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Interview: Barbara Bosch

DRK-Präsidentin Barbara Bosch: „Die Spender spenden nicht, damit das Land sparen kann“

Der Landesverband des Deutschen Rotem Kreuzes (DRK) feiert am 10. Juli sein 70-jähriges Bestehen. Präsidentin Barbara Bosch spricht im Interview über seine Entwicklung und aktuelle Herausforderungen.

RK-Präsidentin Barbara Bosch und Matthias Jürgens, der die Einsätze bei der Fußball-EM in der Stuttgarter Innenstadt koordiniert.

DRK Landesverband BW / Carolin Domke)
Staatsanzeiger: Der DRK-Landesverband feiert Geburtstag. Wofür stand er zu Beginn und wofür heute?

Barbara Bosch: Der DRK-Landesverband wurde zu Zeiten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Auch Baden-Württemberg hatte sich zuvor neu gegründet und es war damals unklar, ob das Bundesland so bleibt. So kam es im südbadischen Teil zu einem weiteren Landesverband. Damals waren die Sorgen und Nöte andere. Das Rote Kreuz stellt sich seither auf Veränderungen ein, nicht nur reaktiv, sondern auch aktiv. Wir sind innovativ unterwegs und haben einiges bewirkt. 1958 etwa haben wir Funkgeräte für Rettungswagen gefordert.

Heute sprechen wir über Digitalfunk.

Genau, und heute setzen wir die Impulse bei der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz.

Das DRK wird in erster Linie mit dem Rettungsdienst in Verbindung gebracht.

Das DRK ist tatsächlich der größte Träger im Rettungsdienst. Mit der Zeit sind viele weitere Aufgaben hinzugekommen, die zu Gründungszeiten noch kein Thema waren. So haben wir heute 47 stationäre Pflegeheime im Landesverband. Das Gesundheits- und Sozialsystem hat sich seit 1954 enorm entwickelt, auch im Ehrenamt. Die Verrechtlichung, die Gesetzesdichte haben extrem zugenommen. Wir setzen klare Standards, vor allem bei der Ausbildung.

Seit sechs Jahren sind Sie Präsidentin des Landesverbands. Was war für Sie bisher das prägendste Ereignis?

Eindeutig die Corona-Pandemie. Diese hat nicht nur das eigene Arbeiten stark gefordert, sondern hat auch der Digitalisierung einen Schub gegeben, die viele unserer Hilfeleistungen unter ein anderes Vorzeichen gestellt hat. Es war außerordentlich schwierig, durch die Infektionen mussten teilweise die Schichten im Rettungsdienst neu organisiert werden. Viele Angebote konnten nicht mehr stattfinden, auch in der Ausbildung. Es war schwer, danach alles wieder zum Laufen zu bringen.

Hat das Land, hat die Gesellschaft aus der Pandemie gelernt?

Das will ich hoffen. Der Landtag hat die Enquetekommission Krisenfeste Gesellschaft eingerichtet und wir haben unsere Erkenntnisse, die wir in einen verbandsinternen Prozess gewonnen haben, dazu beigesteuert. Die Enquete hat ihre Ergebnisse vorgestellt. Jetzt muss der Landtag seine Schlüsse zieht.

Hat man denn aus der Ahrtal-Katastrophe genug Konsequenzen gezogen?

Es hat sich gezeigt, dass wir strukturell besser zusammenarbeiten müssen, auch über die Bundeslandgrenzen hinweg. Wir fordern ein Kompetenzzentrum, um Kräfte zu bündeln, Zuständigkeiten besser zu klären. Und vor allem muss bei der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung mehr passieren.

Es gibt mittlerweile das ein oder andere Angebot, auch an Schulen.

Das Innenministerium hat einen Katastrophenschutztag an Schulen eingeführt, das ist ein guter Schritt. Aber das ist noch kein Erste-Hilfe-Kurs. Wir fordern, dass die Ausbildung in Erster Hilfe zum Standard wird, auch an Schulen. Es ist wichtig dafür zu sensibilisieren, welche Katastrophen eintreten können und was dann zu tun ist. Das kann nicht alles der Staat machen, da muss die Bevölkerung ihren Teil beitragen.

Sie halten die Finanzierung des Katastrophenschutzes nicht für ausreichend.

Es braucht dringend eine bessere Finanzierung des Katastrophenschutzes. Die Lehren, auch aus den Hochwassergeschehnissen, zeigen, dass da mehr passieren muss, gerade auch in der Vorratshaltung. Wir erinnern uns, wie schwer es zu Beginn der Pandemie war, Masken zu besorgen. Das DRK betreibt in Kirchheim/Teck ein großes Logistikzentrum. Bei der anstehenden Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes sollte diese Landesvorratshaltung miteinbezogen werden.

Das Land hat das Katastrophenschutzgesetz angepasst, damit Helfer auch ohne Ausrufen eines Katastrophenfalls von der Arbeit freigestellt werden können.

