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Interview: Saskia Esken (SPD)

„Ich will keinen Praktikanten im Kanzleramt haben“

Saskia Esken wurde vor knapp sechs Jahren überraschend Parteivorsitzende in einem Mitgliederentscheid. Und setzte sich gegen einen gewissen Olaf Scholz durch. Jetzt verteidigt sie den Bundeskanzler, hofft auf eine Aufholjagd, und nennt Friedrich Merz einen „Praktikanten“.

Saskia Esken ist seit 2020 Bundesvorsitzende der SPD. In ihrem Calwer Wahlkreisbüro laufen die Fäden zusammen.

Achim Zweygarth)

Staatsanzeiger: Frau Esken, die Stimmung im Land ist polarisiert: Die einen gehen auf die Straße, sehen die Demokratie bedroht, die anderen sagen, es hat sich im Bundestag die Volksmehrheit durchgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Saskia Esken: Ich sage ganz eindeutig, dass es eine Zusammenarbeit, wie auch immer geartet, mit der AfD, also den Feinden unserer Demokratie, nicht geben darf. Das ist ein Tabubruch. Rechtsradikale Parteien sind in den vergangenen Jahren in Europa immer nur dann an die Macht gekommen, wenn Konservative ihnen den Steigbügel gehalten haben. Und genau das darf in unserem Land nicht wieder passieren.

Musste Friedrich Merz nicht so handeln, um der AfD die Meinungsführerschaft zu dem Thema zu entreißen?

Nein, im Gegenteil. Friedrich Merz hat vor wenigen Wochen zu einem möglichen FPÖ-Kanzler in Österreich gesagt: „Einmal ’33 reicht.“ Da dachte ich, er hätte es verstanden. Dass er jetzt diesen Schritt ohne Not gemacht hat, das fand ich schon erschreckend verantwortungslos. Er hat damit Vertrauen verspielt und der Bevölkerung ist unklar, wie er sich nach der Wahl verhalten wird.

Aber es gibt offensichtlich ein ein Problem mit ungesteuerter Migration …

Diese Bundesregierung hat weitreichende Entscheidungen getroffen, mit denen die irreguläre Migration geordnet und begrenzt wurde. Rückführungen, Grenzkontrollen und ein europäisches Asylsystem. Jahrelang wurde von allen erklärt, die Migration sei nur auf dem europäischen Weg zu bewältigen. Erst Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser haben in Verhandlungen genau das erreicht. Es wird an den Außengrenzen ein wirksames Management geben und eine solidarische Verteilung auf die Mitgliedstaaten, die der Leistungsfähigkeit entspricht.

Kanzler Olaf Scholz ist sehr unbeliebt. Erst kürzlich gab es neue Berichte, wonach die Parteispitze versucht hat, ihn als Kanzlerkandidaten zu verhindern. Wäre man mit Boris Pistorius vielleicht doch besser gefahren?

Das ist eine vollkommen haltlose Geschichte, die von den Beteiligten bereits klar dementiert wurde. Deswegen will ich das gar nicht weiter kommentieren. Ich habe in den letzten fünfeinhalb Jahren sehr eng und vertrauensvoll mit Olaf Scholz zusammengearbeitet. Ich bin überzeugt, dass er der richtige Mann ist, um unser Land zu führen. Ich möchte keinen Praktikanten ohne Erfahrung im Kanzleramt sitzen haben, sondern dort soll jemand sitzen der international erfahren ist und sich in Regierungsgeschäften auskennt.

Wir verlieren Arbeitsplätze, die Autoindustrie ist in der Krise. Was kann man tun, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen?

Das ist ein wichtiges Thema. Die Wirtschaft leidet an einem internationalen Wettbewerbs- und Strukturproblem, das in einigen Unternehmen zu dem befürchteten Abbau von Arbeitsplätzen führt. Andere wenden das mit Hilfe der Kurzarbeit ab und das ist auch der klügere Weg. Es braucht eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beste Chancen für Kinder und Jugendliche – und ja, auch Zuwanderung ist einer der Schlüssel zur Lösung. Deswegen war eines der zentralen Projekte der Ampel in den vergangenen drei Jahren das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Mit Entbürokratisierung und Erleichterung von Fachkräfte- und Arbeitskräfteeinwanderung, auch für Ausbildungen. Das ist dringend notwendig.

Aber wie will die SPD die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen?

Wir müssen die Zuversicht und den Blick nach vorne stärken. Die SPD will mit einem „Made in Germany“-Bonus Investitionen ankurbeln. Angelehnt an Konzepte wie den „Inflation Reduction Act“ von Joe Biden. Das bedeutet: Wenn Unternehmen in Deutschland investieren, können sie zehn Prozent der Kosten direkt von der Steuerschuld abziehen. Zudem wollen wir mit dem Deutschlandfonds öffentliches und privates Kapital zusammenführen und damit den Ausbau von Strom- und Wärmenetzen und den kommunalen Wohnungsbau vorantreiben. Und schließlich wollen die die Schuldenbremse reformieren, um Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und die Verteidigung zu ermöglichen.

