Das autonome Automobil ist auch in Japan noch Zukunftsmusik

Delegationsbesuch im Think Lab Tokio: Verkehrsminister Winfried Hermann und sein Team erkunden die neuesten Technologien für autonomes Fahren.
Tokyo. Das Versprechen hören wir seit vielen Jahren: Bald können Autos vollkommen selbstständig fahren, sodass man den Fahrersitz umklappen und ein Buch lesen kann. Nur: Das autonome Fahren der Stufe 4 ist weit entfernt von der Realität. In Deutschland wie in Japan gibt es nur Teststrecken, Feldversuche, Laborsimulationen. Kann die gut 30-köpfige Delegation um Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) in Japan Antworten finden?
Zunächst geht es ins IBM Tokio Research Center, ein riesiges Forschungszentrum für künstliche Intelligenz. Die Gäste aus Baden-Württemberg müssen wie immer viele, viele Stockwerke hochfahren im riesigen IBM-Hochhaus, das doch in der gigantischen Skyline der 15-Millionen-Stadt Tokyo fast unterzugehen scheint.
Und dann steigt die Spannung – hinter einer beigen Wand versteckt sich das Tech Lab. Alle schauen gespannt die Wand an, die sich dann in Lamellen filetiert und die Besucher durchlässt. Das goldfarbene Innere eines Supercomputers schlummert in einer Vitrine, überall scheinen Monitore, es sieht ein wenig aus wie im Raumschiff Enterprise. Wird hier die Zukunft erforscht?

Zumindest wird erkundet, wie sie aussehen könnte. Der Forschungschef von IBM Japan, Yoshikuhi Kawashima wirft auf die drei gespiegelten Riesenbildschirme auf der Bühne atemberaubend komplexe Schaubilder. „Daran arbeiten wir seit 2006“, sagt er dann und zählt nahezu alles auf. Doch aus dem Datensalat kristallisieren sich schnell einige zentrale Botschaften heraus: IBM will eine Cloud schaffen, die Daten von Millionen von Fahrzeugen sammelt, um in Echtzeit eine digitale Modellierung des Straßenraums zu schaffen. „Das erfordert massive Messungen“, sagt Kawashima.

So können die einzelnen Fahrzeuge Warnungen erhalten, wenn es glatt ist, Aquaplaning droht oder auch nur, wenn Stau herrscht. Die Herausforderung besteht darin, den autonom gelenkten Autos das Know-how mitzugeben. Das ist alles andere als einfach. In Animationen wird gezeigt, wie der Wagen einem Hindernis ausweicht oder die Spur wechselt. In Projekten etwa in Italien ist es gelungen, durch Assistenzsysteme die Zahl der Unfälle um 20 Prozent zu reduzieren.
„Das sind sehr komplexe Systeme“, sagt der Minister Winfried Hermann, fragt nach Open Source Software. Die IBM-Manager lächeln, eine definitive Antwort haben sie offenbar noch nicht gefunden. Oder wollen ihre Geheimnisse noch nicht verraten. Doch dann zeigen sie einen selbst fahrenden Koffer, der Blinde sicher per Sprachsteuerung durch eine Menschenmenge oder zu einem Ladengeschäft leitet. „Damit wollen wir auf der Expo 2025 in Osaka auftreten“, sagt Takeshi Fukunda.
Wenn so ein kleiner Koffer durch die Millionenstadt surft, kann das nicht auch ein Auto auf einer Landstraße? Bei IBM wird auch mit Blockchain-Technologie gearbeitet. 3000 Forscher hat der US-Konzern weltweit im Einsatz, in Europa in Finnland und der Schweiz etwa. Nicht in Deutschland. „Vielleicht ist der Koffer bald ein Auto“, scherzt Winfried Hermann.

