Der deutsche Wald verschwindet
Quedlinburg/Düsseldorf/Freiburg. Verknöcherte Eichen, lichte Buchenhaine und tiefe dunkle Wälder aus Fichten: Die Wälder, durch die Menschen gerade jetzt in den Urlaubswochen gerne streifen, wird es nach Ansicht von Forstexperten nicht mehr lange geben. «Man stellt sich den Wald gerne so vor wie in seiner Kindheit, aber die Wälder verändern sich jetzt», sagt Henrik Hartmann, Leiter des Instituts für Waldschutz am Julius Kühn-Institut in Quedlinburg.
Die Bäume kämpfen mit den Folgen des Klimawandels. Hitzewellen, lange Trockenperioden und Stürme schwächen sie. Während der Wald unter den extremen Wetterkapriolen der vergangenen Jahre litt, profitierten viele Schädlinge wie Insekten und Pilze von den steigenden Temperaturen. Sie treiben damit den Waldumbau voran, meint Ralf Petercord, Waldbauexperte des Forstministeriums in Nordrhein-Westfalen. Fichten: Larven der Borkenkäfer fressen die Bastschicht Am deutlichsten sieht man das an den Fichten.
Über Jahrhunderte setzte die Forstwirtschaft auf die schnell wachsenden Bäume, überall entstanden Reinbestände – die in den vergangenen Jahren ein gefundenes Fressen für die Larven der Buchdrucker-Borkenkäfer waren. In manchen Regionen wie dem Harz traten die Insekten seit 2018 in solchen Massen auf, dass es dort kaum noch alte Fichtenwälder gibt. Die Fichte weist die höchste Absterberate aller Baumarten auf. Zumindest die Höhenlagen der deutschen Mittelgebirge galten vielen noch als sicher, doch auch dort, wo es einst kühl und feucht genug für Fichten war, greift der Borkenkäfer die gestressten Nadelbäume massenhaft an. «Die Temperaturen sind selbst in Höhenlagen von 1000 bis 1500 Metern ausreichend, damit der Buchdrucker ausschwärmt, Fichten befällt und sich fortpflanzt», sagt Markus Kautz von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Reine Fichtenwälder könnten am Ende vielleicht nur noch in den rauen Hochlagen der Alpen übrig bleiben.
Der Eichen-Prachtkäfer
Auch fast die Hälfte der untersuchten Eichen wies bei der jüngsten Waldzustandserhebung eine deutliche Kronenverlichtung auf. Solche geschwächten Bäume sucht sich der Zweipunktige Eichenprachtkäfer, dessen Larven ähnlich wie die des Borkenkäfers unter der Rinde leben. In einigen Regionen hat der Käfer schon bestandsbedrohende Schäden an Stiel- und Traubeneichen verursacht. «Wenn Eichenwälder vorgeschädigt sind, etwa durch die Eichenfraßgesellschaft, durch Hochwasser oder anderes, dann kann der Käfer zum Problem werden», sagt Dominik Wonsack, ebenfalls von der Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. «Dann schaffen es die Bäume nicht mehr, den Käfer abzuwehren.» Dann könnten ganze Eichenbestände absterben.
Buchen: Komplexkrankheit macht Probleme
Ohne den Einfluss des Menschen wären die Wälder in Deutschland von Buchen dominiert. Derzeit kommen Buchenarten auf 16 Prozent – doch auch ihnen geht es häufig nicht gut. «Am Ende des Jahrhunderts werden es die Buchen nicht mehr schaffen, 30 bis 40 Meter hoch zu wachsen, die Wälder werden lichter und niedriger», prognostiziert der Quedlinburger Institutsleiter Hartmann. Außerdem bereitet die sogenannte Buchenkomplexkrankheit Probleme, die häufig nach einem Hitze- oder Dürreereignis auftritt. «Es geht los mit Rissen am Stamm und einem Schleimfluss.» Dann löse sich die Rinde, das Holz faule und es kämen verschiedene Pilze und holzbrütende Insekten wie der Buchen-Borkenkäfer. «Man weiß gar nicht hundertprozentig, was da abläuft», meint Hartmann. Möglicherweise hänge es mit Bakterienbefall zusammen.
