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Fünf Fraktionschefs - fünf Perspektiven

Hans-Ulrich Rülke: „Wir müssen Fracking vorurteilsfrei prüfen“

Er setzt auf Kernkraft, Fracking und Öl statt Gas. Hans-Ulrich Rülke fordert angesichts der drohenden Energiekrise einen radikalen Kurswechsel – zumindest für diesen Winter. Auch für den Verbrennungsmotor sieht er eine Zukunft.

Schon heute wird in Deutschland Erdgas gefördert. Allerdings könnten die meisten Vorkommen nur durch Fracking ausgebeutet werden.

Exxon Mobil )

Staatsanzeiger: Die Zahlen steigen wieder. Ist Deutschland auf den dritten Corona-Herbst gut vorbereitet?

Hans-Ulrich Rülke: Deutschland sehe ich auf eine endemische Variante wie Omikron gut vorbereitet. Sollte es zu einer dramatischeren, mit Delta vergleichbaren Variante kommen, sind wir nicht so gut vorbereitet. Aber es ist auch schwierig, sich auf eine Variante vorzubereiten, die man nicht kennt. Gegebenenfalls müssen sich Maßnahmen daran orientieren.

Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionsvorsitzender

Corona ist auch für das Land ein zentrales Thema. Macht der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg einen guten Job?

Nein, Herr Lucha macht keinen guten Job. Er hat verschiedene Dinge in den Sand gesetzt. Erstens das Anmeldesystem zur Corona-Impfung. Er hat ja selber zugegeben, dass das von ihm etablierte Buchungssystem gescheitert ist. Herr Lucha hat unterschiedliche Regelungen wieder zurücknehmen müssen, beispielsweise im vergangenen Herbst, als er übers Wochenende drei Mal die 2G-plus-Regel für die Gastronomie geändert hat. Zahlreiche seiner Verordnungen wurden von Gerichten wieder einkassiert. Dass er einen guten Job macht, glaubt er wahrscheinlich selber nicht.

Lesen Sie alle Debatten des Landtag auf unserer Themenseite „Debatten im Landtag“.

Damit könnte sich ja die neue Enquetekommission befassen.

Die Regierungsfraktionen haben verhindert, dass sich die Enquetekommission mit dem Corona-Management von Herrn Lucha befasst. Sicherlich aus guten Gründen…

Erwarten Sie vom Untersuchungsausschuss, der Licht in die Affäre um den Inspekteur der Polizei bringen soll, neue Erkenntnisse über Herrn Strobl?

Das, was über Herrn Strobl noch nicht bekannt ist, wird wahrscheinlich der Untersuchungsausschuss zutage fördern. Aber schon heute ist eines klar: Innenminister Strobl hätte längst zurücktreten müssen. Immerhin ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Wir haben nicht nur ein Corona-, sondern auch ein Energieproblem. Wie steht Baden-Württemberg in dieser Hinsicht da?

Schlecht. Wir brauchen, um Gas zu sparen, das wir im Moment verstromen, eine Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerks Neckarwestheim II. Wir brauchen außerdem eine vorurteilsfreie Prüfung von Fracking, denn wir haben selber im erheblichem Umfang Gasreserven, die man gegebenenfalls fördern könnte. Und wir müssen es rasch ermöglichen, dass Gaskraftwerke auf Öl umgestellt werden können.

Der neue VW-Chef spricht sich für synthetische Kraftstoffe aus. Finden Sie E-Fuels auch super?

Das ist in der Tat eine zentrale Frage, die ich schon im Wahlkampf 2020/2021 thematisiert habe. Wie schaffen wir es, die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie in Baden-Württemberg zu erhalten und gleichzeitig etwas für den Klimaschutz zu tun? Das geht nur mit synthetischen Kraftstoffen.

Ist demzufolge der Abschied vom Verbrennungsmotor 2035 falsch?

Grundfalsch! Erstens, weil wir völlig abhängig werden von China, das 65 Prozent der Komponenten und Rohstoffe für die batterieelektrische Mobilität liefert. Zweitens, weil viele Arbeitsplätze in der hiesigen Automobil- und Zuliefererindustrie verloren gehen. Und drittens, weil wir das Klima so nicht schützen können: Wenn wir 2035 in Europa aus der Verbrennungstechnik aussteigen, wird es weltweit noch über eine Milliarde Verbrenner geben. Und entweder werden sie klimafreundlich mit E-Fuels betrieben, oder wir fangen mit dem Kampf gegen den Klimawandel erst Ende des Jahrhunderts an, weil die Bestandsflotte international bis dann weiterhin mit Benzin und Diesel fährt.

