„Die Ampel ist an der Realität gescheitert“
Staatsanzeiger:
Judith Skudelny:
Ich bin jetzt über 20 Jahren Mitglied der Freien Demokraten. Wir hatten gute und schlechte Zeiten. Das ist wie in einer Ehe: Da musst man manchmal auch schwierige Situationen durchstehen. Ein Wahlkampf ist nicht dazu da, Umfrageergebnisse zu bestätigen, sondern zu verändern. Daran arbeiten wir und ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen in Deutschland eine Politik der Mitte wollen. Und wenn wir es schaffen, mit einem guten Ergebnis in den Bundestag zu kommen und der Union dies auch gelingt, werden wir die Menschen halten können.Schwarz-Gelb erscheint aber derzeit noch unwahrscheinlicher als ein Wiedereinzug der FDP in den Bundestag.
Ich sehe die Umfragen durchaus, aber die führen nicht dazu, dass ich den Kopf in den Sand stecke und schlechte Laune bekomme, sondern dass ich noch mehr darum kämpfe, weil ich glaube, dass es auf uns ankommt.
Sie werben gezielt um AfD-Wähler.
Weil wir glauben, dass es viele konservative Wähler gibt, die einen Regierungswechsel wollen, ohne zwingend die AfD als Präferenz zu haben. Für solche bürgerlichen, wirtschaftlich denkenden Menschen wollen wir eine Anlaufstelle sein.
Sie liegen ja nicht nur bei vier bis fünf Prozent, Sie werden auch durch den Kakao gezogen. Erleben Sie gerade ein Déjà-Vu? Wie damals, 2013, als Sie aus dem Bundestag flogen?
Nein. 2013 waren es ja nicht nur die Medien, die sich über uns lustig machten. Es waren auch die Menschen auf der Straße. Heute ist es völlig anders. Es kommen Menschen auf mich zu, die nicht parteigebunden sind und fragen, wie sie uns unterstützen können. Deswegen bin ich optimistisch. Über die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hat sich noch nicht festgelegt. Auf sie zählen wir.
Andere neigen zur AfD, auch in Kreisen, die in der Vergangenheit der FDP zugetan waren – dem unternehmerischen Mittelstand. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Das tut es, und ich verstehe es auch nicht. Für mich ist die AfD eine Partei, die eine rote Linie überschreitet, die offen mit Nazi-Parolen kokettiert und Positionen vertritt, die für bürgerlich denkende Menschen eigentlich inakzeptabel sein sollten.
Derzeit überbieten sich die Parteien in ihren Steuerentlastungsplänen. Die FDP spricht sich für eine einheitliche Umsatzsteuer von sieben Prozent aus, egal ob Speisen im Lokal verzehrt oder mitgenommen werden. So etwas ging doch schon einmal schief – ich erinnere nur an die „Mövenpicksteuer“.
Das ist nur für uns schief gegangen, nicht für die Branche. Nachdem wir die Torte ins Gesicht gekriegt haben, hat die Branche gesagt, es war aber trotzdem wichtig, um den Standort Deutschland zu halten. So was dürfen die Verbandsvertreter das nächste Mal gerne auch in die Kamera sagen.
Auch die Senkung der Unternehmenssteuerbelastung auf unter 25 Prozent dürfte kaum ausreichen, um so viele Wähler zu überzeugen, dass Sie es für Ihre Wahlziele reicht.
Manche Sachen macht man auch nicht, weil man dafür Wählerstimmen bekommt, sondern weil es für Deutschland richtig ist. Unsere Unternehmen, die in Zeiten von Corona und des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs von Putin praktisch ihr komplettes Eigenkapital aufgebraucht haben, die unter hohen Energiekosten leiden, unter Fachkräftemangel und einem beinharten internationalen Wettbewerb mit Ländern, die viel günstigere Rahmenbedingungen haben, die sich schwertun, ihre Produkte, die in Deutschland sehr teuer hergestellt werden, weiterhin konkurrenzfähig auf den Markt zu bringen, diesen Unternehmern haben eine Perspektive verdient.
Ist die Ampel eigentlich nur an der SPD und den Grünen gescheitert oder auch an Ihrer eigenen Partei?
Sie ist an der Realität gescheitert. Als wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben, gab es noch keinen Krieg und keine Energiepreisexplosion. Wir haben positiv angefangen. Wir haben die Corona-Maßnahmen beendet und hatten viel vor – gesellschaftspolitisch, aber auch, was die Infrastruktur anging. Nicht mal drei Monate später kam der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine. Eineinhalb Jahre danach folgte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das unsere finanziellen Spielräume extrem einschränkte. Da hätten wir uns ehrlich machen müssen.