Eschen und Ahornbäume von Pilzen befallen
Beim Ahorn hingegen kennt man den Gegner: den Pilz Cryptostroma corticale. Befällt er einen Baum, blättert die Rinde flächig ab, und darunter kommt rußartiger schwarzer Staub zum Vorschein: Sporen des Pilzes. Die sogenannte Rußrindenkrankheit sei vor zehn Jahren noch überhaupt kein Thema unter Förstern gewesen, sagt Hartmann, jetzt aber seien ganze Bestände davon befallen. «Das geht in der Regel auch tödlich aus für den Baum.» Die heimischen Eschenbestände wurden durch das Eschentriebsterben massiv dezimiert. Grund ist schon wieder ein Pilz: Falsches Weißes Stengelbecherchen (Hymenoscyphus pseudoalbidus). Befällt er Bäume, sterben Triebe und Zweige ab, Blätter verwelken und vertrocknen, der Stamm verfärbt sich – schließlich stirbt die Esche. Jüngst allerdings haben Forschende des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in einer Studie eine neue Idee beschrieben: Sie fanden an gesunden Eschen ein Bakterium, das das Wachstum des Pilzes hemmen kann. Ob das in der Praxis hilft, soll erforscht werden.
Gleichgewicht funktioniert nicht mehr
«Grundsätzlich wehren sich die Bäume gegen Insekten und Pilzbefall, und zwar sehr effektiv», sagt Waldbauexperte Petercord aus Nordrhein-Westfalen. «Aber das Gleichgewicht zwischen Bäumen und den anderen Organismen funktioniert oft nicht mehr.» Ist es zu trocken, könnten zum Beispiel Fäuleerreger über die Wurzeln reinkommen, oder der Baum habe nicht genug Kraft, um Abwehrstoffe gegen knabbernde Schmetterlinge zu bilden. Petercord hat die Esche eigentlich schon aufgegeben, auch Bergahorn und Rotbuche sieht er sehr kritisch. Die Entwicklung bei der Eiche sei ebenfalls nicht gut. «Die Hauptbaumarten werden alle an Fläche verlieren», ist er sich sicher. Dafür hätten andere Arten die Chance, viel häufiger in Deutschland zu stehen: die Hainbuche etwa, die Flatterulme oder auch die Erle. Was heimisch war, muss nicht heimisch bleiben Klar ist den Fachleuten: Reinbestände haben keine Zukunft. Fichtenwälder werden schon seit mehr als 30 Jahren in Mischwälder umgebaut, wie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald erklärt. Und anderswo? Welche Bäume sollen Försterinnen und Förster nun pflanzen? «Wir brauchen eine Vielfalt von Ansätzen, denn wir wissen nicht, wie es klimatisch weitergeht», meint Institutsleiter Hartmann. Alle Fachleute sprechen von einem dauerhaften Mischwald, in dem junge Bäume neben möglichst alten Bäumen stehen. Welche Arten darin vorkommen sollten, müsse man ausprobieren, meint Hartmann.
«Wir können heimische Baumarten behalten, aber nicht alles, was bisher heimisch war, wird Ende des Jahrhunderts noch heimisch sein», sagt der Wissenschaftler. Deswegen geraten auch Spezies aus anderen Weltregionen in den Blick. «Diese Arten sollten wir anders betrachten, nicht als fremdländische Art, sondern vielleicht als zukünftig heimische Art.» Eine neue europäische Studie unter Beteiligung des Thünen-Instituts für Waldökosysteme kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Wälder in Zukunft um Bäume aus anderen Regionen ergänzt werden sollten. In dem Bericht ist von einer «unterstützten Migration» die Rede, bei der Baumarten auch aus entfernten Regionen ausgewählt werden, weil sie am besten an das künftige Klima angepasst sind. Heute gepflanzte Bäume müssten schließlich mit dem Klima in 100 Jahren zurechtkommen. (dpa)