Mehr öffentliche Investitionen, das ist klassische SPD-Politik. Was haben Sie noch als Rezepten gegen die Wirtschaftskrise im Köcher?

Ein weiteres zentrales Thema ist der Bürokratieabbau. Das höre ich in allen Gesprächen mit kleinen, mittleren und größeren Unternehmen. Die SPD-geführte Regierung hat inzwischen das vierte Bürokratieentlastungspaket auf den Weg gebracht – aber das ist noch lange nicht genug.

Viele Unternehmen beklagen hohe Energiekosten in Deutschland, was kann die Politik dagegen tun?

Wir müssen die Netzentgelte deckeln. Hier ärgert mich das Verhalten der Union: Es gab nach dem Eklat im Bundestag am selben Abend noch Abstimmungen zu verschiedenen Energiethemen. Doch einer Deckelung der Netzentgelte hat die CDU/CSU nicht zugestimmt. Die Unternehmen müssen sich jetzt von Friedrich Merz erklären lassen, warum sie noch lange auf günstigere Strompreise warten müssen.

Die Streichung der Prämie für Elektroautos quasi über Nacht war sicher ein schwerer Fehler, oder?

Die Prämie wurde nicht gestrichen, sondern sie ist ausgelaufen. Aber die Art und Weise, wie das passiert ist, war einfach schlechtes Handwerk – das muss man ganz offen so sagen. Ähnlich wie das Durchstechen eines unausgegorenen Heizungsgesetzes. So zerstört man Vertrauen – sowohl in die Regierung als auch in die Politik. Ich hätte mir von einem Vizekanzler mehr Ernsthaftigkeit erwartet.

Donald Trump geht in den USA mit einem Wirbelwind an Ankündigungen und teils absurden Ideen vor – Grönland oder Panama einverleiben zum Beispiel. Wie geht man damit um?

Diese Art der Politik muss man gut analysieren, um zu verstehen, welchen Zielen sie folgt. Wir haben erlebt, dass seine Ankündigungen, etwa in Bezug auf den Gazastreifen oder zu Verhandlungen mit Putin, große Aufmerksamkeit und Empörung auslösen. Im späteren Verlauf wird die pompöse Ankündigung von der Administration dann oft relativiert. Unter dem Pulverdampf der Aufregung wird eine Politik gemacht, die Trump und seine Milliardärsfreunde mächtiger und reicher machen. Denn darum geht es doch. Dennoch muss man ernst nehmen, was Trump sagt.

Wie geht es nach der Wahl weiter? Die SPD liegt bei 15 Prozent, gibt es überhaupt eine andere Option als eine Koalition mit der Union?

Wir haben 2021 gezeigt, dass wir kämpfen und eine Aufholjagd hinlegen können. Darauf konzentrieren wir uns jetzt. Natürlich ist sich die SPD – wie in allen anderen Wahlen und Legislaturen zuvor – ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst. Wir werden nach der Wahl mit allen demokratischen Parteien darüber reden, wie wir unser Land voranbringen und gute Politik für die Menschen machen können. Ich will dafür sorgen, dass unser Bundeskanzler auch Bundeskanzler bleibt.

Wie geht es für Sie persönlich weiter? Sie sind jetzt seit fast sechs Jahren Parteivorsitzende. Wollen Sie das bleiben?

Auch das ist eine Frage, mit der ich mich derzeit nicht beschäftige. Ich habe große Freude an der Arbeit als Parteivorsitzende, und ich bewerbe mich erneut um ein Bundestagsmandat. Es sieht auch so aus, als dürfte ich diese Aufgabe weiterführen – und auch daran habe ich große Freude. Mit allen weiteren Fragen beschäftige ich mich, wenn sie sich stellen.

Was ist Ihre Prognose? Wie viel Prozent bekommt die SPD am Ende?

Ich lese das weder aus der Demoskopie noch im Kaffeesatz – ich kämpfe für ein starkes Ergebnis der SPD. Und am Sonntag entscheiden die Wählerinnen und Wähler.

Das Gespräch führte Rafael Binkowski

Zur Person

Saskia Esken, geboren 1961 in Stuttgart, trat nach einer Ausbildung zur Informatikerin 1990 der SPD bei. Seit 2013 ist sie Mitglied des Bundestages für den Wahlkreis Calw. Esken engagierte sich zunächst in der Kommunalpolitik und war von 2012 bis 2014 stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirats Baden-Württemberg. Im Dezember 2019 wurde sie in einem Mitgliederentscheid zur SPD-Bundesvorsitzenden gewählt, zunächst gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans. Der trat zurück, seit Dezember 2021 bildet sie mit Lars Klingbeil eine Doppelspitze. Esken ist verheiratet und hat drei Kinder.

Das Interview mit Chefredakteur Rafael Binkowski im Calwer Bürgerbüro der SPD, Saskia Esken mit rotem Hosenanzug auf rotem Sofa, in der Mitte ihr Mitarbeiter Philipp Geiger. Foto: Achim Zweygarth

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