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Die Spitzenkandidaten-Idee fügt der EU Schaden zu
Eigentlich sind die Rollen klar verteilt. Der Europäische Rat, die Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten, nominiert den Kommissionspräsidenten. Das Parlament stimmt über den Vorschlag ab. Seit 2009 muss der Rat bei der Nominierung das Ergebnis der jüngsten EU-Parlamentswahl berücksichtigen: Der Kandidat muss im EU-Parlament mehrheitsfähig sein – der Funke der Spitzenkandidaten-Idee.
Wie wird das Ergebnis der EU-Parlamentswahl berücksichtigt?
Die kam vor der Wahl 2014 auf, als der Sozialdemokrat Martin Schulz und in seinem Fahrwasser auch Jean Claude Juncker von den Christdemokraten sich zu Spitzenkandidaten für den Kommissionspräsidenten aufschwangen. Beide warfen die Frage auf, wie genau die Regierungschefs das Ergebnis der Parlamentswahl berücksichtigen müssen. Ihre Antwort: Personengenau. Legitimer Kommissionspräsident könne nur werden, wer von der siegreichen Parteienfamilie als Spitzenkandidat getragen wird.
Es geht um einen Machtkampf
Egal war, ob das Wahlvolk über Spitzenkandidaten abstimmen konnte. Auch Kommissionspräsident Juncker stand vor seiner Amtszeit nie zur Wahl als EU-Abgeordneter in Luxemburg. Schulz und Juncker hatten mit der Spitzenkandidatur ein neues Kriterium eingeführt, das als Druckmittel des EU-Parlaments gegen die Regierungen wirken sollte – es geht bis heute um einen Machtkampf.
EU-Parlament verliert die Revanche
Diesen hatte das Parlament 2014 noch gewonnen. Der unterlegene Schulz stellte sich hinter den siegreichen Juncker und schloss so die Reihen des Parlaments gegen Juncker-skeptische Regierungschefs. Die Revanche fünf Jahre später, Juncker hatte seinen Rückzug angekündigt, verlor das Parlament mangels Einheit.
Dem Franzosen war der Bayer suspekt
Wahlsieger war 2019 erneut die EVP mit dem EU-Parlamentarier Manfred Weber als Spitzenkandidaten. Doch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verhinderte die Nominierung des Christsozialen; dem Franzosen war der Bayer suspekt. Nach langem Hin und Her kam eine knappe Mehrheit für die heutige Kommissionspräsidentin von der Leyen zustande, für die der damalige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak dank seiner polnischen Wurzeln bei der rechtspopulistischen PIS-Partei in Warschau die Aufwartung machte.
Von der Leyen – genug der Rücksichtnahme
Damit war aber das verfassungsmäßige Gefüge wieder hergestellt. Der Rat bestimmte die Nominierung, nicht das Parlament. Von der Leyen gehörte der Siegerpartei der Europawahl an, genug der Rücksichtnahme.
Wieder sind Spitzenkandidaten unwählbar
Jetzt beginnt das Spiel von vorne , wieder sind Spitzenkandidaten unwählbar. Das ficht die Befürworter etwa aus Baden-Württemberg nicht an. Für den Vorsitzenden der deutschen EU-Unionsabgeordneten, Daniel Caspary , geht der Einwand der Unwählbarkeit an der Sache vorbei: Den Kommissionsmitgliedern verbietet es der EU-Vertrag, einer anderen Beschäftigung nachzugehen. Kommissare können nicht Abgeordnete sein und sind raus aus dem Rennen um Parlamentssitze. Das deckt den Fehler der Spitzenkandidaten-Idee auf.
Wer Versprechen abgibt , sollte sie auch einhalten können
Deren Fans sagen dem Wahlvolk: „Wähle mich, damit ich für Ursula von der Leyen stimmen kann.“ Ob sie ihr Versprechen halten können, bestimmen nicht sie, sondern der Rat, etwa Deutschlands sozialdemokratischer Bundeskanzler. Seine Entscheidung aber dürfte sicher nicht von der Nominierung einer ihm fremden Partei abhängen. So kann das Wahlversprechen schnell gebrochen sein: eine Wählertäuschung mit Ansage.
Taktische Spielchen um Spitzenkandidaten
Parlamentswahlen sind nicht das Konfliktfeld für Machtkämpfe zwischen EU-Institutionen. Statt um vage Versprechen muss es darum gehen: Ein Parlament, das anstelle des Rats die Kommissionspräsidenten nominiert plus eine europäische Einheitswahl mit paneuropäischen Listen – dafür könnten die Parlamentarier kämpfen, statt sich für taktische Spielchen wie die Spitzenkandidaten hergeben. Das schadet der EU bloß.