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Die Lage bessert sich, außer bei der Sonderpädagogik
Stuttgart. Vor wenigen Wochen verkündete Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) eine frohe Botschaft: Das Land stehe bei der Besetzung von Lehrerstellen deutlich besser da als in den Vorjahren. Mit nur 250 offenen Stellen zum Schuljahresbeginn, weniger als halb so vielen wie im Vorjahr, könne man diese Lücken wohl bis November schließen.
Ist also auch die Unterrichtsversorgung gesichert? Nur bedingt, meint Gerhard Brand, der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), und goss an diesem Montag bei einer Pressekonferenz in Stuttgart Wasser in den Wein.
An jeder zweiten Schule müssen Lehrer Überstunden leisten
Aus einer Umfrage des Verbands, an der sich mehr als 1000 Schulleitungen der rund 4000 Schulen im Südwesten beteiligten, gehe hervor, dass schon in der dritten Woche nach Ende der Sommerferien an fast der Hälfte der Schulen, die dem VBE geantwortet hatten, Unterricht ausgefallen sei. An vier von zehn Schulen hätten Klassen zusammengelegt werden müssen und an jeder zweiten müssten Lehrer Überstunden leisten.
Allerdings relativiert sich dieser Befund durch mehrere Punkte: So wies Brand selbst auf die mangelnde Repräsentativität der Umfrage(-ergebnisse) hin. Trotz des hohen Rücklaufs sei die Umfrage nicht repräsentativ, da keine Zufallsstichprobe vorliege. Ganz überwiegend hätten wohl Schulleiter daran teilgenommen, deren Einrichtungen Probleme mit der Unterrichtsversorgung haben.
Zudem hätten sich die Zahlen an den Grundschulen und denen der Sekundarstufe I gegenüber den Vorjahren teilweise deutlich verbessert.
Auf Nachfrage einer Journalistin räumte Brand auch ein, dass Baden-Württemberg im Ländervergleich durchaus gut dastehe; mit Rang vier oder fünf innerhalb Deutschlands, so Brand, der nicht nur Landes-, sondern auch Bundesvorsitzender des VBE ist. Die Schlusslichter seien hier Berlin, Brandenburg und Bremen.
Während die Tendenz also insgesamt eher nach oben zeigt, sieht es bei den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) anders aus: Dort fehlen laut VBE-Umfrage an fast der Hälfte der befragten Schulen 20 bis 30 Prozent der Lehrkräfte. Im Jahr zuvor war dies bloß bei rund 37 Prozent der Fall − „eine dramatische Abwärtsspirale“, so Brand: „Es wird immer von Bildungsgerechtigkeit gesprochen, aber die Praxis zeigt, dass bei den Schwächsten in der Bildungslandschaft maximal gespart wurde.“ Eine Erklärung: Die SBBZ hatten zuletzt unter allen Schularten die höchsten Zuwachsraten an Schülern. „Dahinter verbirgt sich eine wachsende Zahl von Kindern mit diagnostiziertem Förderbedarf, insbesondere im Autismus-Spektrum“, erläuterte Brand. Der Handlungsbedarf ist also besonders hoch, doch befürchtet Brand: „Dafür gibt es keine Lobby in der Politik.“ Was schlägt die VBE vor, um dem Unterrichtsausfall abzuhelfen?
Eine Aufstockung der Krankheitsreserve und mehr Studienplätze, vor allem für Sonderpädagogik, sowie den Wegfall des Numerus Clausus; mehr Wertschätzung für und Entlastung der Lehrer; schließlich die Bezahlung auch der Grundschullehrer nach A 13, wie es mittlerweile in fast allen Bundesländern der Fall ist.
Die Opposition unterstützt die Forderungen des Lehrerverbands
Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei kritisierte, „in den groß beworbenen Bildungsreformen spielen SBBZ und Inklusion überhaupt keine Rolle.“ Sein FDP-Pendant Timm Kern nannte die Situation dort „katastrophal“. Beide teilen die Forderungen des VBE. Die AfD will im Landtag laut Rainer Balzer einen Antrag auf eine größere Krankheitsreserve für Schulen stellen. Fulst-Blei zufolge muss Grün-Schwarz „endlich eine Unterrichtsversorgung von 110 Prozent anstreben.“ Denn: „Was bringen verbesserte Lehrpläne und mehr Stunden in den Basisfächern, wenn der Unterricht dann überhaupt nicht stattfinden kann?“
Lehrermangel wird größer
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürchtet, dass sich der Lehrkräftemangel in den Schulen wegen Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung erheblich verschärft. „Bis 2030 werden insgesamt über 110 000 Lehrkräfte fehlen sowie mehrere hunderttausend Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe“, sagte die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern an diesem Montag der Stuttgarter Zeitung. Zudem fehlten ihr zufolge auch Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Schulpsychologen.