Dann aber wird es praktisch: Es geht erneut in die Provinz Kanagawa, mit der Baden-Württemberg eine Partnerschaft seit 1989 verbindet. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat eine enge Partnerschaft mit dem Kanagawa Institute for Technology (KAIT), das fast genauso heißt. Das weitläufige Gelände geizt nicht mit etwas, woran es in Japan an allen Ecken und Enden mangelt: Platz. Der großzügige Vorplatz ehrt mit einer Statue den Institutsgründer, der 1963 mit gerade mal 135 Studenten begann, heute sind es 4200. In dem Gebäude – natürlich ein Hochhaus – zeigen die Forscher mit Begeisterung und Leidenschaft, woran sie tüfteln.
Was passiert mit dem autonomen Auto, wenn Nebel aufkommt? Oder Nacht ist? Die Sonne von hinten tief stehend die Sensoren blendet? Wenn es regnet, sich Wassertropfen auf die Sensoren setzen? Wenn ein Radfahrer ohne Lichter nachts auf der Straße radelt? Es geht auf den Teststand. Eine mit tausend Kabeln vernetzte Fahrerkabine fährt auf Schienen nach rechts und links. Es ruckelt, es wackelt, das Auto weicht Hindernisse, anderen Autos und Fußgängern aus.
Oder im Nebenraum wird gezeigt, wie trotz simulierten Nebels Personen erkannt werden. Die Kamera auf dem Dach eines Testautos zeichnet rote Vierecke um alle Personen im Raum, auch die Besucher aus „The Länd“. Erkannt, Gefahr gebannt.
Nebenan ist eine Spielzeugauto-Rennbahn aufgebaut, die Ingenieure knien mit leuchtenden Augen daneben. „Das Auto fährt komplett selbstständig“, sagt einer der Forscher. Und tatsächlich, es bockt nirgends an, auch in zehn Runden nicht.
Anderswo wird mit Wasser aus einer Sprühflasche Regen simuliert, das auf einem Sensor perlt: „Der Computer muss das jetzt berechnen, der Mensch erscheint durch den Regentropfen kleiner.“ Und schließlich der ultimative Test, ein großer Transporter ist aufgesägt, man sitzt drin und sieht simulierte Unfälle, die auf real erleben Gefahrensituationen beruhen. Alle schreien laut auf, als der Lastwagen immer näherkommt.
Eng mit dem KAIT zusammen arbeitet seit zehn Jahren der Karlsruher Unternehmer Mohanad El-Haji – er hat als Ausgründung aus dem KIT ein Start-up für künstliche Intelligenz gegründet. Inzwischen hat er 22 Mitarbeiter. Mit seinem Partner in Japan hat er entdeckt: „Die Fahrzeugtechnik braucht neue Impulse.“ Diese Botschaft verbreiten sie in beiden Ländern. Und werden erhört, langsam. Die Idee dahinter: Der Bordcomputer in einem autonom fahrenden Auto muss lernen, die vielen Fehlermeldungen einzuordnen. „Wir brauchen ein KI-Modell dazu“, sagt El-Haji. Denn die schier unendlich vielen Varianten im Straßenverkehr benötigen eine Einordnung: Muss ich bei einem Ball anhalten? Oder einem Kinderwagen? Ist der Sensor kaputt oder hat nur ein Vogel drauf gemacht? „Wir brauchen einen Gültigkeitsraum“, so die Definition.

Auf politischer Ebene treffen Verkehrsminister Winfried Hermann und die Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU) und Sascha Binder (SPD) den japanischen Vize-Verkehrsminister. Journalisten sind nicht zugelassen, aber es gibt Ergebnisse aus dem Gespräch. „Japan will bis 2035 nur noch Hybrid- und Elektromotoren zulassen“, berichtet Hermann. Allerdings setzten sie dabei stark auf den in Japan weitverbreiteten Hybridmotor, der aus Benzin Strom für einen Elektromotor herstellt. Und diesen wollen sie erst einmal mit E-Fuels betreiben, also klimaneutral.
Die Infrastruktur dazu ist allerdings noch im Teststadium. „Da gibt es noch sehr wenig, wie wir auf Nachfragen erfahren haben“, sagt etwa der CDU-Mann Thomas Dörflinger. Dennoch ist der Austausch spannend – das Verkehrssystem ist in Japan perfekt organisiert, aber privat. Die Zuglinien betreiben Großunternehmen, alle Linien sind mit dem Schnellzug Shinkansen perfekt abgestimmt. Und 72 Prozent aller gefahrener Kilometer im Land werden per Bahn zurückgelegt. Viele besitzen gar kein Auto, und wenn dann ein „Compact Car“ für die Stadt.

Und wie geht es den deutschen Firmen in Japan? Christian Mecker, der Präsident von Bosch Japan, ist beim Empfang der deutschen Botschafterin in Japan zu Gast. Auf die Frage hin lächelt er: „Unser Problem sind die Probleme in Deutschland.“ Klar, Bosch kämpft mit der Krise, das schlägt rein. In Japan beschäftigt Bosch 6200 Mitarbeiter, vorwiegend mit Bremsenherstellung. „Für Elektroautos und Verbrenner“, sagt Mecker. Die Kunden sind sicher, das Geschäft läuft, man schätzt Made in Germany. Immerhin ein weiterer Lichtblick in Richtung Deutschland.
Am Mittwoch geht es weiter nach Südkorea – auch in Asien, aber mit einer ganz anderen Mentalität.
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Winfried Hermann und das japanische Einparkwunder | Staatsanzeiger BW