Wir haben bei der Aufwandsentschädigung für unsere Helfer noch keine Gleichstellung. Bei Feuerwehr und THW ist das gesetzlich geregelt. Das Land hat zwar schnell reagiert, aber es zeigt sich in den unteren Stufen der Alarmierung, dass unsere Helfer keine Aufwandsentschädigung erhalten. Und eine Ausfallentschädigung für den Arbeitgeber, die bei der Feuerwehr automatisch erfolgt, müssen unsere Helfer bürokratisch selbst mit ihren Arbeitgebern beantragen und mit der Behörde verhandeln. Es muss gesetzlich geregelt werden, dass alle Helfer gleichgestellt sind. Bei der Hochwasserlage Anfang Juni in Rudersberg hatten wir nur einen Voralarm. Ein Katastrophenfall wurde nicht ausgelöst, wir waren nicht in dem entsprechenden Alarmierungsstand.

Warum geht man mit dem Ausrufen des Katastrophenfalls so restriktiv um?

Das müsste man die Landkreise als untere Katastrophenschutzbehörde fragen. Wir haben aber in der Tat den Eindruck, dass oft gezögert wird. Vielleicht wegen der unklaren Finanzierungs- und Entschädigungsfragen, die anschließend auf den Landkreis zukommen. Ich meine, wir brauchen eine behördenunabhängigere Möglichkeit, Einsätze zu fahren. Wenn wir gebeten werden, ein Altenpflegeheim zu evakuieren, kann es nicht sein, dass wir erst bürokratische Schlaufen nehmen müssen.

Zur Jubiläumsveranstaltung des DRK-Landesverbands kam auch der Ministerpräsident.
Kann eine Ehrenamtskarte helfen, mehr Freiwillige zu motivieren?

Die Ehrenamtskarte wird erprobt. Das ist sicher eine gewisse Anerkennung. Doch wir müssen unterscheiden zwischen Anerkennung und Motivation. Ich glaube nicht, dass jemand wegen der Karte ein Ehrenamt beginnt.

Es braucht also mehr Anerkennung?

Menschen, die sich für ein Ehrenamt beim Roten Kreuz oder einer Freiwilligen Feuerwehr melden, wollen helfen. Ihre Motivation ist intrinsisch. Doch ist es immens wichtig, Anerkennung auszusprechen, doch mit der Anerkennungskultur tut man sich hierzulande schwer. Wir haben im Roten Kreuz einen Strategieprozess begonnen und eines unserer fünf strategischen Ziele ist dabei die Förderung und Pflege des Ehrenamts. Wir werden etwa darüber nachdenken müssen, ob wir alle geforderten Qualifizierungsstandards immer und für jeden so anlegen können. Wir denken auch darüber nach, wie Zugänge und die Mitsprache erleichtert werden können.

Die Angriffe auf Helfer nehmen zu. Das ist das Gegenteil von Anerkennung.

Ganz klar, wir müssen unsere Helfer schützen. Es werden Helfer im Rettungsdienst, im Katastrophenschutz, aber auch etwa in den Tafel- und Kleiderläden angegangen. Wir erheben seit 2023 Zahlen, um das Phänomen besser bewerten und dann auch angemessen reagieren zu können. Da geht es auch um Deeskalation und Resilienz.

Ein Thema, das Sie auch umtreibt, ist der Entwurf des Rettungsdienstgesetzes. Fluch oder Segen oder beides?

Wir begrüßen alles, was dabei hilft, den Rettungsdienst besser zu machen, dass schneller und zielgerichteter Hilfe bei den Menschen ist. Wenn es aber nun eine Planungsfrist von zwölf Minuten gibt, erwarten wir, dass Konsequenzen aus einer solchen Zielsetzung gezogen werden. Wir brauchen mehr Mittel im bodengebundenen Rettungsdienst, also mehr Fahrzeuge, mehr Wachen und mehr Personal. Auch die Krankenhausplanung muss da miteinkalkuliert werden. Wenn es weniger Kliniken gibt, werden nicht nur die Wege für Rettungswagen weiter, sie sind auch länger in den Einsätzen gebunden. Ich wünsche mir eine stärkere Verknüpfung dieser beiden Planungsbereiche.

Und reicht die Finanzierung aus?

Alle Hilfsorganisationen im Rettungsdienst sehen Änderungen, die das Land im Gesetzentwurf vorsieht, mit Sorge. Indem das neue Gesetz die bislang klare Definition der Infrastrukturförderung beendet, entstehen für uns unkalkulierbare finanzielle Risiken. Die Notfallrettung ist Aufgabe des Landes, wir sind Leistungserbringer und müssen mit Spenden vorsichtig umgehen. Die Spender spenden nicht, damit das Land sparen kann.

Welche Visionen haben Sie?

Wir wollen unseren Strategieprozess umsetzen, das Ehrenamt stärken und uns noch besser auf die gesellschaftlichen Entwicklungen einstellen, zum Beispiel wollen wir mehr Migranten einbinden. Wir wollen auch das Thema Chancen der Digitalisierung voranbringen. Meine Zuversicht bleibt, die muss ich nicht neu entwickeln. Was uns ausmacht, was uns motiviert, ist Menschen zu helfen, ist Humanität. Wir sind da. Um helfen zu können, brauchen wir aber auch gute Rahmenbedingungen.

Das Gespräch führte Jennifer Reich

Eine Schülergruppe zeigt beim DRK-Festakt am 8. Mai, wie man reanimiert.

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