Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Kretschmann-Nachfolge: Das große Rätselraten um Cem Özdemir

Kommt Özdemir oder kommt er nicht? War die Osterdebatte nur ein Sturm im Wasserglas? Oder ein Vorbote für eine Entscheidung, die nach den Wahlen am 9. Juni fallen soll? Eine Spurensuche nach den Puzzlestücken.

Cem Özdemir (Grüne) könnte Nachfolger von Winfried Kretschmann werden. Aber will er das auch?

dpa/Joerg Carstensen)

Stuttgart/Berlin. Kürzlich saß Cem Özdemir am Frühstückstisch des dreifachen Ringer-Weltmeisters Frank Stäbler in Musberg (Kreis Esslingen). Auf die Frage, ob er 2026 Spitzenkandidat der Grünen werden will, fragt der 58-Jährige zurück: „Was meint ihr denn, soll ich es tun?“ Als Stäbler erklärt, er würde das „sehr begrüßen“, wie die Stuttgarter Zeitung berichtet, lächelt Özdemir nur – charmant nichtssagend. Aber er dementiert auch nicht mal ein bisschen.

Diese Szene kann sinnbildlich stehen für die Phantomdebatte, die eine dünne Meldung der Bild-Zeitung zum Ende der Osterferien entfacht hat. Wenn man sich umhört, rätseln alle über die Quelle. Landesvorstand? Fraktion? Die Bundespartei? Oder war es die politische Konkurrenz? Bei der Union fürchtet man Cem Özdemir als Gegner und bereitet sich im Team Hagel vor. „Die haben Angst vor einem Duell des jungen Manuel Hagel gegen den erfahrenen Cem Özdemir“, hört man aus grünen Kreisen.

Einen Kommentar dazu lesen Sie hier.

Dass die Union den gebürtigen Bad Uracher ernst nimmt, darauf deuten verbale Attacken auf den Bundesagrarminister diese Woche hin: Der Esslinger CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Deuschle kritisiert – wiederum via Bild-Zeitung – in der Debatte über Ausländerkriminalität: „Die Özdemir-Grünen müssen jetzt endlich aufhören, alles zu blockieren, was die Migration ordnet, steuert und begrenzt.“

Ist ein geplantes Özdemir-Buch die Quelle der Gerüchte?

Woher jedoch das Gerücht der Bild stammt, Özdemir habe einen „Macht-Fahrplan fürs Ländle“ und sei bereit, 2026 anzutreten, bleibt rätselhaft. Eine Meldung des Ullstein-Verlages über das geplante Buch von Özdemir (Titel: „Übertreibt nicht!“) wurde als Ursache vermutet, sie tauchte just am Freitag nach Ostern auf.

Darin hieß es im Klappentext über den Grünen-Politiker: „Er zeigt anhand seiner Biografie, warum der Weg in eine gerechte, liberale Gesellschaft nur über universalistisches Denken und individuelle Akte der Solidarität führt.“ Die Meldung auf der Ullstein-Seite wurde jedoch schnell wieder gelöscht.

Die grünen Dementis sind dürftig. „Es gibt keinen neuen Stand“, teilt der Landesgeschäftsführer Andreas Hamm mit. Doch Özdemir ist auffallend viel unterwegs im Land, läuft von Termin zu Termin. Das war sogar dem Spiegel kürzlich eine mehrseitige Reportage mit vielen Bildern wert.

Die Hintergründe zu Cem Özdemir lesen Sie hier.

Auch der Spiegel berichtet

Und im Kölner Stadtanzeiger kommentiert der Social-Media-Guru Erik Flügge am Sonntag: „Ich kann Özdemir nicht in den Kopf schauen, aber sein gesamtes politisches Schachspiel weist in eine Richtung: Baden-Württemberg.“

Kommt Özdemir 2026 also, um Kretschmann nachzufolgen, oder kommt er nicht? „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, heißt es im Parteirat der Grünen. Özdemir werde kommen, „aber nicht zu früh“. Denn Kretschmann habe die Sorge, nach der entsprechenden Ankündigung nur noch als „ Lame Duck“, als lahme Ente, wahrgenommen zu werden.

„Ich will regieren!“, rief er fast verzweifelt in der Landespressekonferenz, „es sind noch zwei Jahre, das steht jetzt nicht an. Es wird alles gut werden.“ Doch so wird Kretschmann die Debatte in seiner Partei kaum im Keim ersticken können.

Der Stabwechsel misslang schon in der vergangenen Legislaturperiode: Kretschmann hatte Dieter Salomon ausgeguckt, in Zeiten, als dieser noch Freiburger OB war. Der frühere Landtagsfraktionschef mochte aber nicht zurück rotieren nach Stuttgart.

Nach den „Midterm Elections“ am 9. Juli wird entschieden

Gegenwärtig profitiert die Union vom Dauerstreit in der Ampel. Der BW-Trend weist einen Zehn-Punkte-Vorsprung für die Südwest-CDU (32 Prozent) aus. Im Staatsministerium hatte man die Idee entwickelt, die Doppelwahl am 9. Juni zu „Midterm Elections“ zu erklären, also zu einer Art Zwischenwahlen wie in den USA.

Inzwischen werden kleinere Brötchen gebacken in der Hoffnung, die 17,1 Prozent in Städten und Gemeinden aus Jahr 2019 zu bestätigen. Pascal Haggenmüller , der Landesvorsitzende, ist nicht pessimistisch, auch weil die Partei in 50 Kommunen und die Mitgliederzahl auf 17 000 seit 2011 verdoppelt hat. Klar ist: Die Südwest-Grünen benötigen einen charismatischen Spitzenkandidaten. Und spätestens bis Dezember werden die Bundestagskandidaten für 2025 nominiert – Özdemir muss sich deutlich vorher entscheiden, ob er wieder im Wahlkreis Stuttgart I antritt. Nach den Wahlen am 9. Juni werden Weichen gestellt, hört man.

Die Opposition feixt über die Personaldebatte

Bei der Opposition feixt man. „Die Grünen sind in einer Sackgasse, Özdemir ist ihre letzte Hoffnung“, lästert man bei der SPD. Tatsächlich wird ihm am ehesten zugetraut, die Lücke zu füllen, die Winfried Kretschmann 2026 hinterlassen wird. „Wir könnten Özdemir wirklich gut gebrauchen“, sagt ein Landtagsabgeordnete, zumal Fraktionschef Andreas Schwarz seine eigenen Ambitionen auffallend zurück stellt. „Man legt keine Steine in den Weg“, heißt es in der grünen Fraktion.

Dabei hat in Baden-Württemberg eigentlich Tradition seit Lothar Späth, dass der Fraktionschef der größeren Regierungspartei auch Ministerpräsident wird. Bekannt ist von Schwarz, dass er sich intensiv hinter den Kulissen darum bemüht, dass die Bildungsallianz von Grünen, CDU, FDP und SPD zustande kommt. Ein Erfolg wäre eine Visitenkarten, aber der Wirtschaftsjurist ist erst 44 Jahre alt und könnte gut auch noch warten.

Vorläufig in einer Zuschauerrolle ist die CDU. Immerhin hat Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel kürzlich im Interview mit dem Nachrichtenportal „ Nius “ erklärt: „Am Ende muss ein Fraktion- und Parteivorsitzender der CDU immer den Anspruch haben, die nächste Regierung anführen zu können.“

Ein Artikel von Rafael Binkowski und Johanna Henkel Waidhofer

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch