Interview Danyal Bayaz (Grüne)

„Für finanzpolitische Kalendersprüche ist jetzt nicht die Zeit“

Eben sprach er noch mit Studierenden in Boston über transatlantische Beziehungen. Nun geht es beim Haushalt auf die letzten Meter. Und Wahlen stehen auch an, erst im Bund, dann im Land. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hat einiges zu sagen – im Gespräch mit Chefredakteur Rafael Binkowski und Politikredakteur Michael Schwarz.

Danyal Bayaz ist seit 2021 grüner Finanzminister von Baden-Württemberg. Zuvor war der 41-Jährige, der in Heidelberg aufwuchs und in Stuttgart und München lebt, Unternehmensberater und saß im Bundestag.

Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger: Sie kommen gerade aus Boston. Ist den Amerikanern schon klar geworden, was sie sich mit der Wahl von Donald Trump eingehandelt haben?

Danyal Bayaz: Ich war ja an der liberalen Ostküste, eine Hochburg der Demokraten. Die Leute sind nicht geschockt, das waren sie 2016. Aber sie machen sich große Sorgen und rechnen damit, dass Trump das durchzieht, was er angekündigt hat. Und wenn er mit Importzöllen ernst macht, wird uns das als exportorientierte Industrienation ganz konkret betreffen. Es könnte allerdings auch die Inflation in den USA selbst wieder anheizen. Genau das war aber das Problem von Kamala Harris, die relativ hohe Inflation.

Seine Wahl ist ein schwerer Schlag für alle Transatlantiker…

… zu denen ich mich zähle. Wir dürfen jetzt nicht vergessen, was uns verbindet, enge wirtschaftliche Beziehungen und gemeinsame Werte. Die Freundschaft zwischen Deutschland und den USA ist stärker als eine Präsidentschaft. Deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, gute Kontakte auch auf regionaler Ebene zu pflegen.

In Deutschland steht die Wahl noch bevor. Grüne und Union scheinen sich gerade anzunähern. Einen müssten Sie aber wohl noch überzeugen: Markus Söder.

Wir wollen die Wählerinnen und Wähler überzeugen, denn die entscheiden darüber, wer unser Land regiert. In Sachen Sicherheit und ökologische Modernisierung sehe ich jedenfalls Potenzial für schwarz-grüne Lösungen.

Friedrich Merz scheint sich in Sachen Schuldenbremse zu bewegen. Er kann sich vorstellen, Zukunftsinvestitionen auszunehmen. Hat sie das überrascht– auch vor dem Hintergrund der Ewigkeitsgarantie, die Manuel Hagel der Schuldenbremse im Frühjahr noch zubilligen wollte?

Nein, das überrascht mich nicht. Friedrich Merz hat sich da schon länger bewegt, Manuel Hagel hat jetzt nachgezogen. Je näher die Union der Macht im Bund kommt, desto realistischer wird sie wieder in der Finanzpolitik. Es ist jetzt nicht die Zeit für Kalendersprüche aus einer anderen finanzpolitischen Zeit. Wir haben einen immensen Investitionsbedarf, in die Bundeswehr, in die Infrastruktur, in Technologie und Forschung. Das anerkennt auch die Union.

Sie sprechen sich seit langem für eine Reform der Schuldenbremse aus. Wie könnte sie aussehen?

Ich habe einen pragmatischen Vorschlag: Neben einem Sondervermögen für Verteidigung braucht es ein Sondervermögen für die digitale und die ökologische Erneuerung. Das wäre auch ein Signal für Wirtschaft, die ja unter der fehlenden Planungssicherheit leidet. Wichtig: die Kredite dürfen ausschließlich für Investitionen verwendet werden.

Würde eine Reform nicht weitere Sondervermögen überflüssig machen?

Theoretisch ja, denn auch Investitionen sollten eigentlich aus Kernhaushalten statt aus Sondervermögen finanziert werden. Meine Sorge aber ist, dass der Investitionsbegriff dann beliebig wird und es dann Schulden für alles gibt. Das wäre falsch.

Grün-Schwarz ist ganz offensichtlich beständiger als die Ampel in Berlin. Was können die gescheiterten Koalitionäre von Baden-Württemberg lernen?

Ich möchte vorausschicken, dass die Herausforderungen auf Bundesebene und auf Landesebene völlig andere waren. Sicherheit, Krieg in Europa, eine schwierige Konstellation mit drei Parteien: Das war nicht eins zu eins mit der Landespolitik vergleichbar. Eines kann man trotzdem von uns lernen: Man muss sich nicht in aller Öffentlichkeit streiten und vor allem Kompromisse nicht ständig in Frage stellen. Dass Grün-Schwarz nun schon acht Jahre hält, ist auch der Autorität des Ministerpräsidenten zu verdanken. Er regiert mit langer Leine, sagt aber in kritischen Situationen auch deutlich, wo es langgeht. Außerdem vertritt er nicht nur eine politische Farbe, sondern hat das große Ganze im Blick hat und lebt das Prinzip „Land vor Partei“ jeden Tag vor.