Und dann hat die FDP sich auf den D-Day vorbereitet. Stimmt es, dass Ihre Minister an einem Freitag zurücktreten wollten, als die EU-Staats- und Regierungschefs in Budapest weilten, um Olaf Scholz ganz alt aussehen zu lassen?
Nein, diesen Plan gab es nicht. Es ging nur darum, dass wir eine Kommunikationsstrategie haben für den Fall, dass die Koalition auseinanderbricht. Deshalb ist dieses Papier entstanden, das unter dem Strich völlig unbedeutend war. Wir wollten eine Situation wie beim Abbruch der Jamaika-Verhandlungen vermeiden. Damals hatten wir keine Kommunikationsstrategie. Christian Lindner hatte schon im Sommer 2024 gesagt, es wird ein Herbst der Entscheidungen werden.
So ist es dann auch gekommen. Bedauern Sie das Ampel-Aus?
Nein. Wir waren am Ende nicht mehr entscheidungsfähig. Wir haben Neuwahlen ermöglicht und darauf kam es an.
Ohne Rücksicht auf Verluste…
Manchmal muss man einfach das Richtige tun.
Auch wenn es an die parlamentarische Existenz geht?
Wenn ich sehe, wie viele Menschen sich gerade einen neuen Job suchen müssen und nicht mehr wissen, wie sie ihre Ausgaben schultern sollen, wie viele Häuser zwangsversteigert werden: Soll ich mich hinsetzen und sagen, ich habe zwar mal versprochen, das Beste für Deutschland zu geben, aber wenn es gegen meine persönlichen Interessen verstößt, dann mache ich das nicht?
Sie könnten sich in der Tat zurücklehnen: Sie sind ja Insolvenzverwalterin.
Das sage ich mir manchmal auch – allerdings nur im Spaß. Mein primäres Ziel ist es, die Wirtschaft in Deutschland wieder besser aufzustellen. Wenn wir es nicht schaffen, schnell eine Regierung zu bilden, die die richtigen Weichen stellt, dann sehe ich für mich persönlich eine positive berufliche Zukunft, an der ich aber ehrlicherweise nicht arbeite. Ich bin seit 20 Jahren Insolvenzverwalterin und habe noch nie so viele Verfahren erlebt, die die Breite der Wirtschaft, aber auch der Menschen treffen.
Würden Sie sich die Wirtschaft oder fürs Klima entscheiden, wenn sie sich nur für eines entscheiden könnten?
Ich bin Anhängerin einer Pendeltheorie, und das Pendel ist in den vergangenen Jahren zu stark zugunsten des Klimas und zulasten der Wirtschaft ausgeschlagen. Wenn wir Arbeitsplätze verlieren, wenn wir das Wohlstands- und Aufstiegsversprechen nicht halten, dann werden wir die Menschen verlieren.
Der Landesparteitag hat den Begriff „Kettensäge“ aus dem Leitantrag gestrichen. Ist die FDP für „ein bisschen mehr Milei und Musk“, wie Christian Lindner es fordert, noch nicht bereit?
Doch. Das sah man am Tag danach beim Dreikönigstreffen. Ein deutscher Unternehmer verbringt laut einer DIHK-Studie in der Woche 14 Stunden nur mit staatlichen Auflagen und Bürokratie. Das kann nicht sein. Ob wir dem mit der Kettensäge, der Axt, dem Rasenmäher oder wegen mir auch dem Lichtschwert zu Leibe rücken, ist mir vollkommen egal. Wir müssen aber etwas tun.
Spezialität Insolvenzrecht
„Ich habe zwei Kinder, zwei Katzen, zwei Pferde und einen Mann – in dieser Reihenfolge“, erzählt die 49-jährige Rechtsanwältin mit Schalk in den Augen. Judith Skudelny war schon von 2009 bis 2013 Abgeordnete und ist es wieder seit 2017. Diesmal dürfte es ähnlich eng werden wie vor zwölf Jahren, als die FDP aus dem Bundestag flog. Doch die Stimmung sei eine andere, berichtet die FDP-Generalsekretärin, die auch gut zu tun hätte, falls ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt: Als Insolvenzverwalterin kann sie sich über Arbeit nicht beklagen. Der Vater war Physiker, die Mutter Journalistin. Von beiden habe sie gelernt, dass es im Leben darauf ankommt, das Richtige zu tun, auch wenn es dafür keinen Applaus gibt.
In einer Woche lesen Sie an dieser Stelle Interviews mit Jessica Tatti (Bündnis Sahra Wagenknecht) und Sahra Mirow (Die Linke).