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Geht Hege und Pflege nur mit Jagen und Töten?
Stuttgart. „Jagd ist Mord“, steht auf einem Plakat, mit dem Peta „stoppt Tierquälerei“ fordert. Über 400 000 Hobbyjäger erlegen in Deutschland jedes Jahr mehr als fünf Millionen Wildtiere, hat die Tierschutzorganisation errechnet. Privatpersonen mit Jagdschein dürfen in ihrer Freizeit anlegen und abschießen. Muss das sein? Braucht es die Jagd noch?
René Greiner und Peter Höffken könnten nicht unterschiedlicher in ihrer Meinung dazu sein. Und doch lassen sich der Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbands Baden-Württemberg und der Peta-Referent auf ein Streitgespräch ein, draußen im Wald, wo beide gern und oft sind. Greiner ist Landschaftsökologe, kennt sich aus mit Forst und Wild und ist seit 2011 selbst Jäger. Höffken hat unter anderem Agrarwissenschaften und Zoologie im Nebenfach studiert und sieht sich bei Peta seit 13 Jahren in der Pflicht, auf „das Interesse der Tiere auf Unversehrtheit“ zu pochen.
Wir laufen in den Wald, das Schloss Solitude am Rand von Stuttgart im Rücken. René Greiner hat seinen Dackel dabei, der brav an der Leine mittrottet. Andere Tiere bekommen wir kaum zu Gesicht. Wildtiere gibt es aber, widerspricht er der Aussage von Peter Höffken, der Jagddruck verscheuche die Tiere. So ein stadtnaher Wald werde auf den Hauptrouten eben auch nachts genutzt. Das beeinflusst das Verhalten der Tiere und erlaube keine intensive Jagd.
Liest man Argumente für oder gegen die Jagd, dominieren Vorwurf und Verteidigung. Beide Männer finden es gut, dass sie miteinander sprechen. Doch sie kommen in der dreistündigen Diskussion nur schwer aus ihrer Ecke. „Bei Jägern geht es auch ums Machtgefühl, über Leben und Tod zu entscheiden“, meint Peter Höffken. „Jagdverbände sind anerkannte Naturschutzverbände“, kontert René Greiner. „Naturschutz geht auch ohne Töten“, hält Höffken entgegen. Dass mit dem Kick beim Töten würde ja keiner in die Kamera sagen.
Bedrohte Arten und ihre Lebensräume schützen
René Greiner gibt zu, dass er bei der Jagd natürlich die Absicht habe, Beute zu machen. Aber nicht aus Spaß am Töten, sondern um sie zu nutzen, wenn es der Bestand hergibt. Er esse nur Fleisch, wenn er weiß, wo es herkommt und es artgerecht leben konnte. Massentierhaltung funktioniere nur noch, weil die Leute so kolossal weit weg vom Tier sind. „Wir leben in einer Gesellschaft mit steigendem Umweltbewusstsein bei gleichzeitiger Naturentfremdung. Da ist Jagd eine Antwort für mich. “
Auftrag und Leidenschaft, „da steckt beides drin“, verweist er mit ruhiger Stimme auf den Slogan seines Landesjagdverbands. Nicht die Leidenschaft, explizit Tiere zu töten, sondern sie in Wald und Feld zu erleben. Verbunden mit dem Auftrag, bedrohte Arten und ihre Lebensräume zu schützen. Rebhuhn, Feldlerche oder Kiebitz hätten ohne Jagd auf Fuchs oder Steinmarder keine Chance mehr. „Das ist sicher der strittigste Punkt zwischen uns“, weiß er.
Wildbret soll das ethischere Fleisch sein? „Kein Mensch braucht Fleisch. Also muss auch kein Tier sterben, damit der Mensch satt wird“, schimpft Peter Höffken. Abgesehen davon sei das Leid auch bei der Jagd immens. Ein Schuss und tot sei Mythos. Gerade bei Treib- oder Drückjagden würden bis zu zwei Drittel der Tiere nicht sofort, sondern oft qualvoll sterben.