2026 wird ein neuer Ministerpräsident gewählt. Für die Grünen tritt Cem Özdemir an. Das wird kein Selbstläufer.

Meine Partei durchlebt keine einfache Zeit. Deswegen rechne ich es Cem Özdemir hoch an, dass er sagt: Ich meine das ernst. Ich mache den Baden-Württembergern ein Angebot – ohne Netz und doppelten Boden, ohne Rückfalloption. Er kann auf meine 100-prozentige Unterstützung zählen. Und zwar deshalb, weil er das Land bestmöglich repräsentieren würde, weil er den Bürgerinnen und Bürgern Orientierung geben kann, da er selbst eine klare Orientierung hat. In einer Zeit des Umbruchs sind Erfahrung und Verlässlichkeit notwendig. Cem Özdemir bringt all das mit, was es braucht, ein guter Ministerpräsident zu sein. Deswegen bin ich zuversichtlich. Das wird ein spannender Wahlkampf, der auch uns Grünen einiges abverlangen wird.

Sie wurden auch als möglicher Spitzenkandidat gehandelt. Dürfen wir 2031 mit Ihnen rechnen?

Vor uns liegt eine Bundestagswahl, dann eine herausfordernde Landtagswahl. Ich mache mir jetzt keine Gedanken darüber, was in sieben Jahren ist.

Im Dezember wird im Landtag der Doppelhaushalt verabschiedet. Darin soll keine Zuführung in den Pensionsfonds enthalten sein. Ist das nicht kurzsichtig? Das Geld wird doch gebraucht, wenn die Babyboomer in Ruhestand gehen.

Das ist keine einfache Entscheidung und es gibt auch gute Argumente dagegen. Aber wir haben abgewogen: Was bekommen wir dafür, dass wir weniger zum Versorgungsfonds zuführen? Unter anderem ein Bildungs- und ein Sicherheitspaket. Das sind wichtige staatliche Aufgaben. Deshalb halten wir das für gerechtfertigt. Der Fonds ist gut gefüllt, er erwirtschaftet eine eigene Rendite. Dennoch ist dies keine Entscheidung aus dem finanzpolitischen Lehrbuch.

Die SPD wirft Ihnen vor, Geld zu bunkern, statt es zu investieren.

Ich höre das seit dreieinhalb Jahren, und es wird deshalb nicht besser. Es stimmt einfach nicht. Die Strategie, die man uns unterstellt, würde ja nur dann Sinn machen, wenn wir zum Ende der Legislaturperiode eine große Party feiern. Dort diese Party findet nicht statt. Es braucht eine Rücklage, damit dieser Doppelhaushalt auch wirklich zwei Jahre lang funktioniert. Hätten wir das Geld in der Vergangenheit einfach ausgegeben wie von der SPD gefordert, hätte es uns an entscheidenden Stellen gefehlt. Dann hätten wir keine Steuerausfälle kompensieren können, kein Sonderprogramm für die Kommunen stemmen können für Krankenhäuser und den Ganztagsausbau. Wir hätten keinen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst finanzieren können. Wir hätten nicht auf das Hochwasser reagieren können oder auf steigende Kosten für Geflüchtete. Unsere Rücklage sichert staatliche Handlungsfähigkeit. Das ist schlicht seriös.

Schuldenbremse ade?

Schon 2019 hat er gewarnt: Investitionen seien wichtiger als die schwarze Null, fand Danyal Bayaz (Grüne) bereits, als er im Bundestag saß. Nun könnte die Forderung des Finanzministers nach einer Reform der Schuldenbremse umgesetzt werden – ausgerechnet von der Union, die sich jahrelang dagegen sträubte. Bundeschef Friedrich Merz signalisiert Gesprächsbereitschaft und selbst sein Gegenpart im Land, Manuel Hagel, lässt mit sich reden. Bayaz wirbt unterdessen für eine andere Idee, die ebenfalls helfen soll, die finanziellen Voraussetzungen für die Zukunft zu schaffen: ein neues Sondervermögen.

Sein Terminkalender ist rappelvoll. Trotzdem schafft es Finanzminister Danyal Bayaz, hier mit Chefredakteur Rafael Binkowski (l.) und Redakteur Michael Schwarz (r.), Zeit für die in München lebende Familie herauszuschlagen. Sein Rezept: Man muss auch mal nein sagen. Foto: Achim Zweygarth

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