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Die Corona-Pandemie: Sternstunde der Ministerpräsidentenkonferenz
STUTTGART. Es gibt sie seit 1954, die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), die in der Pandemie in aller Munde war. Als zentrales Gremium der Zusammenarbeit im deutschen Bundesstaat fristete sie bis März 2020 in der breiten Öffentlichkeit eher ein Schattendasein. Heute, nach mehr als zwei Jahren Pandemie, ist dies anders. Die Corona-Pandemie wurde zur Sternstunde der MPK.
Die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder, wie sie offiziell heißt, ist vor allem ein Gremium zum Austausch und der Zusammenarbeit der Länder untereinander, um voneinander lernen zu können und gemeinsame Probleme zu besprechen – oder gemeinsame Forderungen an den Bund zu stellen. Zwei Mal im Jahr folgt im Anschluss an die MPK-Sitzung daher ein Treffen mit der Bundeskanzlerin oder dem Bundeskanzler. Auch im Krisenmanagement hat die MPK langjährige Erfahrung. So stimmten die Länder beispielsweise bereits bei der Flutkatastrophe 2013 oder der Flüchtlingskrise 2016 ihre Positionen und Politik in der MPK ab — und aktuell den Umgang mit den Flüchtenden vor dem Krieg in der Ukraine.
Zentrale Entscheidungen über das Leben vor Ort
Während der Corona-Pandemie war die MPK über weite Teile der Ort, an dem zentrale Entscheidungen über das gesellschaftliche Leben getroffen wurden: Von der Einführung und Aufhebung von Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus über die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung bis zur Abfederung von sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. In Baden-Württemberg viel beachtet waren die Pressekonferenzen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Anschluss an MPK-Treffen, in denen er die Entscheidungen der Länderchefinnen und -chefs erklärte und über deren Umsetzung in Baden-Württemberg informierte.
Unsere Studie bestätigt, dass der MPK während der Corona-Pandemie eine wichtige Rolle zukam. Auch die Ministerkonferenzen – insbesondere Kultus-, Gesundheits- und Wirtschaftsministerkonferenzen – waren eng in das Krisenmanagement eingebunden. Alle involvierten Konferenzen waren während der Pandemie wesentlich aktiver als in den Jahren zuvor und fassten zahlreiche Beschlüsse zur gemeinsamen Bewältigung der Pandemie.
Wer waren die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg? Dies erfahren Sie im Artikel „Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg seit 1952“.
Diese Beschlüsse enthielten meistens deutlich verbindlichere Absprachen als zu Vorkrisenzeiten. So haben die Beschlüsse der MPK zu den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus oder deren Aufhebung durchaus einen zumindest politisch verbindlichen Charakter — auch wenn sich nicht immer alle Länder daranhielten. In der Pandemie richteten sich die Konferenzen, insbesondere die Kultusministerkonferenz und MPK, zudem stärker an die Öffentlichkeit und wurden somit auch eher wahrgenommen. Unsere Studie zeigt, dass die MPK — anders als zu Vorkrisenzeiten — im Gefüge der anderen Konferenzen eine führende Rolle gespielt hat.
Der Blick in andere Föderalstaaten verdeutlicht zudem, dass das gemeinsame Vorgehen zwischen Bund und Ländern in Deutschland vergleichsweise gut funktioniert hat. Dies lag nicht zuletzt an der MPK. Der direkte Vergleich mit dem Schweizer Pendant, der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), zeigt beispielsweise, dass die MPK besser in der Lage war, verschiedene Bereiche im Pandemie-Management gemeinsam und länderübergreifend zu denken und zu verhandeln. Dies liegt vor allem an der Position der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, welche als Regierungschefinnen bzw. -chefs die Richtlinien der Politik in ihren Ländern bestimmen und so als MPK zentrale Entscheidungen treffen können. Die MPK hat die Tätigkeiten der anderen Konferenzen koordiniert und Aufträge an diese gerichtet, beispielsweise an die Kultusministerkonferenz zur Ausarbeitung von Schutzkonzepten an Schulen.
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Dennoch können Deutschland und die MPK vom Vergleich mit anderen Föderalstaaten wie der Schweiz lernen. Das Schweizer Epidemiengesetz definiert unterschiedliche „Lagen“, welche, der Gefahrenlage angepasst, die Entscheidungen entweder dem Bund oder den Kantonen zuweisen. Ein solches Vorgehen würde es auch in Deutschland ermöglichen, in zeitkritischen Situationen die Entscheidungskompetenz dem Bund zu übergeben und wenn sich die Lage entspannt, die Verantwortung den Ländern zu übertragen. Die MPK könnte dabei als das Koordinationsgremium festgeschrieben werden, in welchem das gemeinsame Vorgehen abgesprochen und eventuell sogar über die Einstufung von Gefahrenlagen entschieden wird. So wäre Deutschland für zukünftige Krisen gut aufgestellt, ohne dass das Infektionsschutzgesetz laufend geändert werden muss.
Yvonne Hegele, Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin an der ZHAW Winterthur
Johanna Schnabel, Politikwissenschaftlerin, Freie Universität Berlin