Özdemir will Ministerpräsident werden – SPD warnt vor längstem Wahlkampf aller Zeiten

„Mein Name ist Cem Özdemir.“ Mit diesen Worten beginnt ein offener Brief, mit dem sich Cem Özdemir um die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2026 bewirbt. Die Reaktionen sind erwartungsgemäß gespalten - Freude bei den Grünen, Kritik bei der Opposition. 

Cem Özdemir beim Schäferlauf in Bad Urach – der Grünen-Politiker wird Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2026 und strebt die Nachfolge von Ministerpräsident Winfried Kretschmann an.

Stefan Puchner/picture alliance/dpa)

Stuttgart . Mit einem vierseitigen persönlichen offenen Brief bewirbt sich Cem Özdemir (Grüne) um die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2026. „Mein Name ist Cem Özdemir“, schreibt der Bundeslandwirtschaftsminister. Er wolle „als Ministerpräsident von Baden-Württemberg dienen und alles für dieses Land geben“. Damit sind auch die wochenlangen Spekulationen beendet, ob der 58-Jährige tatsächlich in die Landespolitik wechseln will. Als Gegenkandidat wird, ebenfalls bereits seit Wochen, CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel gehandelt. Der hält sich allerdings weiterhin bedeckt.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist seit Langem eingebunden, jetzt sind auch die Südwest-Grünen brieflich informiert. Eingeteilt in fünf Kapitel erläutert Özdemir seine Beweggründe, verspricht, „zu stärken, was uns beieinander hält: Eine gute Daseinsvorsorge vor Ort, auf die sich alle verlassen können“. Das Engagement der vielen Ehrenamtlichen, die sich in ihrer Freizeit für andere und für unser Gemeinwesen einsetzten, im Sportverein oder der Bürgerinitiative, bei der freiwilligen Feuerwehr oder in der Nachbarschaftshilfe“. Ihm sei bewusst, schreibt er weiter, „welch große Verantwortung es bedeutet, dieses wunderbare Land als Ministerpräsident zu führen“. Er habe sich „gründlich geprüft“ und viel an seine verstorbenen Eltern gedacht zu haben. Besonders an die Mahnung seiner Mutter: „Dieses Land hat dir ermöglicht, Abgeordneter zu werden, das ist eine große Ehre, vor allem aber ist es die Verpflichtung, immer alles für dieses Land zu geben.“

Startschuss für den Vorwahl

16 Monate vor Ende der Legislaturperiode ist Özdemirs öffentliche Ankündigung auch der Startschuss in eine Art Vorwahlkampf. Kretschmann hatte sich schon zu Beginn der Legislaturperiode darauf festgelegt, 2026 nicht mehr anzutreten. Mehrfach hatte er über die während der Koalitionsverhandlungen 2021 mit der CDU getroffene Absprache berichtet, wonach die im Falle seines vorzeitigen notwendigen Rücktritts einen Nachfolger aus den Reihen der Grünen im Landtag mitwählen würde. CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel machte vor gut einem Jahr jedoch deutlich, dass er allein Kretschmann „als Grundlage für unsere Koalition“ anerkennt. In einem seiner Sommerinterviews sagte Hagel, der von vielen in seiner Partei bereits als Spitzenkandidat 2026 gesehen wird, die Entscheidung darüber werde „vermutlich“ erst im Frühjahr fallen.

In einer ersten Reaktion auf den Özdemir-Brief erklärte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, sich „riesig zu freuen“. Schwarz selber waren ebenfalls Ambitionen nachgesagt worden. Jetzt lobt er den Parteifreund, dessen Biografie für alles stehe, „was dieses Land stark macht“. Auch Winfried Kretschmann äußerte sich erfreut: Cem Özdemir „bringt alles mit, was Baden-Württemberg braucht“, schreibt er. „Er hat Regierungserfahrung und ist eine über Parteigrenzen hinweg geschätzte Persönlichkeit. Er verbindet eine klare Haltung mit pragmatischem Handeln. Er hat bewiesen, dass er Rückgrat hat und auch vor schwierigen Herausforderungen nicht zurückschreckt.“ Außerdem sei er „als gebürtiger Schwabe ist er tief mit unserem Land verwurzelt“. Skeptischer reagieren die Sprecher der Grüne Jugend. „Cem Özdemir muss beweisen, dass er auch bei Gegenwind für die Werte und Beschlüsse der Partei eintritt“, teilte Tim Bühler mit. Tamara Stoll forderte, dass das Wahlprogramm eine klar erkennbare Grüne-Jugend-Handschrift tragen müsse.

„Längster Wahlkampf, den das Land je gesehen hat“

Kritik kommt von der Opposition. SPD-Generalsekretär Sascha Binder kommentierte: „Özdemir eröffnet nun offiziell den längsten Wahlkampf, den unser Land je gesehen hat. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten zwischen Grünen und CDU beginnt – die Regierung Kretschmann ist damit faktisch im Ruhestand.“ Ein gescheiterter Agrarminister sei „kein geeigneter MP“, erklärte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Wir brauchen in Baden-Württemberg niemanden, der in der Ampel in Berlin gescheitert ist und nun in unser Land flüchten will.“ Für die AfD kritisierte Fraktionschef Anton Baron, „dass die Grünen traditionell die ungeeignetsten Leute an die Spitzen stellen“. Gerade erst habe eine Umfrage gezeigt, „dass die Mehrheit der Bürger Baden-Württembergs Özdemir ganz sicher nicht als Ministerpräsident sieht“. Und auch die Jugendorganisation der mitregierenden Christdemokraten meldete sich zu Wort. „Baden-Württemberg braucht keinen Ampel-Cem“, erklärte der Landesvorsitzende der Jungen Union, Florian Hummel.

Das Umfrageinstitut Kantar hatte im Auftrag von „Privat.Radio“ ermittelt, dass nur 23 Prozent der Befragten in dem gebürtigen Uracher den Wahlsieger vermuten. 46 Prozent halten hingegen die Wahl Hagels zum Regierungschef für wahrscheinlich. Bei der Landtagswahl im März 2021 hatten die Grünen 32,6 Prozent erreicht, die CDU kam auf 24,1 Prozent, die SPD auf 11, die FDP auf 10,5 und die AfD auf 9,7 Prozent. Aktuelle Umfragen zeigen die Grünen im Südwesten deutlich hinter der CDU. Während die Grünen bei der letzten Landtagswahl 2021 noch 32,6 Prozent der Stimmen erhielten, liegen sie in jüngsten Befragungen nur noch bei 18 Prozent.

Mit diesem Schritt könnte der erfahrene Politiker, der bereits verschiedene wichtige Positionen auf Bundes- und Europaebene innehatte, erneut Geschichte schreiben – als potenziell erster Ministerpräsident mit türkischen Wurzeln.

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