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Ein Jahr mehr Zeit, damit es gut wird
Stuttgart. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sagte Helmut Schmidt einmal. In Stuttgart hat man sich nicht daran gehalten. Stattdessen gewann die Idee Gestalt, den Hauptbahnhof um 90 Grad zu drehen und die Gleise in Tunnel zu legen, um Platz für einen neuen Stadtteil zu gewinnen. Und nun, 30 Jahre später, ist immer noch nicht klar, ob Stuttgart 21 eine gute Idee ist.
Doch immerhin ist es seit dieser Woche etwas wahrscheinlicher geworden, dass das Projekt in absehbarer Zeit fertig wird. Und dies paradoxerweise durch eine erneute Verschiebung des Eröffnungstermins. Am Dienstag hat die Deutsche Bahn einen neuen Plan vorgelegt. Demnach wird die offizielle Eröffnung des Tiefbahnhofs um ein Jahr auf Dezember 2026 verlegt.
Noch nie wurde ein Bahnknoten dieser Größe komplett digitalisiert
Dies hat gleich mehrere Vorteile, wie auch die Projektpartner – das Land, die Stadt und die Region – anerkennen. Zum einen steht während einer im Oktober 2025 startenden Testphase der Kopfbahnhof als Rückfallebene zur Verfügung, sollte es Probleme geben. Schließlich begibt sich die Bahn mit dem Projekt in doppelter Hinsicht auf Neuland: Neben der Hardware, also den Schienen, Weichen und Tunnel, neben den beiden Bahnhöfen in Stuttgart-Mitte und am Flughafen ist auch die Software neu – zur Steuerung der Züge. Noch nie wurde ein Bahnknoten dieses Ausmaßes vollständig digitalisiert. Der Abschied von der konventionellen Signaltechnik soll eine deutlich kürzere Zugfolge ermöglichen.
Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zeigte sich noch nicht ganz überzeugt. Er gehe „einstweilen“ davon aus, dass der Termin gehalten werde. Dafür habe er schon zu viel erlebt in den 30 Jahren, in denen er das Projekt begleite.
Gleichwohl sei der nun präsentierte Plan besser als ein „Stolperstart“. Die Bahn hatte Anfang des Jahres, als sich bereits abzeichnete, dass die Digitalisierung nicht rechtzeitig fertig würde, über eine Teileröffnung des Tiefbahnhofs nachgedacht. Dort sollten einzelne Züge verkehren, etwa die ICE nach München. Nun soll eben dies geschehen, aber nur auf Testbasis. Das heißt, dass der gesamte reguläre Fahrplan bis Dezember 2026 über den Kopfbahnhof abgewickelt wird. Zusätzlich wird es Züge ohne und später auch mit Passagieren geben, die vom Tiefbahnhof starten. Und zwar nicht nur Fernzüge, sondern auch Regios und S-Bahnen, um die neue, digitale Signaltechnik, aber auch das Aus- und Einstiegen im zukünftigen Hauptbahnhof zu testen.
Innerhalb der so gewonnenen Zeit sollen auch mehrere andere Stuttgart-21-Baustellen abgeschlossen werden, sodass das Gesamtprojekt zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2026 weitgehend fertig in Betrieb gehen kann. Dazu gehören der Flughafenbahnhof, die zweigleisige Anbindung der Schnellfahrstrecke an die Strecke nach Tübingen und die zweite Tunnelröhre nach Stuttgart-Bad Cannstatt.
Was bis dann noch fehlen wird, sind die Digitalisierung der S-Bahn-Außenäste und die Anbindung der Gäubahn. Alle Projektbeteiligten, also auch die Bahn, bekannten sich jedoch zum Pfaffensteigtunnel, der Böblingen ab 2032 mit dem Flughafen verbinden soll. Bis dann müssen die Fahrgäste in Stuttgart-Vaihingen in die S-Bahn umsteigen – allerdings erst ab Mai 2026. So lange fährt die Gäubahn noch den alten Bahnhof an. Anschließend wird sie gekappt, damit die S-Bahn ihren neuen Halt Mittnachtstraße ansteuern kann.
Hermann: Gäubahn-Anbindung ist Teil von Stuttgart 21
Das Problem bei diesen beiden Teilprojekten könnte die Finanzierung sein. Seit dem Verfassungsgerichtsurteil zum Bundeshaushalt liegen zahlreiche Bahnprojekte auf Eis. Die Kosten für den Pfaffensteigtunnel werden auf knapp eine Milliarde Euro geschätzt. Damit ist er um ein Vielfaches teurer als die ursprünglich geplante Variante, bei der die Fernzüge und die S-Bahn das Gleis geteilt hätten. Hermann wies darauf hin, dass diese ungeliebte Variante Teil von Stuttgart 21 ist, dass die Bahn also nicht umhin könne, entweder die eine oder andere Lösung umzusetzen.
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sagte, er sei zuversichtlich, dass der Zeitplan einzuhalten sei. Falls die Bahn aber nochmals den Eröffnungstermin verschiebe, „werden wir nicht nur ungeduldig, sondern ungemütlich“. Die Stadt werde 2027 mit den Vorarbeiten für das neue Rosenstein-Quartier beginnen. Und auch zum Pfaffensteigtunnel äußerte er sich – mit einem Augenzwinkern: Er habe vorsorglich alle Termine im Jahr 2032 für eine Eröffnungsfeier reserviert.