzende des Verbands, Ralf Neugschwender, war nach Stuttgart gekommen, um ihr den Rücken zu stärken. Warum das?

Baden-Württemberg drohe die Mitte zu verlieren, meint Broszat. Die mittlere Bildungsebene, eben die Realschule, würde durch die Bildungspolitik seit Jahren geschwächt. Dabei sei der Realschulabschluss die Basis für die duale Berufsausbildung und das Handwerk, mithin das Rückgrat der mittelständisch geprägten Wirtschaft. Doch eine verbindlichere Grundschulempfehlung mit Potenzialtest sei allein für Gymnasien geplant. Broszat fordert das auch für die Realschule. Das sei eine „völlig logische und kostenneutrale Regelung“.

Der Philologenverband unterstützt das Anliegen der Realschullehrer

Die geplante Verkürzung der Orientierungsstufe auf ein Jahr verunsichere Schüler; „etwas Unpädagogischeres gibt es kaum“, so Broszat. Und die verbliebenen Haupt- und Werkrealschulen müssten gestärkt und profiliert werden, um weiterhin als dritte Säule funktionieren zu können. Diese alle in Verbünde mit den Realschulen zu treiben, schaffe „ein riesiges Organisationschaos“ . Es gehe um „pädagogisch sinnvolle und leistungsgerechte Differenzierung“.

Der Philologenverband Baden-Württemberg, Interessenvertretung der Gymnasiallehrer, ist an der Seite des RLV. Es sei „pädagogisch in einem mehrgliedrigen Schulsystem nicht begründbar“, heißt es in einer Mitteilung, warum eine aussagekräftige Grundschulempfehlung nicht auch für andere weiterführende Schularten gelten solle.

In der Politik ist vor allem die FDP ganz auf Linie des RLV und des Philologenverbands. Laut Timm Kern, Bildungsexperte der Fraktion, „muss die verbindliche Grundschulempfehlung für alle weiterführenden Schularten – also auch die Realschulen – gelten.“

CDU-Bildungsexperte kann die Kritik nicht nachvollziehen

Kern wirft den Grünen vor, „ihre eigene Bildungsideologie durchzusetzen und die Gemeinschaftsschulen einseitig zu stärken“. Man werde deshalb darauf achtgeben, „dass die Grünen die Umsetzung des neunjährigen Gymnasiums nicht dazu ausnutzen, die zweite Säule des Bildungssystems zu vereinheitlichen und damit die Schularten der Haupt-, Werkreal- und Realschulen in ihrer Eigenständigkeit, ja gar Existenz zu gefährden.“ Deren Koalitionspartner in der Landesregierung, der CDU, wirft  Broszat „Kleinmut“ vor. 

Der CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Sturm, wie Kern auch früher Lehrer, zeigt sich irritiert von der Kritik des Realschullehrerverbands.

„Ich sehe in der Sache eine sehr große Schnittmenge mit dem Realschullehrerverband“, sagte er dem Staatsanzeiger. „Uns ist die Stärkung und eine Zukunftsgarantie für die Realschulen wichtig, deshalb haben wir innerhalb der Koalition  die Situation für die Realschulen verbessert und diese als eigenständige Schulart bewahrt.“  Und: „Gerade die Verkürzung der Orientierungsstufe in der Realschule von zwei Jahren auf ein Jahr war ein immer wieder artikulierter Wunsch aus der Praxis.“ Die derzeit 70 Realschulverbünde seien „ein Erfolgsmodell“, so Sturm. „Diese wollen wir ausbauen, wenn sie vor Ort gewünscht sind.“

Für den Landeselternbeirat sind die RLV-Forderungen unrealistisch

unrealistischDer Landeselternbeirat (LEB) hat schon durch seine paritätische Zusammensetzung die Interessen aller Schularten im Blick. Sein Vorsitzender Sebastian Kölsch kann den Wunsch der Realschullehrer nach klarerer Profilierung ihrer Schulart nachvollziehen. Der LEB teile ihn und habe daher Ende 2023 eigene Vorschläge dazu unterbreitet.

Doch nun sei die Lage durch den Bildungsreform-Kompromiss, auch wenn er nicht gut sei, in der Koalition eine andere, die Werkrealschule mittelfristig wohl ein Auslaufmodell. Vor Jahren sei das auf den Hauptschulabschluss hin ausgerichtete Grundlegende Niveau auch an den Realschulen auf deren eigenen Wunsch eingeführt worden, um deren Zukunft zu sichern.

Wolle man eine Grundschulempfehlung dezidiert auch für Realschulen, müsse man dort das G-Niveau wieder abschaffen und in der Fläche dafür sorgen, dass es überall eine Hauptschule und eine Werkrealschule gebe. Die Wünsche des RLV gingen daher „an der Realität des Möglichen komplett vorbei“.

Die Orientierungsstufe

Der Begriff Orientierungsstufe verweist auf die angestrebte Durchlässigkeit im Schulsystem am Übergang zur Sekundarstufe. Die Orientierungsstufe bildet die Klassenstufen 5 und 6 der jeweiligen Schulart ab. Durch Förderung und Beobachtung der Schüler soll die Grundschulempfehlung bestätigt oder eben korrigiert werden. In der Orientierungsstufe findet eine Binnendifferenzierung statt. Seit 2017 ist die Notengebung in der Orientierungsstufe ausschließlich am mittleren Niveau ausgerichtet, das zum Realschulabschluss führt. Nach der Orientierungsstufe führen die Realschulen gemäß Leistungsfähigkeit Schüler gezielt zum Hauptschul- beziehungsweise Realschulabschluss.

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