Entlastungsallianz 

Der Kampf gegen die Bürokratie droht zu erlahmen

Seit anderthalb Jahren diskutieren Verbände und Politik über Bürokratieabbau. Doch es geht zu langsam voran. Die Kommunalverbände fordern in einem 15-Punkte-Papier mehr Tempo. Doch die Lage ist kompliziert und unübersichtlich.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat den Bürokratieabbau zur Chefsache gemacht.

IMAGO/Ben Kriemann)

Stuttgart. Manchmal offenbart eine Szene im Landtag Einblicke hinter dei Kulissen, obwohl es nicht so beabsichtigt ist. Florian Stegmann, seines Zeichens Staatsminister und Chef der Villa Reitzenstein, ha t kürzlich den Bericht zum Bürokratieabbau vorgestellt: „Bürokratie ist – ich glaube, das haben wir alle verstanden – eine Daueraufgabe, und zwar für uns alle.“ Das offizielle Landtagsprotokoll vermerkt an dieser Stelle: „Heiterkeit bei der CDU.“

Sarkasmus also beim Koalitionspartner CDU, der die grün-schwarze Regierung trägt. Und wenn man den Redebeitrag des CDU-Abgeordneten Tobias Voigt hört, wird es noch deutlicher: „Was ist passiert? Nichts oder nicht viel, aber zu wenig.“ Es fehle an Willen, es fehle an Mut. Und weiter: „Die Entlastungsallianz läuft Gefahr, sich im Klein-Klein zu verlieren.“

Ein Brandbrief von Stefffen Jäger gab den Ausschlag

Dieser Befund wird von vielen anderen geteilt. Zur Erinnerung: Im Herbst 2022 schrieben acht kommunale und Wirtschaftsverbände unter Federführung von Gemeindetagspräsident Steffen Jäger (CDU) einen Brandbrief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), dieser bekannte sich öffentlich dazu, gegen das „Bürokratiegestrüpp“ vorgehen zu wollen. Im Staatsministerium wurde ein Masterplan erarbeitet, Arbeitsgruppen mit 50 „Transformationspiloten“ in der Landesverwaltung und eine Geschäftsstelle eingesetzt.

Eine Diskussion zum Bürokratieabbau finden Sie hier.

Immer wieder trafen sich Verbände in mehreren Runden, koordiniert wurde dies von Florian Stegmann. Im Februar wurde dann das so genannte Entlastungspaket I vorgelegt – das zwei wichtige Bausteine enthielt: einen höhren Schwellenwert für Ausschreibungen. Und den so genannten „Erprobungsparagrafen“, mit dem Standards – etwa bei der Kinderbetreuung – versuchsweise gesenkt werden. Beides ein Fortschritt, das erkennen auch viele Bürgermeister an.

Steffen Jäger, der Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg, hat den Prozess mit einem Brandbrief angestoßen. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Drohen die Verbände mit dem Ausstieg?

Allerdings wurde der Erprobungsparagraf laut Landkreistag bislang nur 69 mal beantragt, noch nicht umgesetzt. Und: Nach diesem ersten Paket geht es den Verbänden deutlich zu langsam voran. Die drei Kommunalverbände haben, so hört man es aus den Reihen des Parlaments, sogar mit Ausstieg aus den Gesprächen gedroht. Die Wirtschaftsverbände sind noch nicht so weit. „Es ist besser, eine Entlastungsallianz mit kleinen Fortschritten zu haben als keine zu haben“, sagt etwa Peter Haas, Hauptgeschäftsführer von Handwerk BW. Dennoch sagt auch er, man würde sich „größere Schritte“ wünschen.

Der FDP-Abgeordnete Erik Schweickert zitiert Mitglieder der Entlastungsallianz wie folgt: „Wenn wir unserem Anspruch gerecht werden wollen, auch Aufgaben und Standards zu prüfen, muss sich die Entlastungsallianz auch an die dicken Bretter heranwagen.“

Nun haben Städtetag, Landkreistag und Gemeindetag ein 15-Punkte-Papier mit neuen Forderungen geschrieben, das der Redaktion vorliegt. Sie wollen etwa keine „Übererfüllung“ von EU- und Bundesvorschriften, also kein so genanntes Gold Plating. Oder herausragende Infrastrukturprojekte von Bürgerentscheiden ausnehmen. Versuchsweise soll überlegt werden, wie viel freigestellte Personalräte wirklich nötig sind, in Abstimmung mit den Mitarbeitern. Allein an den Schulen könnte dies rund 400 Lehrstellen bringen. Oder man könnte Standards vor Ort erproben und aussetzen.

Differenzen in der Landesregierung über die Erfolge

Ein dickes Paket also, das eine Mischung von politischen Forderungen und verwaltungstechnischen Vorschlägen ist. Offiziell will sich kein Verbandsvertreter dazu äußern. Doch im parlamentarischen Raum wird Unmut deutlich. Zwischen den Ankündigungen des Ministerpräsidenten und der Umsetzung klafft aus Sicht der Opposition eine Lücke. Darauf verweist der SPD-Abgeordnete Boris Weirauch, der sogar im Staatsministerium selbst „unterschiedliche Auffassungen“ bemerkt haben will.

