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Die Chancen und Grenzen von Onlinewahlen
Die Angst vor Pannen hatte die Debatte um den Neuwahltermin beherrscht. Der Landkreistag Baden-Württemberg schlägt deshalb vor, über die Modernisierung des Wahlprozederes nachzudenken und zu prüfen, ob Onlinewahlen ermöglicht werden sollten.
Onlinewahlen wurden in anderen Ländern schon durchgeführt, in vielen wieder aufgegeben. Die Vorteile sind, dass der Postweg entfällt und so auch die damit verbundenen Unsicherheiten. Allerdings gibt es beim E-Voting drei sehr hohe Hürden: die rechtlichen Grundlagen, die Identifikation der Wähler und drittens das eigentliche E-Voting-System. Es bedarf wie bei der Briefwahl einer entsprechenden Änderung der Wahlgesetze, wobei zu klären ist, ob dies einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag bedarf.
Über all dem steht allerdings die Empfehlung des Europarats zu E-Voting von 2017, in der Standards definiert werden. Diese sollten vollständig berücksichtigt werden, vor allem in Bezug auf das Stimmgeheimnis und die Transparenz beziehungsweise Auditierbarkeit des E-Voting-Systems. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2009 zum Einsatz von E-Voting – allerdings per Wahlmaschine – entschieden. Der Einsatz dieser Geräte wurde aufgrund der mangelnden öffentlichen Nachvollziehbarkeit der Auszählung untersagt.
Denn: Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. Dies gilt mit Sicherheit auch für den Einsatz von E-Voting.
Jeder Wähler muss zudem über das Internet vor dem Wahlakt eindeutig identifiziert werden. Dazu sind eine elektronische Identität (eID) und eine digitale Signatur nötig. Die deutsche eID/Personalausweis könnte grundsätzlich beide Funktionen erfüllen, allerdings sind sie noch wenig verbreitet und eine digitale Signatur ist mit ihr nicht mehr möglich, da die Zertifikate dafür seit 2017 nicht mehr angeboten werden.
Der massenweisen Verbreitung von eID und Signatur stehen auch noch deutschlandweit rund 5300 Melderegister entgegen. Eine staatliche eID ist die Verknüpfung eines digitalen Signaturzertifikats mit einem Eintrag im elektronischen Melderegister, wobei diese Verknüpfung von der Meldebehörde signiert wird. Anders sieht es in Österreich aus, wo es seit über 20 Jahren ein digitalisiertes zentrales Melderegister gibt. Dort haben 64 Prozent der erwachsenen Bevölkerung gratis die eID, typischerweise auf Basis der Handysignatur. Für Deutschland bedeutet dies, zunächst die Melderegister zu digitalisieren – wie im Registermodernisierungsgesetz vorgesehen – und eine weitverbreitete, kostenlose eID mit Signaturfunktion zur Verfügung zu stellen.
Des Weiteren gibt es nicht „das E-Voting-System“, sondern verschiedene Protokolle. Die meisten E-Voting-Systeme basieren auf dem „Envelope-Verfahren“, das eine Briefwahl nachstellt – mit einem elektronischen „Briefumschlag“, in die der elektronische „Wahlzettel“ kommt.
In Österreich wurde dieses Verfahren für die Wahl zur Hochschülerschaft 2009 eingesetzt, diese wurde aber 2011 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, da es weder das Stimmgeheimnis sicherstellt, noch für Wahlgerichte nachvollziehbar ist.
Dieses E-Voting-Verfahren kam dennoch in Deutschland bei den Sozialwahlen im Jahr 2023 zum Einsatz – parallel zur Möglichkeit, seine Stimme per Briefwahl abzugeben und gestützt auf die Wahlverordnung des Bundesgesundheitsministers und einer technischen Richtlinie des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Obwohl dieses Verfahren in mehrfacher Hinsicht verfehlt und für politische Wahlen ungeeignet ist – Stichwort Schutz des Stimmgeheimnisses –, wird es dennoch als „Modellprojekt“ bezeichnet.
Wir empfehlen bis zur Schaffung der entsprechenden Grundlagen und der Verfügbarkeit von E-Voting-Systemen, die der Europaratsempfehlung entsprechen, sich auf die Verbesserung der Briefwahl zu fokussieren, etwa elektronische Antragstellung oder elektronische Einsicht in das Wählerverzeichnis. Damit kann zeitnah Mehrwert für die Wählenden geschaffen werden.