Peter Höffken würde die Jagd am liebsten komplett einstellen
Doch was ist so verwerflich an der Jagd, wenn täglich Millionen Tiere nach teils grausamen Haltungsbedingungen geschlachtet werden? Für den Peta-Vertreter ist das kein Unterschied. „Das Tier ist in beiden Fällen einen gewaltsamen Tod gestorben. Das wünscht sich kein Lebewesen. Wir muten es den Tieren trotzdem zu.“
Es sei alles andere als ethisch, ein fühlendes Lebewesen umzubringen, um seinen Nutzen daraus zu ziehen. Den Einwand seines Gesprächspartners, dass ein Tier auch in den Fängen des Beutegreifers unfreiwillig endet, lässt er nicht gelten. „Wir Menschen brauchen kein Fleisch, um zu überleben.“
Peter Höffken würde die Jagd am liebsten komplett einstellen. Dass die Populationen, sich selbst überlassen, dann generell ansteigen, sei „nicht erwiesen“, behauptet er. Dass Forstbesitzer und Landwirte aber ein Problem mit mehr Verbiss an Bäumen haben oder vom Wildschwein umgepflügte Äcker die Folge sind, ist ihm klar. „Wir laufen ja nicht durch einen Naturwald. Aber am Ende geht es um Geld, und deshalb sterben Tiere.“
Dass mit dem natürlichen Gleichgewicht sei ein Ammenmärchen, sagt René Greiner. „Wenn ich auf den Stuttgarter Fildern den Finger gerade lasse, dann werden es in der Rheinebene nicht mehr Feldhasen.“ Deshalb sei der Bestand auch nur regional geschützt. Die Größe einer Population bemisst sich nach ihren natürlichen Ressourcen und ihren Feinden, argumentiert er. Bei so einer Art wie Rehwild würde es ziemlich lange dauern, bis sich der Bestand etwa durch Krankheiten, Parasiten oder Konkurrenz wie etwa bei Revierkämpfen wieder reduziert.
Jagd sei nicht das alleinige Werkzeug, um Wildschaden zu vermeiden. Aber nur mit der Jagd sei eine geregelte Land- und Forstwirtschaft möglich. Dass dabei Geld eine Rolle spielt, weist er nicht von der Hand. „Aber es geht auch um Holz als nachwachsenden Rohstoff und die ökologischen Funktionen von Wald.“ Gerade die werden mit dem Klimawandel immer wichtiger.
Schäden durch Wildschweine haben stark zugenommen
Höhere Abschusszahlen für den Klimaschutz? Das Argument findet Peter Höffken ziemlich daneben. Er wünscht sich für die Tiere, dass am Waldrand nicht ein Hochsitz neben dem anderen steht, dort, wo die Rehe das leckerste Grün finden. Ein Teil des Problems sei doch, dass die Rehe durch den Jagddruck tiefer in den Wald getrieben werden und aus Angst nicht dort äsen, wo sie es bevorzugt tun würden. „Dann muss man sich nicht wundern, dass Verbiss für Waldschäden sorgt.“ Bei den Wildschweinen machen Jäger Strecke, um nicht die Schweinepest (ASP) in Ställe einzuschleppen und so das Geschäft mit den Hausschweinen in den Mastbetrieben zu schützen. Dafür wurden vor zwei Jahren rund 800 000 Wildschweine geschossen.
So einfach ist die Rechnung nicht, kontert René Greiner. Bestand und Schäden durch die Schwarzkittel hätten stark zugenommen, was mit der Anbaukultur der Landwirtschaft, aber eben auch mit dem Klimawandel zu tun habe. Weil Eichen und Buchen durch den Klimastress alle zwei, drei Jahre enorm viele Früchte produzieren, leben die Sauen auch im Wald wie im Schlaraffenland. Deshalb würden Wildschweine intensiv bejagt, die ASP käme „on top“. In Baden-Württemberg seien die Strecken bei den Sauen aktuell wieder rückläufig.