Während Staatsminister Florian Stegmann sich bei einer Veranstaltung des so genannten InnoLabs „mit viel Eigenlob und sogar einem eigens komponierten Song“ habe besingen lassen, habe Staatssekretär Rudi Hoogvliet (Grüne) im Ständigen Ausschuss des Landtags die Erfolge als „überschaubar“ eingestuft.

Das wirft ein Schlaglicht auf die Frage, inwieweit sich der Regierungschef selbst mit Engagement um das Thema kümmern. So, wie er es bei der Task Force Erneuerbare Energien getan hatte. Kretschmann hatte sich persönlich in die Verwaltungsgdetails eingearbeitet, am Ende wurde die Planungszeit für Windräder halbiert. Derlei Einsatz vermissen manche bei dem grünen Regenten nun. Bei einer Regierungserklärung im November 2023 las Kretschmann lustlos Stichworte vom Blatt ab.

Das Staatsministerium streicht die Erfolge heraus

Florian Stegmann selbst sieht alles natürlich ganz anders, er listete kürzlich im Parlament 37 Projekte auf, von Onlinezulassungen bei Fahrzeugen über Online-Gerichtsverhandlungen und digitale Baugenehmigungen. Er spricht von einer „Erfolgsbilanz“ der vergangenen zwei Jahre. „Ich kann natürlich Pakete schnüren, bis das Paket so groß ist, dass man eine Riesenshow veranstaltet“, sagte er. Oder man könnte konkret kleine Schritte umsetzen.

Und er verweist darauf, dass er als Beamter an politische Vorgaben gebunden sei, etwa des Koalitionsvertrages: „Es ist nicht in meinem Ermessen, dass ich etwas herausstreiche.“ Das rührt an den Grundkonflikt, der in den Gesprächen der Entlastungsallianz angelegt ist: Die Verbände wünschen sich weniger politische Vorgaben in Gesetzen, die Landesverwaltung denkt vor allem an Digitalisierung und schnelle Verfahren.

Das macht das Beispiel des geplanten Landes-Gleichbehandlungsgesetzes deutlich. Verbände und die Wirtschaft fürchten, dass schon wieder neue Vorschriften und Dokumentationspflichten entstehen, während alte nur mühsam abgeschafft werden. Hier sagt Stegmann: Das ist Politik, nicht meine Aufgabe. Sprich: gehört nicht in die Entlastungsallianz.

Die Politik soll mit ins Boot

Es wird dennoch politisch. Die Verbände hatten von Anfang an darauf gedrängt, auch das Parlament einzubinden, auch die Opposition. Man verweist auf das Nachbarbundesland Bayern, in dem eine überparteiliche Enquete-Kommission eingesetzt wurde. Eben um auch die politischen Themen im Konsens zu regeln. Das Staatsministerium, so hört man, wollte dies zunächst nicht.

Nun soll es aber doch ein Gespräch zumindest mit den Fraktionschef Andreas Schwarz (Grüne) und Manuel Hagel (CDU) geben. Da Hagel auch CDU-Landeschef ist und da Thema in Parteitagsreden oft prominent herausstreicht, erhofft man sich Rückenwind. Die beiden der CDU angehörenden Joachim Walter als Landkreistagspräsident und Gemeindetagspräsident Steffen Jäger haben oft deckungsgleiche Forderungen.

Es geht auch um die Bürokratie für künftige Gesetze

Es soll aber nicht um Parteipolitik gehen, wie mancher vermutet. Sondern um die Sache. Und immerhin deutet sich auch auf Regierungsseite Bewegung an. „Das Gleichbehandlungsgesetz ist ja erst mal noch ein Entwurf“, sagte Stegmann vor dem Parlament. Eröffnet das Spielräume, die Dinge großzügiger auszulegen?

Und dann gibt es auch noch den Normenkontrollrat. Das alte Gremium unter Gisela Meister-Scheuffelen wurde Ende 2022 abgeschafft, e in neues unter Vorsitz des ehemaligen Freiburger OB Dieter Salomon (Grüne) eingesetzt. Dieser nimmt kein Blatt vor dem Mund, und sieht etwa gerade das Gleichbehandlungsgesetz durchaus kritisch. Es bleibt nur die Frage, wie viel Zeit noch bleibt, ab 2025 herrscht Dauerwahlkampf.

Joachim Walter, der Präsident des Landkreistages, ist zugleich Landrat in Tübingen. Foto: pressefoto
Staatsminister Dr. Florian Stegmann empfängt den Botschafter der Republik Singapur, Lee Chong Hock, zu einem Gespräch in der Villa Reitzenstein in Stuttgart. Foto: Staatsministerium BW

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