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Die Biberacher Bauernkrawalle und die lange Leitung der CDU
Biberach/Fellbach. Es ist Aschermittwoch, vier Uhr morgens. Vor der Biberacher Stadthalle fahren laut tutend die ersten Bauern mit ihren Traktoren vor. Der anhaltende Lärm ruft die Polizei auf den Plan, die die nächtliche Ruhestörung unterbindet – vorübergehend. Sieben Stunden später, also um elf, ist drinnen entschieden, dass der 27. politische Aschermittwoch der Südwest-Grünen nicht stattfinden wird. Weil die Einsatzkräfte die Sicherheit nicht gewährleisten konnten. Es habe keine Alternative gegeben, sagt der Grünen-Kreisvorsitzende Michael Groß enttäuscht. Von „aggressivem Verhalten“ Demonstrierender berichtet Sven Vrancken, der Sprecher des Polizeipräsidiums Ulm, in einer spontan anberaumten Pressekonferenz. Es sei Pfefferspray eingesetzt, mindestens ein Beamter verletzt und ein Begleitfahrzeug des BKA beschädigt worden. Später stellt sich heraus, dass mehrere Polizisten verletzt wurden.
Nichts allerdings kann oder will er dazu sagen, warum es überhaupt so weit kommt, warum die Blockade sämtlicher Straßen rund um den Tagungsort nicht verhindert und der ab 10.15 Uhr geplante Einlass von Rednern und Publikum – etwa 1000 Personen wurden erwartet – nicht gewährleistet werden können. „Wir waren entsprechend vorbereitet und konnten starke Kräfte aus Ulm und aus dem Polizeipräsidium Einsatz nachführen.“
Innenminister Thomas Strobl (CDU) verspricht später am Tag eine „rückstandslose Aufklärung“ der Ereignisse. Da ist längst klar, dass es auch um Fehleinschätzungen bei Polizeiplanung und -strategie wird gehen müssen. Am 21. Februar will Strobl dem Innenausschuss des Landtags berichten.
Denn seit Wochenbeginn kursieren im Netz Aufstellungen der besten Zufahrtsrouten für Trecker aus der ganzen Region, die bis ins 80 Kilometer entfernte Reutlingen reichen. In aggressiver Bildsprache werden die „Bevölkerung, Landwirte, Spediteure, Pflegedienst, Bauunternehmen, Handwerker und Mittelstand“ aufgerufen, nach Biberach zu kommen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der neben der grünen Parteichefin Ricarda Lang, Grünen-Urgestein Jürgen Trittin und Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf der Rednerliste steht, warnt anschließend davor, verallgemeinernd von Protesten „der Landwirtschaft oder der Bauern zu sprechen“. Vielmehr habe es sich um eine Gruppe gehandelt, die deren berechtigten Anliegen mit ihren Aktionen „einen Bärendienst erwiesen“ habe.
Eine große Gruppe freilich mit erheblicher Organisations- und Schlagkraft, wie unter anderem die aufwendig gestalteten, Grünen-Politiker verunglimpfenden Banner und Plakate zeigen. Als Demonstrierende in einer Seitenstraße mutmaßen, Politiker würden diesen Zugang zum Saal wählen, sind schnell und ungehindert durch Polizeibeamte viele von ihnen zur Stelle, um den Weg jedenfalls für Autos zu versperren.
Nur einer der Promis schafft es bis in die Halle: Jürgen Trittin
„Wie die Ratten schleichen sich Politiker durch den Seiteneingang“, ruft einer unter dem Beifall Umstehender. Nur einer der Promis schafft es bis in die Halle: Jürgen Trittin steht drinnen Rede und Antwort und erinnerte daran, dass einst auch die Anti-AKW-Bewegung mit Treckern agiert habe, aber „nicht gegen unseren Staat und die Demokratie“.
Zu diesem Zeitpunkt scheint in Fellbach noch nicht allzu viel durchgesickert zu sein. Man muss schon genau hinhören, um die Botschaft zu verstehen, die CDU-Landeschef Manuel Hagel in seiner Aschermittwochsrede an die Bauern in Biberach schickt. Der Protest der Landwirte sei „glaubwürdig, wenn er ohne Gewalt erfolgt“, sagt er in der Alten Kelter vor 1500 Gästen. Ansonsten lobt er die Bauern ganz allgemein und warnt davor, sie in die rechte Ecke zu stellen.
Da ist es kurz vor elf und über den Ticker laufen bereits die ersten Meldungen über die gewalttätigen Proteste bei der politischen Konkurrenz. Hagels Pressesprecherin bestätigt später, dass Hagel im Bilde ist, als er gegen 10.40 Uhr ans Rednerpult tritt, wenn er auch nicht ahnen kann, dass die Grünen-Veranstaltung wenig später abgesagt wird.