Für ihn, sagt Peter Höffken, dulde der Jäger keine Konkurrenz. Deshalb jage er die, die ihm die Beute streitig machen, Fuchs und Dachs etwa. Dass deutschlandweit 400 000 Füchse pro Jahr gejagt werden, um so selten gewordene Arten wie das Reb- oder Auerhuhn zu schützen, lässt Peta als Argument jedenfalls nicht gelten. Greiner hält entgegen: „Ja, der Lebensraum hat sich massiv verschlechtert, deshalb sind Arten selten geworden. Aber davon haben auch Fressfeinde profitiert.“ Man brauche beides: die Aufwertung des Lebensraums und die Jagd auf Beutegreifer.
„So weit liegen wir doch gar nicht auseinander“
Bis in die 1980er-Jahre wurde das Rebhuhn selbst gejagt, weil das Fleisch als Delikatesse gilt. Heute fehlt der Art durch die Kultivierung der Landschaft der passende Lebensraum. Diese Misere habe der Mensch zu verantworten. „Doch der schiebt die Schuld heute den Raubtieren in die Schuhe. Deshalb werden die getötet“, sagt Höffken. Dieses „Zuschieben von schlechten Eigenschaften an Wildtiere“ würden Jäger nutzen, um Jagd zu rechtfertigen. Für ihn gilt das Tierschutzgesetz: Kein Tier darf ohne vernünftigen Grund getötet werden.
„Ich wusste, dass wir da landen“, sagt René Greiner. „So weit liegen wir doch gar nicht auseinander.“ Dem Landesjagdverband liege es am Herzen, Erkenntnisse aus der Forschung in die Reviere zu tragen. Dass ein Reh Pflanzen frisst, sei das Natürlichste der Welt. Man wisse heute aber, unter welchen Bedingungen Verbiss nicht zum Problem wird. Rehe seien Feinschmecker und brauchen Ruhe zum Widerkäuen. Dann müsse man schauen, dass es eben dort ungemütlich wird für die Tiere, wo aufgeforstet werden soll.
„Das Schwarz-weiß-Malen liegt uns fern“, sagt der Chef des Landesjagdverbands. Er verweist auf das Jagd- und Wildtiermanagementgesetz, das seit fast zehn Jahren in Baden-Württemberg gilt und gerade im Tierschutz deutlich höhere Maßstäbe ansetzt als in anderen Bundesländern. Alle drei Jahre veröffentlicht das zuständige Ministerium zudem einen Wildtierbericht, der Empfehlungen für eine Nachsteuerung enthält. Peter Höffken widerspricht nicht. Aber er wünscht sich, dass jede Fuchsjagd genehmigt werden muss. „Dieser pauschale Freibrief ist falsch.
Am Ende des Spaziergangs geben sich beide Männer nicht nur die Hand, sondern tauschen die Visitenkarten aus. Sie wollen im Gespräch bleiben.
Landesrecht für die Jagd
Seit November 2014 hat das Land Baden-Württemberg ein Jagd- und Wildtiermanagementgesetz (JWMG), das mit einer Durchführungsverordnung (DVO) nicht nur die Ziele der Jagd regelt. Neben Jagd und Hege ist das Wildtiermanagement eines der drei Bestandteile des Jagdrechts. Die dem JWMG unterstellten Tierarten werden dabei drei Managementstufen zugeordnet, dem sogenannten Nutzungs-, Entwicklungs- oder Schutzmanagement.
Entscheidend für die Zuordnung ist, ob die Bestände der jeweiligen Wildtierarten in ausreichender Größe, Vitalität und Stabilität vorkommen und ob geeignete Lebensräume in Baden-Württemberg vorhanden sind. Alle drei Jahre wird die Zuordnung zu den Managementstufen im Rahmen des Wildtierberichtes überprüft und gegebenenfalls verändert.