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Grünen-Landesparteitag Kehl: Ein Drittel der Delegierten kritisieren Asylpolitik
STUTTGART. Immerhin ein Drittel der Delegierten, die am Samstag zum Landesparteitag der Grünen in Kehl angereist waren, ist mit dem Kurs der Parteiführung in der Asylpolitik nicht einverstanden. Eine Grundsatzdebatte allerdings wurde vor der geheimen Abstimmung über den Leitantrag des Landesvorstands nicht geführt. Die Widersprüche bleiben.
Diesmal war Harmonie wichtiger als die Klärung grundsätzlicher Fragen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die beiden Landesvorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller verteidigten die Kompromisslinie, wonach die Verschärfungen auf europäischer Ebene noch einmal auf den Prüfstand müssen. Parteilinke und die Grüne Jugend bleiben bei ihrer ablehnenden Haltung. Denn die von den EU-Innenministern beschlossenen Verfahren und Lager an den Außengrenzen seien weder mit dem Grundsatzprogramm der Partei noch mit Wahlversprechen und dem Koalitionsvertrag der Berliner Ampelregierung vereinbar.
Schüler meldet sich zu Wort
Die einzige Wortmeldung vor der Schlussabstimmung bleibt einem Freiburger Schüler vorbehalten, der erst kurz zuvor am Landtagswettbewerb „Jugend debattiert“ teilnahm. Der Neuntklässler Taha Falahati vom Goethe-Gymnasium in Freiburg legt los, ohne Manuskript und ohne Zettelkasten: „Dieser Antrag wird den multiplen Krisen, die wir als Europäische Union haben, nicht gerecht, weil er von Ordnung an den Außengrenzen schwadroniert in einer Situation, in der es Humanität braucht.“ Konservativer Sprech „wird uns in dieser Situation nicht weiterbringen“, schreibt er seiner Partei ins Stammbuch und beklagt, dass nur an die eigenen privilegierten Visionen gedacht worden sei und nicht an jene, „die jetzt in unseren blutgetränkten Meeren herumtreiben, an die Menschen, die sterben, weil wir es zulassen“. Plötzlich ist es still im Saal, am Ende gibt es höflichen Applaus. Kurz darauf nimmt der Parteitag den Leitantrag mit großer Mehrheit an. Im Foyer steht Falahati und ist umringt von Unterstützern. „Mehr war nicht drin“, sagt einer, „aber wir haben es versucht.“
Einer hätte jeden Beifall bestimmt verweigert, wie zuvor schon nach der vielbeklatschen Rede von Aya Krkoutli. Mit versteinerter Miene verfolgte der Ministerpräsident den Auftritt der Landessprecherin der Grünen Jugend, die selber 2013 mit ihrer Familie aus Syrien geflohen war. Krkoutli kritisierte die Zustimmung zum EU-Kompromiss scharf. Doch sie verzichtete auf persönliche Angriffe gegen Kretschmann wegen seiner zuvor gemachten Äußerung, in den Grenzlagern herrschten keine haftähnliche Bedingungen, weil Geflüchtete ja jederzeit zurückkehren könnten in die alte Heimat. „Flucht ist keine Abenteuerreise“, so Krkoutli.
Raus aus der Komfortzone
Zu Beginn des Treffens hatte Kretschmann von der Partei verlangt, sich „aus der Komfortzone“ zu bewegen. Es gelte nicht nur an eigene Gesinnung zu denken, sondern auch an die praktischen Folgen von Politik. Die Beurteilung der EU-Einigung müsse sich an der Frage orientieren: „Haut’s Europa an der Stelle richtig auseinander oder findet man wenigstens einen Minimalkompromiss?“
Draußen im Foyer, in der Schlange vor dem Food-Truck wurde darüber diskutiert, wie sich die Regierungen von Polen und Ungarn tags zuvor in Brüssel eben jenem Minimalkompromiss verweigert hätten. Lena Schwelling versucht noch einmal zu erklären, dass es für andere Vereinbarungen einfach keine Mehrheiten gebe: „Wir können uns das Europa nicht aussuchen, zu dem wir uns so leidenschaftlich bekennen, denn es gibt nur das eine.“
Nachmittags werden dann die EU-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg und Michael Bloss mit den notwendigen Voten für aussichtsreiche Listenplätze bei der Europawahl im nächsten Juni ausgestattet. Beide stehen jetzt mit in der Verantwortung, für ihre Verhandlungen zu führen und Nachbesserungen durchzusetzen. Bloss, ebenfalls ein Kritiker der Luxemburger Vereinbarung, hatte allerdings im Vorfeld auf die aktuellen Mehrheitsverhältnisse hingewiesen: Die Grünen stellen nur 72 der 705 Abgeordneten zum Europäischen Parlament.
Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer