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Interview zu Katastrophenschutz

Thomas Strobl: „Es geht auch um Werte, um Zusammenhalt“

Im Oktober findet in Baden-Württemberg der operative Teil der grenzüberschreitenden Katastrophenschutzübung Magnitude statt. Dabei soll auch die Kommunikation mit dem Bürger eine Rolle spielen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) will die Menschen für Krisen wappnen und die auskömmliche Finanzierung des Katastrophenschutzes sicherstellen.

Innenminister Thomas Strobl 
informiert sich bei einer Übung. Er will den Katastrophenschutz stärken und fordert zugleich mehr Anstrengungen vom Bund.

IM BW/ Leif Piechowski)
Staatsanzeiger: Herr Strobl, Sie bezeichnen Baden-Württemberg gerne als Ehrenamtsland Nummer 1. Wo bleibt die Ehrenamtskarte, mit der das Engagement der Helfer gewürdigt werden soll?

Thomas Strobl: Baden-Württemberg ist das Ehrenamtsland Nummer 1. Nirgendwo sonst in ganz Deutschland engagieren sich so viele Menschen freiwillig. Allein bei der Feuerwehr sind es über 112 000. Dazu kommen Rettungsdienst und weitere Hilfsorganisationen. Das Ehrenamt ist die Basis für den Bevölkerungsschutz. Ohne Ehrenamt ist kein Staat zu machen, schon gar nicht im Bevölkerungsschutz.

Wie steht es um den Nachwuchs?

Die Zahl derer, die sich bei den Jugendfeuerwehren engagieren, nimmt kontinuierlich zu. 2023 haben wir eine Steigerung um neun Prozent! Wir haben gut 37 600 Kinder und Jugendliche bei unseren Feuerwehren, Tendenz steigend. Es gibt also auch Erfreuliches zu berichten in diesen Tagen.

Und die Ehrenamtskarte?

Die Ehrenamtskarte wird derzeit in einem Pilotversuch erprobt. Aus meiner Sicht könnte sie ab März nächsten Jahres überall starten. Und schön, dass wir durchsetzen konnten: Nicht nur die Mitglieder in den Einsatzabteilungen der Freiwilligen Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks sollen die Ehrenamtskarte mit ihren Vergünstigungen erhalten, sondern alle Ehrenamtlichen im Katastrophenschutz. Für mich ist das primär keine Werbemaßnahme, sondern eine Wertschätzung gegenüber denen, die sich ehrenamtlich engagieren. Wir schauen freilich auch, dass es ausreichend Nachwuchs gibt.

Und wie?

Es geht beim Bevölkerungsschutz nicht nur um Retten, Bergen, Löschen und Schützen. Es geht dabei auch um Werte, um Zusammenhalt, um Kameradschaft und Teamgeist. Ohne ein bärenstarkes Team kann man schlimme Lagen nicht so gut bewältigen wie unsere Mannschaften im Bevölkerungsschutz. Viele sind mit Leib und Seele dabei und bringen sich aus tiefstem Herzen dort ein. Parallel tun wir alles, um dem Bevölkerungsschutz den Rücken zu stärken und für ihn zu werben. So haben wir etwa eine große Nachwuchskampagne gestartet. Darüber hinaus haben wir das Bevölkerungsschutzmobil angeschafft, ein absoluter Renner und immer ausgebucht. Dazu kommen Helferfeste oder Preise an ehrenamtsfreundliche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Denn klar ist auch: Wir brauchen auch die Arbeitgeber. Denn ohne deren Unterstützung hätte es unser Ehrenamt viel schwerer.

Im Land konnten erneut alle Förderanträge der Feuerwehren bewilligt werden. Der Bund hat jedoch zuletzt die Mittel für den Katastrophenschutz gekürzt.

Wenn man die äußere Sicherheit stärkt, muss man auch den Schutz der Bevölkerung im Inland stärken. Daher haben 16 Innenminister parteiübergreifend mit der Bundesinnenministerin vereinbart, dass es mehr Geld vom Bund gibt, und zwar zehn Milliarden in Summe. Nur leider wird das nicht umgesetzt. Der Bund ist hier meilenweit von seinen eigenen Ankündigungen entfernt. Im Land gehen wir einen anderen Weg: Die Koalitionsfraktionen haben für den Katastrophenschutz zusätzliche 25 Millionen Euro bereitgestellt. Damit können wir kräftig in Fahrzeuge, in Technik, in den Katastrophenschutz investieren. Ich hoffe, dass sich das im Doppelhaushalt 2025/26 fortsetzt. Auf jeden Fall werde ich das in die Haushaltsverhandlungen einbringen und hart dafür kämpfen.

Und im Bund kämpft niemand?

Offensichtlich kann die Bundesinnenministerin ihre berechtigten Forderungen gegenüber dem Finanzminister nicht durchsetzen. Die Umsetzung der Zeitenwende, die der Kanzler angekündigt hat, kommt im Bevölkerungsschutz jedenfalls nicht mit den vereinbarten zehn Milliarden an. Die Bundesregierung muss sich insgesamt fragen lassen, ob sie ihre Prioritäten richtig setzt.

Baden-Württemberg richtet im Oktober eine europaweite Großübung aus. Dabei soll vor allem auch die Kommunikation mit den Bürgern im Fokus stehen.

