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Grünen-Politiker Tayfun Tok: Der Cousin seiner Frau starb beim Erdbeben in der Türkei
STUTTGART. Das Dach steht noch, gestützt von einem schiefen Pfeiler aus Holz, der seltsamerweise das Erdbeben überstand. Darunter jedoch das nackte Grauen: Die Wand hat sich in nichts aufgelöst, die Backsteine sind über den Abhang verstreut, der in eine Wiese übergeht. Überall Schnee, der so bald nicht schmelzen dürfte: Schließlich ist für kommende Woche Dauerfrost angesagt.
2400 Kilometer trennen Göksun in der Osttürkei von Murr an der Murr im Landkreis Ludwigsburg. Dort lebt Tayfun Tok, einziger türkischstämmiger Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg (daneben gibt es vier Parlamentarierinnen mit türkischen Wurzeln, allesamt Grüne, darunter Landtagspräsidentin Muhterem Aras).
Tayfun Tok ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag.
Der Grüne gehört der dritten Einwanderergeneration an. Einmal hat er seinen Opa in Kappadokien besucht. Ansonsten war das Land seiner Vorfahren stets weit weg. Das hat sich am Montag geändert. Da bebte die Erde, und der Cousin seiner Frau starb in seinem Haus in Göksun. Das Bild hat Tok auf seinem Handy. Weitere Neuigkeiten von den Verwandten gibt es nicht.
1986 wurde Tok in Ludwigsburg geboren. Aufgewachsen ist er in Steinheim und Murr. Politisiert hat ihn der 11. September. „Da wurde im Namen meiner Religion gemordet. Da wollte ich ein Zeichen setzen.“
Er ging zu den Grünen, „weil sie nicht gefragt haben, woher ich komme, sondern wohin ich will“. Und er lernte dort Danyal Bayaz kennen, der heute Finanzminister ist und mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Tok bezeichnet den drei Jahre Älteren als sein Vorbild. Weil Bayaz wie Tok einen Weg gegangen ist, der für Menschen mit türkischen Wurzeln nicht vorgezeichnet schien, als sein Opa, ein Ziegenhirte, nach Almanya kam: Abitur, Studium und der Weg in die Politik.
Drei Fragen…
Was unterscheidet Sie von der Generation der Gastarbeiter?
Ein neues politisches Geschäftsmodell: Wir emanzipieren uns von unserer Herkunft. Die dritte Generation tickt so wie Danyal Bayaz und ich.
Fühlen Sie sich als Türke oder als Deutscher?
Ich bin deutscher Staatsbürger und trage Verantwortung für die Menschen aus meiner Heimat.
Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei bewegt auch die Deutschen.
Was mich beeindruckt, ist die Welle der Solidarität in Deutschland. Da wird einem warm ums Herz. Die deutsch-türkische Freundschaft lebt. Man hat schnell reagiert. Das war ein wichtiges Zeichen für die türkische Community, die sich sonst oft als Menschen zweiter Klasse fühlt.