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Das Gleichbehandlungsgesetz passt nicht in die aktuelle Zeit
Stuttgart. Die Grünen bemühen sich, die Scherben der vergangenen Woche zusammenzukehren. Und vom Gleichbehandlungsgesetz zu retten, was noch zu retten ist. Der an den SWR durchgestochene Brief von Staatsminister Florian Stegmann an Fraktionschef Andreas Schwarz, in dem Ersterer erklärt, das Gesetz nicht weiter zu verfolgen, hat die grüne Fraktion in Aufruhr versetzt. Manche fordern Stegmanns Entlassung, es kursieren bereits Namen von potenziellen Nachfolgern in Grünenkreisen.
Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht treu zum Chef der Staatskanzlei, obwohl er auf seiner Rumänien-Reise von der Veröffentlichung des Briefes kalt erwischt wurde. Doch der Regierungschef wird allein schon deswegen an ihm festhalten, weil ein Wechsel an dieser zentralen Nahtstelle der Regierung anderthalb Jahre vor der Wahl riskant wäre. Und die eingespielte grün-schwarze Koalitionsmaschine ins Stottern geraten würde. Ein Foulspiel war es gleichwohl. Allerdings eines, das auch Chancen eröffnet.
Lesen Sie hier: Kretschmann will Gesetz neu aushandeln
Anhänger und Gegner werden wachgerüttelt
Die Befürworter eines Gleichbehandlungsgesetzes, das einst von Grünen und CDU ausgehandelt wurde und vom Innenministerium gemäß des Koalitionsvertrages aufgesetzt wurde, sind wachgerüttelt. Und die Gegner wittern die Chance, die aus ihrer Sicht „ungeliebte Bürokratie“ aus der Welt zu schaffen.
Nun kann man lange semantisch diskutieren, ob der Verweis auf das Grundgesetz und das bundesweite Anti-Diskriminierungsgesetz nicht ausreicht, oder ob man mit dem Landesgesetz auch die öffentliche Verwaltung regulieren muss. Ob das geplante Klagerecht zu einer Klagewelle führt (was nicht zu befürchten ist), oder zumindest zu noch mehr Verwaltungsaufwand bei den Kommunen (was der Fall sein wird).
Die Grünen schaffen sich neue Angriffsflächen
Letztlich ist es für die Grünen aber auch eine strategische Frage. In einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise, in der die Ökopartei in der Defensive ist und um ihre Kernwerte kämpfen muss, nämlich um den ökologischen Umbau der Wirtschaft, passt dieses Stück Identitätspolitik derzeit nicht. Es schafft neue Angriffsflächen für Rechtspopulisten und konservative Kritiker.
Anstatt sich um die Addition von Minderheiten zu kümmern, sollten die Grünen lieber auf die Mehrheit in der Mitte schauen, die sie bei den nächsten beiden Wahlen gewinnen müssen. Die interessiert weniger die letzte Verästelung von Anti-Diskriminierungsstellen, sondern wie die Autoindustrie transformiert, die Elektromobilität bezahlbar und der Netzausbau ermöglicht wird. Oder wie man die Migration regelt.
Wenn die linke Mitte hier keine Antworten liefert, wird sie auf lange Zeit ohne Gestaltungsmacht bleiben. Und eine ganz andere Gesellschaftspolitik gemacht werden. Es gilt nun, für das Gesetz eine kluge, gesichtswahrende Lösung zu finden.