Grün-Schwarz streitet über Klimaziele, Atomkraft, Schuldenbremse. In Berlin tut das die Ampel. Was wäre eigentlich besser, wenn es bei uns auch eine Ampel gäbe?

Es würde dann vermutlich eine Landesregierung geben, die nicht zu 100 Prozent das grüne Programm umsetzen würde, sondern zu einem erheblichen Anteil auch SPD- und FDP-Programmatik.

Da passt aber einiges nicht zusammen.

Eine Koalition ist ja keine Liebesheirat. Wenn die Wähler unterschiedlichen Parteien einen Regierungsauftrag geben, ist es Aufgabe einer Koalition, zu Kompromissen zu kommen.

Das dürften Herr Kretschmann und Herr Strobl, was Grün-Schwarz angeht, ähnlich sehen.

Nein. Es gibt ja dort keine Kompromisse, sondern nur 100 Prozent grün. Das zeigt schon der Koalitionsvertrag.

Der Koalitionsvertrag ist das eine, die Umsetzung das andere. Im Moment ist ja, Stichwort Klimaschutzvertrag, eine Menge Sand im Getriebe.

Dass es in dieser Regierung Sand im Getriebe gibt, kann ich bestätigen. Das heißt aber nicht, dass nun plötzlich CDU-Inhalte durchgesetzt würden.

Der Vorsitzende des Philologenverbands fordert die Rückkehr zum Leistungsprinzip in den Schulen und den Abschied vom Prinzip des Nicht-Beschämens. Liegt Ralf Scholl da richtig?

Der Begriff des Nicht-Beschämens stammt ja vom Gemeinschaftsschulverband. Dort wird behauptet, Notengebung sei ein Beschämen der Schüler. Herr Scholl sagt: Notengebung ist notwendig, um Schülern eine Rückmeldung darüber zu geben, was sie leisten. Und Kinder wollen durchaus auch im Wettbewerb zueinander stehen. Ich sehe das genauso. Ich halte nichts von Schule ohne Noten. Verbale Beurteilungen, in denen keine Kritik stehen darf, erfüllen diesen Zweck nicht.

Wie beurteilen Sie insgesamt die Politik der neuen Kultusministerin?

Die neue Kultusministerin bemüht sich, das Wenige, was Frau Eisenmann richtiggemacht hat, wieder rückabzuwickeln. Ein Beispiel habe ich schon genannt. Das zweite Beispiel ist der Versuch, das Abitur immer leichter zu machen. Das dritte Beispiel ist ihr Kampf gegen die Realschule, der nun nicht einmal mehr ein eigenständiges Referat im Kultusministerium zugeordnet ist. Das ist ein Anschlag auf das duale System, denn ohne Realschule auch keine duale Ausbildung.

Wir dachten ja, dass „Brüllke“ von gestern sei. Und dann ziehen Sie so über Greta her, dass Sie der Landeschef des CDU-Sozialflügels als AfD-Klon bezeichnet. Ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten?

Ich habe nicht die Absicht, mich mit Leuten aus der sechsten oder siebten Reihe der CDU auseinanderzusetzen. Und was Greta Thunberg anlangt, halte ich sie für einen Menschen, den man kritisieren darf – und nicht für eine Gottheit, zu der man beten muss.

Fünf Fraktionschefs – fünf Perspektiven

Gewohnt schlagfertig antwortet Hans-Ulrich Rülke, ob es nun nach seinem Facebook-Post zu Greta Thunberg geht oder um Mitglieder der Landesregierung, die er auf dem Kieker hat. Der Chef der FDP im Landtag von Baden-Württemberg ist der dritte Fraktionsvorsitzende, der dem Staatsanzeiger ein Sommerinterview gibt.

Rülke ist ein alter Hase: Er leitet die Liberalen im Landtag seit 2009, also länger, als Winfried Kretschmann (Grüne) das Land regiert. In einer Woche stellt Bernd Gögel (AfD) sich unseren Fragen.

Sommerinterviews

Der Staatsanzeiger will von allen fünf Fraktionsvorsitzenden wissen, wie sie die Landes- und die Bundespolitik beurteilen. Lesen Sie alle Sommerinterviews!

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