Die beste Vorsorge im Katastrophenschutz ist: üben, üben, üben. Das machen wir in Baden-Württemberg ganz intensiv seit Jahren und gehen jetzt einen Schritt weiter, denn Krisen kennen keine Grenzen. Als erstes Land in Deutschland haben wir uns bei der Europäischen Union um die grenzüberschreitende 36-Stunden-Katastrophenschutzübung beworben – und auch den Zuschlag erhalten. Unter dem Namen Magnitude werden wir mit Österreich, Griechenland, der Schweiz und Frankreich ein Erdbebenszenario üben.

Wie läuft die Übung ab?

Die Arbeiten für die Übung laufen bereits auf Hochtouren etwa mit Stabsrahmenübungen. Im Oktober gehen wir dann in die operative Phase. Wir werden auf einer Trümmerstrecke in Mosbach üben. Bei einem Erdbeben geht es da natürlich zunächst um die Bergung und Versorgung von Personen. Wir simulieren aber auch Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und Versorgungsleitungen. Die Teams müssen sich darauf einstellen, dass Gefahrenstoffe austreten, Trinkwasser verseucht wird oder wir eine CBRN-Lage – also eine chemisch, biologisch radiologische und nukleare Gefahrenlage – haben. Die Landesfeuerwehrschule in Bruchsal ist da ebenso an Bord wie die Mobile Übungsanlage Binnengewässer in Mannheim. Insgesamt findet die Übung national und international sehr große Beachtung.

Und wie werden die Bürger resilienter?

Wir wollen die Bevölkerung dabei unterstützen, sich im Katastrophenfall selbst schützen zu können. Deshalb ergänzen wir die Übung um eine große Informationskampagne. Wir haben das Thema bereits an die Schulen getragen, denn wir müssen früh, bei den Kleinsten, anfangen. Kinder und Jugendliche sollen lernen, wie sie sich im Katastrophenfall richtig verhalten. Gerade bei Kindern reicht Theorie alleine nicht aus, deshalb setzen wir hier auch auf praktische Formate wie unseren Aktionstag, bei dem an den Schulen auch praktisch geübt und sensibilisiert wird.

Die Selbsthilfe spielt auch mit Blick auf den Rettungsdienst eine große Rolle. Dieser fährt zunehmend – ich zitiere Sie – zu Wehwehchen raus. Was kann man dagegen tun?

Zunächst einmal braucht es Aufklärung. Der Rettungsdienst ist für Notfälle da. Das hat sich offensichtlich noch nicht überall herumgesprochen. Und das ist ein Problem – und darüber müssen wir sprechen. Ein Notarzt oder die Einsatzkräfte können nicht für Bagatellen ausrücken. Es ist ein Unterschied, ob man einen Herzinfarkt hat oder sich den kleinen Finger bricht.

Die Leitstellen können das in einem gewissen Umfang steuern, allerdings gibt es auch beratungsresistente Anrufer.

Freilich gibt es die. Um auch diese zukünftig schneller an die richtige Stelle zu vermitteln, ist zwischen der 112 und der 116 117 eine einfachere Weiterleitung geplant. Im neuen Rettungsdienstgesetz ist auch eine einheitliche Notrufabfrage vorgesehen – so kann schnell entschieden und gesteuert werden.

Die Björn-Steiger-Stiftung will gegen das neue Rettungsdienstgesetz vorgehen. Können Sie das nachvollziehen?

Also für uns steht das Wohl der Patienten im Mittelpunkt und wir haben eines der modernsten Rettungsdienstgesetze gemacht, das es in der Republik gibt. Wir wollen unseren Rettungsdienst fit für die Zukunft machen, insbesondere mit Innovationen, wir wollen etwa die Digitalisierung im Interesse der Patienten nutzen – Stichwort Telenotarztversorgung. Dass eine private Stiftung dagegen klagt, ist ihr gutes Recht. Die polemische Kritik hat mich allerdings schon irritiert. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Klage annehmen, werden wir unsere Position fachlich darlegen.

Welche Vorteile bringt das neue Gesetz?

Wir machen dieses Rettungsdienstgesetz, um noch mehr Menschen noch besser helfen zu können. Deswegen differenzieren wir nun nach Einsatz-Arten. Es geht nicht nur um die Frage, wann der Rettungsdienst da ist, sondern um die ganze Rettungskette, bis hin zur Versorgung im Krankenhaus. Unser Ziel ist klar: Wir wollen nicht, dass Patienten in irgendein Krankenhaus kommen, sondern in das Krankenhaus, in dem sie mit ihrem Fall am besten versorgt sind. Darüber hinaus bauen wir ein telenotärztliches System auf, in bestimmten Situationen sollen Rettungssanitäter mehr Befugnisse bekommen. Alles Maßnahmen, um den Rettungsdienst Baden-Württemberg zukunftsfähig zu machen – und um noch mehr Menschen optimal zu retten.

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BOS-Tag am 4. November

Der Staatsanzeiger veranstaltet am 4. November in Stuttgart seinen ersten BOS-Tag. Die Abkürzung steht für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Die Schirmherrschaft hat das Innenministerium inne. Thematisch wird es um die Bewältigung verschiedener Krisensituationen und die zivil-militärische Zusammenarbeit gehen. Redner sind unter anderem Innenminister Thomas Strobl (CDU), die Polizeipräsidenten Markus Eisenbraun (Stuttgart) und Thomas Berger (Präsidium Technik, Logistik und Service der Polizei) sowie Experten von Feuerwehr und Bundeswehr. https://akademie.staatsanzeiger.de/events/bos-tag-2024/

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