Nach Ende der Veranstaltung wird Hagel kommentieren: „Dass der politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach heute nicht wie geplant stattfinden konnte, ist inakzeptabel.“ Ähnlich formuliert es Innenminister Thomas Strobl.
Im Übrigen ist bei der größten Aschermittwochsveranstaltung im Südwesten jedoch wenig von den Ereignissen zu spüren, die sich zur selben Zeit rund zwei Autostunden weiter südöstlich abspielen. Geradezu routiniert wird das Programm abgespult. Dazu gehört auch, dass man sich vom großen Koalitionspartner absetzt, ohne ihn völlig madig zu machen, weil man sich ja spätestens nach den Faschingsferien wieder in die Augen schauen muss.
Also sagt Hagel, dass er Kretsch-mann mag, doch dass der nicht so sei wie die Grünen seien und die Grünen nicht so wie Kretschmann. Und dann zieht er einen gewagten kulinarischen Vergleich: „Die Grünen ohne Kretschmann, das wäre wie so eine richtig schöne Maultasche ohne Teig. Jetzt kann man so eine Maultasche schon auch essen. Aber wenn das Gute fehlt, dann bleibt am Ende nur die Füllung, und die ist so grün, dass sie auch ungenießbar wird.“
Es sind solche Passagen, die bei manchen Besuchern den Eindruck hinterlassen, dass da einer spricht, der den Zenit seiner rhetorischen Fähigkeiten noch nicht erreicht hat. Zumal auf ihn einer folgt, der ihn allein schon von der Statur und von der Lautstärke überragt. Jens Spahn redet bereits zum zweiten Mal in Fellbach: 2018 war er schon einmal da, damals hieß der Chef der Landespartei noch Thomas Strobl.
Hagel kommt bei der Basis gut an, „sowohl optisch als auch politisch“
Spahn erinnert daran, dass seither einiges passiert ist, auch in der CDU im Bund. Drei Parteivorsitzende innerhalb von fünf Jahren, dazu eine bittere Wahlniederlage. „Friedrich Merz hat uns aus dem Tal der Tränen geführt“, lobt er den Partei- und Fraktionsvorsitzenden und verwahrt sich gegen Kritik an dessen Umgang mit Olaf Scholz. „Hier geht es nicht um betreutes Regieren“, die Ampel müsse schon selber liefern und die Proteste der Bauern seien nur ein Sinnbild. Und Cem Özdemir – der zeitgleich in Biberach mit den Bauern spricht – sei „Ankündigungsweltmeister und Umsetzungszwerg“.
„Der Hagel ist unsere Hoffnung“, sagt Robert Trautwein aus Sulz am Neckar, als er aus der Kelter kommt und in den Reisebus steigt – für den 72-Jährigen geht es wie jedes Jahr noch in eine Besenwirtschaft. Nina Muth und Corinna Reinhard sind das erste Mal hier. Die 34-Jährige aus Eibensbach und die 33-Jährige aus Neuenstadt (beide Kreis Heilbronn) sind gekommen, „weil wir Manuel Hagel gut finden – sowohl optisch als auch politisch“. Die Verjüngung der Parteispitze – Hagel ist 35, Strobl 63 – scheint sich bezahlt zu machen.
Und da ist ja noch Emmeline Anna, acht Monate alt. Zunächst schläft die Tochter von Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek und seiner Frau Gabriele, doch dann erklingen die Württemberg-Hymne, das Badenerlied und das Deutschlandlied, von der Parteispitze gemeinsam und textsicher intoniert (nur Spahn bleibt stumm, außer bei der Nationalhymne). Da wacht Emmeline auf. Die Laune stimmt. Nun muss sie nur noch an ihrer Haltung feilen: „Bauch rein, Brust rauf, Kopf hoch“, wie Hagel in seiner Rede empfiehlt.
Zurück in Biberach. Ein anderer Politiker, dem Ambitionen auf die Nachfolge von Winfried Kretsch-mann als Regierungschef nachgesagt werden, kommt nicht bis zur Stadthalle durch. Aber immerhin auf den Gigelberg, wo eine der beiden bei der Polizei angemeldeten Protestaktionen stattfindet. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellt sich der Menge der Unzufriedenen, wird ausgebuht, aber auch angehört.
Dass es wichtig ist, miteinander zu schwätzen, sagt er nach einem Treffen mit Landrat Mario Glaser (parteilos) und verspricht wieder einmal, alle Anliegen ernstzunehmen. Auf eine klare Verurteilung durch die Verbandsvertreter hoffen die Grünen in der Stadthalle zu diesem Zeitpunkt vergeblich. „Wir bleiben neutral“, sagt die stellvertretende Kreisvorsitzende Martina Magg-Riedesser in Biberach. Da sind draußen Pflastersteine schon geflogen.