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Cem Özdemir ist die letzte Hoffnung für die Grünen
Stuttgart. Manchmal gilt die alte Fußballerweisheit: Wenn’s nicht läuft, kommt auch noch Pech dazu. Das ausgerechnet in diesen Tagen die Mannheimer Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen zur CDU übertritt mit der Begründung, man dürfe in Diskussionen „nicht in Schubladen gesteckt werden“, passt ins Bild. Die Grünen haben bei der Europawahl im ländlichen Raum das verloren, was seit 2011 unter Winfried Kretschmann in Oberschwaben und anderen früher „schwarzen“ Gegenden gewonnen wurde.
CDU bejubelt Übertritt der Mannheimer Abgeordneten
Zwar liegen die Motive von Melis Sekmen eher in der persönlichen Perspektive, wie die Rhein-Necker-Zeitung analysiert: 2021 war sie nur knapp über die Landesliste der Grünen ins Parlament eingezogen, bei der CDU hat sie 2025 bessere Chancen. „Ich war völlig überrascht“, bekennt die grüne Staatssekretärin Elke Zimmer, die aus Mannheim stammt. Während der Kreisverband fordert, das Mandat zurück zu geben, jubelt man bei der CDU, Parteichef Manuel Hagel begrüßt sie in der „Heimat der fleißigen Menschen“.
Parteiübertritte gibt es immer wieder, zuletzt tat dies 2007 der Finanzpolitiker Oswald Metzger. Doch die grüne Basis ist verunsichert, man sucht nach Ursachen. Das wird auch beim Kongress der Grünen-Kommunalpolitikvereinigung GAR in Mannheim deutlich. Immerhin konstatiert die Vorsitzende und Waiblinger Abgeordneten Swantje Sperling, dass der Absturz in den Räten milder ausfiel, und setzt auf Basisarbeit: In einer Resolution fordert man, die Daseinsvorsorge zu stärken. Doch wen man bei den Grünen in diesen Tagen auch anspricht, vom einfachen Mitglied bis zum Minister, es herrscht Frustration und Ratlosigkeit.
Die Grünen sind ratlos, wie mit der Niederlage umzugehen ist
Auch der Ministerpräsident Winfried Kretschmann wirkt in der Landespressekonferenz konsterniert, rät seiner Partei aber: „Wir brauchen eine harte Analyse.“ Und: Keine Ideologie, sondern pragmatisch an Lösungen arbeiten, kein Gezerre in der Ampel in Berlin, sondern Probleme angehen. Auch fordert Kretschmann eine „klare Linie“ in der Migrationspolitik.
Die Hoffnungen richten sich nun zunehmend auf einen Mann, der derzeit noch in Berlin tätig ist: Cem Özdemir. Daher wird jeder Auftritt jetzt mit besonderem Augenmerk betrachtet. Es gibt kaum eine Woche, in der der Bundesagrarminister nicht in „The Länd“ wäre. Erst kürzlich sprach er bei Südwestmetall über Fußball. An diesem Montag ist der ehemalige Parteichef und aus Bad Urach stammende Grünen-Politike r bei der Architekturkammer in Stuttgart.
Özdemir inszeniert sich als Nachfolger von Kretschmann
Als einer der wenigen trägt er Krawatte. Und nimmt das Publikum mit einem Scherz für sich ein. „Ich hätte auf meine Mitarbeiter hören sollen“, witzelt er, „aber ich habe ihnen gesagt: Das ist Stuttgart, da trägt man Krawatte. So bin ich halt.“ Und schon hat er die Lacher auf seiner Seite.
Was folgt, ist eine fast einstündige Rede, die man gut auch als Bewerbung um die politische Nachfolge von Winfried Kretschmann deuten könnte. Natürlich sagt das Özdemir nicht, er verliert kein Wort darüber, dass in Grünen-Kreisen wirklich alle davon ausgehen, dass er im September als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026 präsentiert wird. Aber der 58-Jährige lobt die Eigenschaften am amtierenden Ministerpräsidenten, die er selbst verkörpern will. „Er hat eine Kunst darauf gemacht, Fehler einzugestehen“, lobt Özdemir den 76-Jährigen. Und setzt dann auf geradezu konservative Tugenden: „Politiker sollten nicht immer den Eindruck erwecken, für alles eine Lösung zu haben.“ Auch das gibt Applaus.
Einen Bericht über Manuel Hagel beim Sozialflügel der CDU lesen Sie hier.
Özdemir gibt sich überparteilich und staatsmännisch
Darüber hinaus gibt sich der Bundesminister betont überparteilich, staatstragend. Kein Angriff auf die CDU, die er mit keinem Wort erwähnt. Mit einem rhetorischen Kniff gibt er sich überparteilich: „Ich bin ein entschiedener Gegner der AfD. Aber was auf dem Parteitag geschieht, das geht nicht. Die Delegierten müssen sicher rein und wieder raus kommen.“
Noch bemerkenswerter ist, dass Özdemir sich von dem Streit der Ampelregierung in Berlin distanziert. „Ich würde mir auch wünschen, dass ich etwas anderes sagen könnte“, sagt er. Fast so, als wäre er nicht Bundesminister im Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und als würden die Grünen in Baden-Württemberg nicht seit 13 Jahren den Regierungschef stellen – Özdemir gibt sich als Erneuerer. Das kommt bei diesem nicht grünentypischen Publikum gut an.
Dass die CDU Özdemir als Gegner ernst nimmt, zeigt ein Interview von Parteichef Manuel Hagel in der Schwäbischen Zeitung, Überschrift: „Axt am deutschen Wald: Hagel will Özdemirs Waldgesetz zu Fall bringen.“ Hagel teilt dies genau so auf einem Instagram-Account. Der Wahlkampf 2026 und das Duell Özdemir gegen Hagel, Erfahrung gegen Jugend, es hat schon begonnnen.