Es muss ein digitaler Ruck durch Deutschland gehen

Die Zeit der Faxgeräte ist doch eigentlich vorbei...
dpa/Kai-Uwe Wärner)Die Stadt Dülmen in Nordrhein-Westfalen hat circa 400 000 Euro an Betrüger überwiesen, die per E-Mail gefälschte Rechnungen für zwei Feuerwehrautos schickten. Eigentlich sollte eine Stadtverwaltung klüger sein als ein alter Mensch, der auf Enkeltricks hereinfällt – aber sie ist es nicht, weil die allgemeine digitale Bildung und Infrastruktur in der Verwaltung auch im Jahr 2025 noch immer völlig unzureichend sind. Einfachste digitale Werkzeuge wie die in Italien seit dem Jahr 2014 (!) verpflichtend eingeführte E-Rechnung oder digital signierte PDF-Rechnungen hätten das verhindert.
Um die jahrzehntealten Versäumnisse zu beheben, ist ein strategischer Plan notwendig, der die deutsche Verwaltung nachhaltig verändert. Dieser ist kein „nice-to-have“, sondern eine Überlebensfrage für unsere Zukunftsfähigkeit, nein: Gegenwartsfähigkeit.
Baden-Württemberg kann dabei eine Führungsrolle übernehmen, nachdem eine lokale, aber bundesweit denkende Initiative „Digitale Transformation der Verwaltung“ ein Zwölf-Punkte-Programm in den Arbeitskreis Digitalisierung bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD einbringen konnte.
Unser voraussichtlich zukünftiger Kanzler Friedrich Merz hat diese Dringlichkeit erkannt, und ein ressortübergreifendes Digitalministeriums mit Durchgriffskompetenz ist geplant. Wie das konkret aussehen wird und wie es dann konkret arbeitet, ist heute noch nicht hinreichend sicher absehbar. Das Ministerium allein bringt wie seit 2019 in Hessen und seit 2018 in Bayern keine Problemlösung nur durch seine Existenz.
Der gern strapazierte Vergleich mit Estland oder Österreich trifft schon lange nicht mehr zu, denn diese sind so außerhalb jeglicher Reichweite wie der Meistertitel in der Bundesliga für die Stuttgarter Kickers. Mittlerweile sind auch Länder wie Ukraine, Ungarn oder Rumänien an Deutschland vorbeigezogen.
In Ukraine gibt es eine App „Dija“, die unter anderem digitalen Führerschein und Steuererklärung enthält und von über 20 Millionen Menschen verwendet wird. In Ungarn sind seit 1. Januar 2023 weder Führerschein noch Zulassung mitzuführen, weil das die Polizisten bei Fahrzeugkontrollen selbst aus den zentralen Datenbanken abfragen können. In Rumänien besteht für alle Behörden seit dem 4. Juli 2023 die Verpflichtung, digital signierte Dokumente zu akzeptieren – was in Deutschland bei 17 Verwaltungsverfahrensgesetzen, 16 für die Länder und eines für den Bund, eine Gnade jeder einzelnen Behörde ist.
Schaut man sich die laufenden Aktivitäten im E-Government an, so fehlt es an Ernsthaftigkeit: E-Postfächer auf freiwilliger Basis werden ebenso scheitern wie die Beibehaltung von 16 plus eins Verwaltungsportale oder eine Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ohne Projektplan und Projektleiter. Auch die Registermodernisierung wird scheitern, denn die Wurzel allen Übels, die Beibehaltung dezentraler und unbereinigter Register, wird nicht beseitigt. Zu hoch sind die gefühlten Vorbehalte gegen Selbstverständlichkeiten wie ein zentrales Melderegister für die gesamte Bundesrepublik.
Um diese Ernsthaftigkeit endlich herzustellen, muss, um mit Roman Herzog zu sprechen, ein digitaler Ruck durch Deutschland gehen. Kein Lidl, keine Commerzbank und keine Mercedes-Benz-Gruppe würde es ihren Filialen gestatten, ihre eigene Software zu entwickeln, unterschiedliche Kundenportale und Benutzeroberflächen zu haben – aber Deutschland findet es in Ordnung, dass digitale Angebote der Städte Ludwigsburg und Esslingen aussehen wie aus zwei verschiedenen Galaxien.
Die häufig ins Treffen geführte kommunale Selbstverwaltungsgarantie beziehungsweise der Föderalismus sind hier reine Schutzbehauptungen, denn sogar hochgradig autonome Volks- und Raiffeisenbanken beziehungsweise Sparkassen sind seit den 1960ern intelligent genug gewesen, bei EDV, wie die IT damals hieß, zu kooperieren und potente zentrale Dienstleister zu schaffen.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung und ab 2026 die neue Landesregierung hier mutig Taten setzen.
