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„Die Frage ist, ob es Beamtenprivilegien überhaupt gibt“
Jochen Müller: Mir persönlich bereitet dieses Amt große Freude und viel Spaß und ich kann eigentlich nur jedem empfehlen, sich dafür zu bewerben, wenn er gewisse Bedingungen in Kauf nimmt. Im Übrigen müssten Sie natürlich auch den SPD-Vorsitzenden und den Papst fragen.
Frau Pfründer, auch Sie haben 14 Jahre Berufserfahrung an der Rathausspitze, erst in Sulzfeld, nun in Lauffen am Neckar. Brauchen baden-württembergische Bürgermeister, die ob ihrer Machtfülle auch als kleine Könige bezeichnet werden, überhaupt eine Gewerkschaft?Sarina Pfründer: Auf jeden Fall, wobei wir keine Gewerkschaft, sondern ein Berufsverband sind. Wir formulieren Interessen gegenüber der Politik. Der Austausch mit der Regierung ist wichtig. Und außerdem gibt es neben uns niemanden, der sich so dezidiert für die Beamtinnen und Beamten in der öffentlichen Verwaltung einsetzt.
Muss der Verband der Verwaltungsbeamten eigentlich immer von einem Bürgermeister respektive einer Bürgermeisterin geführt werden?Müller: Nein, natürlich nicht. Doch es hilft, wenn sich beide Seiten kennen. Als Bürgermeister hat man immer zwei Hüte auf – den des Arbeitgebers und den des Beamten. Wir wissen, wie es in den Rathäusern aussieht und warum bestimmte Stellen nicht mehr besetzt werden können. Doch wir stellen keine überzogenen Forderungen, weil wir die Handlungsspielräume der Politik kennen.
Sie sprechen sich für ein innovatives und zukunftsgerichtetes Berufsbeamtentum aus. Was muss sich dafür ändern?Pfründer: Die Aufgaben müssen bewältigbar sein. Das wird nur gelingen, wenn wir die Bürokratie eindämmen, wenn die Digitalisierung gelingt , wenn die Beamten offen für solche Veränderungen sind und flexibel mitdenken.
Gleichzeitig steht Ihr Verband zum Berufsbeamtentum. Passen die Beamtenprivilegien noch in unsere Zeit?Müller: Die Frage ist ja, ob es überhaupt Beamtenprivilegien gibt. Es gibt zwar gewisse Vorteile, aber es gibt auch sehr viele Nachteile für die Beamtinnen und Beamten. Der öffentliche Dienst kann bei den Gehältern oft nicht mit der freien Wirtschaft mithalten. Das gleichen die Pensionen in gewisser Weise aus.
Heißt das, man müsste die Beamten nur anständig bezahlen, dann wären solche Vorteile überflüssig?Müller: Nein. Andersrum wird ein Schuh draus. Wenn der Staat seine Beamtinnen und Beamten nicht adäquat bezahlt, dann werden wir insbesondere in der mittleren Führungsebene überhaupt niemanden mehr finden, der diesen Job machen möchte. Die jungen Menschen sind durchaus bereit, für diesem Staat und die Gesellschaft etwas zu leisten. Aber am Ende muss wenigstens der Lebensunterhalt bestritten werden können – inklusive der Miete. Deshalb brauchen wir beides: eine angemessene Besoldung und eine attraktive Pension.
Trotzdem werden Sie damit nicht jeden jungen Menschen überzeugen können.Müller: Der Rock des Beamten ist eng, aber warm, soll Friedrich der Große einmal gesagt haben. Doch wir haben etwas zu bieten, das man in der Wirtschaft oft lange suchen kann: Die meisten unserer Arbeitsplätze sind familienfreundlich.
