Politikwissenschaftler Michael Wehner

„Für die Grünen wird es schwer mit einem neuen Kandidaten“

Die Wahlen zeigen aus Sicht des Freiburger Politikwissenschaftlers Michael Wehner, dass das Terrain im Südwesten schwieriger wird. Die CDU könnte so zum Königsmacher werden.

Michael Wehner ist Abteilungsleiter bei der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg.

Foto: LpB Baden-Württemberg)

Stuttgart. Er ist einer der renommiertesten Politikexperten im Land: Michael Wehner leitet die Außenstelle der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) in Freiburg.

Staatsanzeiger: Herr Wehner, welche Lehren können wir aus der Wahl ziehen?

Michael Wehner: Die These, dass die Europawahlen als Nebenwahlen nach wie vor dazu genutzt werden, nationale Regierungen abzustrafen, scheint sich zu bestätigen, das Gleiche gilt für Frankreich.

Also war es eine Denkzettelwahl – hat das der AfD geholfen?

Ich habe es schon früher gesagt: Die AfD hat ein Wählerpotenzial von 15 bis 20 Prozent, das kann sie mobilisieren,. Es ist überraschend, dass die Querelen des Spitzenkandidaten, Schmiergeldaffäre aus Russland und Spionlageaffäre mit China zwar geschadet haben. Aber nicht in dem Umfang wie man es hätte sich vorstellen können. Sie ist eben aber auch nicht bei 22 Prozent wie in Umfragen im Januar.

Ist Deutschland zweigeteilt, was das Wahlverhalten angeht?

Ja, es scheint in Ostdeutschland keine Rolle zu spielen, dass die Partei in Weiten teilen extremistisch ist, vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und Björn Höcke wegen SA-Parolen vor Gericht stand. Aber eben auch teilweise im Westen.

Eine Klatsche für die Ampelparteien – woran lag es?

Ja, das Ergebnis ist äußerst bescheiden, damit war allerdings auch zu rechnen. Aber natürlich muss die Ampel in der zweiten Halbzeit deutlich besser auftreten. Die CDU ist mit 30 Prozent mit weitem Abstand die größte Volkspartei, aber das neue Programm und Spitzenkandidat Friedrich Merz führen nicht dazu, dass sie im größeren Umfang profitiert.

Was lernen wir für Baden-Württemberg?

Wenn sich die Rahmenbedingungen so fortsetzen, ist es für die Grünen schwer, mit einem neuen Kandidaten nach Winfried Kretschmann erfolgreich zu sein. Das wird voraussichtlich Cem Özdemir, der wohl auch bald verkündet werden wird. Die CDU hat derzeit einen Lauf, es ist schwierig, dem entgegen zu wirken.

Die Grünen haben auch in Baden-Württemberg stark verloren, ist die grüne Ära vorbei?

Die aktuelle konservative Grundrichtung spielt den Grünen sicher nicht in die Hände, und die Realpolitik in der Ampel ebenfalls nicht. Eine ehemals pazifistische Partei, bei der die Außenministerin die bedingungslose Unterstützung für die Ukraine fordert, das sorgt für Frustrationen.

Ist das Bündnis Sahrah Wagenknecht die neue Linke?

Ich hätte da für Baden-Württemberg noch ein paar Fragezeichen, weil hier linke Parteien nie wirklich reüssiert haben. Zudem kommt die Sperrklausel ins Spiel, das Ergebnis hätte nicht für den Landtag gereicht. Was Wagenknecht verkörpert, ist das Bedürfnis nach Charisma, einer Führungspersönlichkeit.

Wie wird es in Baden-Württemberg weitergehen?

Vielleicht wird ja 2026 aus Grün-Schwarz einfach Schwarz-Grün. Der CDU-Chef Manuel Hagel macht es sehr geschickt, sich nach allen Seiten offen zu halten, etwa für eine Deutschlandkoalition, aber die Grünen nicht verbal in die Tonne zu treten.

Cem Özdemir will den umstrittenen Tübinger OB Boris Palmer wieder in die Partei holen, ein Versuch, die Basis zu verbreitern?

Das ist ein interessanter Move von Özdemir. Er will wieder migrationskritische Stimmen in der Partei zu Wort kommen. lassen. Ich kann aber nur schwer einschätzen ob die grüne Partei darauf eingeht. Es ist ja einiges vorgefallen in der Vergangenheit.

Das Gespräch führte Rafael Binkowski

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