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Essay

Eine Vision, bei der man nicht zum Arzt muss

Winfried Kretschmann hat gemeinsam mit anderen ein Buch geschrieben, das Mut machen soll, die Klimakrise zu meistern. Michael Schwarz macht sich darüber in seinem Essay Gedanken.

Zwei, die sich schätzen und mögen - über Parteigrenzen hinweg: Angela Merkel und Winfried Kretschmann.

dpa/photothek/Inga Kjer)

Der berühmteste Spruch von Angela Merkel lautet: „Wir schaffen das.“ Doch die Bundestagswahl 2013 gewann sie mit einem anderen: „Sie kennen mich.“ Acht Jahre später stand ihr Spruch sogar auf Plakaten zu lesen – diesmal freilich neben einem milde lächelnden Winfried Kretschmann, der die drei Worte der Kanzlerin kopiert hatte, um seine Grünen bei der Landtagswahl 2021 in nie geahnte Höhen zu führen. Und heute? Taugt das Rezept noch? Geben sich die Bürger mit einfachen Botschaften zufrieden?

Die Antwort darauf könnte darüber entscheiden, ob es gelingt, die Zukunft zu meistern. Oder ob sich die Populisten mit ihren noch einfacheren Antworten durchsetzen. Dass sich damit Wahlen gewinnen lassen, hat sich gezeigt. Doch die Zukunft wird sich so nicht gewinnen lassen, weil die Welt komplexer ist, als uns AfD und BSW glauben machen wollen.

Denn die Herausforderungen sind gewaltig: Wie können wir die Klimakatastrophe verhindern? Wie das Artensterben stoppen, die liberale Demokratie schützen und dem Expansionsdrang der Autokraten Einhalt gebieten? Wie kann die Welt eine friedlichere und gerechtere werden, damit weniger Menschen aus ihrer Heimat nach Europa fliehen? Und was macht KI aus uns?

Eine Erzählung muss her, die Lieschen Müller versteht, die aber gleichwohl die Tatsachen nicht auf den Kopf stellt. Kein Schauermärchen, sondern eine positive Vision. Am besten garniert mit Erfolgsgeschichten à la Elon Musk und wie er das E-Auto marktfähig machte.

Winfried Kretschmann und andere namhafte Persönlichkeiten haben ein Buch geschrieben, das diesen Anspruch erhebt. Der Titel ist Programm: „Aus Zuversicht Wirklichkeit machen.“ Die Unterzeile deutet jedoch schon an, dass dies nicht einfach sein wird: „Gedanken zum Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs.“

Bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Buchpräsentation in Tübingen wurde deutlich, wie schwer dies werden könnte. Und dabei saßen da noch nicht einmal jene, die nicht nur anderer Meinung sind, sondern auch von anderen Tatsachen ausgehen – oder, was sie dafür halten –, was etwa das Klima angeht.

So redete sich Kretschmann schon in Rage, als ihm Clara Schweizer, eine Fridays-for-Future-Aktivistin – jawohl, diese Gruppe gibt es auch noch –, vorwarf, dass seine Generation wusste, dass die Welt auf eine Klimakatastrophe zusteuere, aber nichts getan habe. „So etwas muss ich mir anhören!“ Außerdem sei nicht nur der Klimawandel ein Faktum, sondern auch das Kreuz in der Wahlkabine. Und wenn dann die Grünen aus den Regierungen und Parlamenten flögen, sei nichts gewonnen.

Als dann jedoch die junge Frau erklärte, was sie alles schon auf die Beine gestellt hat, damit Menschen mehr für die Umwelt tun, etwa in Form von Balkonkraftwerken, wurde der Ministerpräsident versöhnlich. Wenn man etwas tue, statt nur zu protestieren, dann finde er das gut.

Einig war man sich auf dem Podium auch, dass der Abschied vom fossilen Zeitalter und die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht über die Köpfe der Menschen hinweg gelingen könne. Eine Ökodiktatur sei keine Alternative.

Doch ob die Menschheit die Kurve kriegt, da ist man nicht so sicher. Von der Krise als Chance, aber auch als Punkt, von dem aus es ins Verderben geht, sprach der Mainzer Philosoph Markus Gabriel. Und dass die Menschen im Silicon Valley oder in Südamerika die Lage ganz anders sähen. Dort heiße es: „Dann bin ich eben die letzte Generation.“ Dass wir die Erde retten müssten, sei alles andere als selbstverständlich.

Der FAZ-Redakteur Philipp Krohn berichtete, dass es möglich ist, aufs Auto zu verzichten, musste sich aber anhören, dass dies eben nur für einen Stadtmenschen wie ihn gelte.

Winfried Kretschmann riet, die Sonnenenergie besser zu nutzen, und sprach in dem Zusammenhang von einer „Vision, bei der man nicht zum Arzt muss“. Und er nahm nochmals eine Anleihe bei der Frau, die er während der Flüchtlingskrise in sein Nachtgebet eingeschlossen hatte. „Ich glaube, daran sollten wir alle glauben, dass wir das schaffen“, zitierte er Angela Merkel.

Manchmal ist es eben doch ganz einfach. Das müssen nur noch die Wähler begreifen. Dann wird am Ende vielleicht doch noch alles gut.

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