Und Sie locken mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums wie dem Lebenszeit- und Alimentationsprinzip. Bekommt der Staat so wirklich die Beamten, die er braucht? Oder ziehen Sie nur diejenigen an, denen ein sicherer Arbeitsplatz über alles geht?Müller: Ganz so skeptisch würde ich das nicht sehen. Natürlich gibt es auch diejenigen, die morgens den Bleistift hinlegen und dann abends wieder zurück. Doch es gibt auch die anderen, die mal sagen: Das ist jetzt unser Projekt! Und dann knien sie sich rein mit einer Begeisterung, dass es eine Freude ist. Zum Beispiel, wenn es um Social-Media-Auftritte fürs Rathaus geht. Wenn ich eine Tätigkeit ausüben will, die wirklich sinnstiftend ist, dann bin ich hier richtig. Und das gilt nicht nur für den Bürgermeister, sondern auch im Hauptamt oder im Kindergarten.
In der Politik ist viel von Bürokratieabbau die Rede. Denken Sie in diesem Zusammenhang auch manchmal an das Goethe-Zitat: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube?Pfründer: Manchmal ja. Aber wir müssen dranbleiben. Es gibt keinen Plan B. Es führt kein Weg vorbei an Digitalisierung und Entbürokratisierung, weil unsere Mitarbeiter sonst nicht mehr durchhalten. Die Wirklichkeit war ja in den letzten Jahren eine andere: Wenn ein Gesetz abgeschafft wurde, sind zeitgleich fünf neue entstanden. So kann es nicht weitergehen.
Müller: Manchmal hat man den Eindruck. dass Gesetze nur deshalb das Licht der Welt erblicken, weil ein einzelner Abgeordneter der Meinung ist, da gäbe es ein Problem. Und dann wird so lange daran gearbeitet und gezogen, bis es kommt, egal, ob es das Problem vor Ort wirklich gibt oder nicht. Dann kommt so etwas wie ein Antidiskriminierungsgesetz heraus.
Aber alles läuft doch nicht schlecht, oder?Müller: Es gibt zum Glück auch positive Gegenbeispiele. Wir hatten ein derart kompliziertes Zulassungsverfahren bei den Hochschulen für Verwaltung, dass sich die Abiturientinnen und Abiturienten oft lieber bei einer Kreissparkasse oder einer Dualen Hochschule bewarben, als sich durch das Verfahren zu quälen. Mittlerweile wurde es deutlich verschlankt. Manchmal gelingt es tatsächlich, Ballast abzuwerfen und die Hochschulen machen zu lassen. Man kann durchaus das eine oder andere, wenn man den Mut hat.
Noch einmal zurück zu Ihrem gemeinsamen Beruf. Genießt ein schwäbischer Bürgermeister immer noch so viel Respekt wie in der 1990er-Jahren?Müller: Ich nehme das durchaus wahr, auch wenn manche Dinge etwas verrutscht sind. Wir müssen offen miteinander umgehen und uns gegenseitig respektieren.
Wie sieht es mit Reichsbürgern aus?Pfründer: Die haben wir in nahezu jeder Kommune. Insgesamt problematisch ist, wenn Stimmung über die sozialen Medien gemacht und plötzlich aus einer Einzelmeinung eine Welle wird.
Was tun Sie dagegen?Pfründer: Wir versuchen, die Bürger mitzunehmen und zu informieren, was aber nicht einfach ist. Selbst die örtlichen Mitteilungsblätter werden immer weniger gelesen. Umso wichtiger, dass wir Beamtinnen und Beamten haben, die wissen, was im Grundgesetz steht und die auf unsere Verfassung vereidigt sind.
Erste Frau an der Spitze
Der Verband der Verwaltungsbeamten wurde am 8. Februar 1893 gegründet und ist damit nicht nur der älteste Berufsverband in Baden-Württemberg, sondern sogar ein halbes Jahr älter als der VfB Stuttgart. Umso bemerkenswerter, dass bislang nur Männer an der Spitze standen. Doch das hat sich am Montag geändert. Da wurde Sarina Pfründer in Stuttgart einstimmig zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie löst Jochen Müller ab, der zwölf Jahre lang den Verband führte. Pfründer war 13 Jahre Bürgermeisterin von Sulzfeld (Landkreis Karlsruhe). Seit einem Jahr übt sie dieses Amt in Lauffen am Neckar (Landkreis Heilbronn) aus. Die parteilose Diplom-Verwaltungswirtin hat in Ludwigsburg studiert.