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„Die AfD redet nicht von morgens bis abends Unsinn“
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Jessica Tatti gehört dem Bundestag seit 2017 an. 2023 wechselte sie von der Linken zum BSW.
Benjamin Ziebler Pressefoto)Staatsanzeiger: Frau Tatti, ist das Bündnis Sahra Wagenknecht links oder rechts?
Jessica Tatti: Linkskonservativ trifft es vermutlich am besten. Wenn es um Themen geht, die relevant sind für die Arbeitnehmer, dann sind wir links. Bei Themen wie Asyl und Selbstbestimmungsrecht sind wir konservativ, wobei mir das Wort bodenständig besser gefällt.
Hat sich die klassische Einteilung in links und rechts überlebt?
Nein. Ich finde es nur bedauerlich, dass viele Menschen mit dem Begriff links überhaupt nicht mehr verbinden, wofür er einmal stand. Also für Fragen wie „Wie kann man von seiner Arbeit leben?“ oder die gerechte Besteuerung von Multimillionären und Milliardären. Aber inzwischen suchen viele Linke ihr Hauptbetätigungsfeld darin, sich für Klima, Asyl und Transpersonen einzusetzen.
Sie sind 2017 für die Linke in den Bundestag gezogen. Wie ist das Verhältnis zu Ihrer ehemaligen Partei?
Es beschäftigt mich längst nicht mehr jeden Tag. Doch es ist bedauerlich, wie es zum Bruch kam. Der Linken lief die Kernwählerschaft davon, weil sich die Partei auf identitätspolitische Themen konzentrierte. Ich halte diese Themen nicht für bedeutungslos. Aber in einer Zeit, in der bis weit in die Mitte der Gesellschaft die Leute Angst haben, dass sie das verlieren könnten, was sie sich ein Leben lang aufgebaut haben, müssen die Schwerpunkte andere sein.
Ihre neue Partei ist nicht nur sehr jung, sie hat auch kaum Mitglieder. Warum?
Wir wollten eine Entwicklung wie bei der AfD verhindern. Sie ist einst als Professorenpartei gestartet. Dann hat sie sehr viele Mitglieder auf einmal aufgenommen und sich sehr schnell in eine andere Richtung bewegt. Wir nehmen behutsam Mitglieder auf. Wobei wir nach der Bundestagswahl das Konzept der Mitgliederaufnahme noch einmal besprechen werden. Wir wollen, dass es danach schneller geht.
Wie ist Ihr Verhältnis zu AfD? Sie fischen beim Thema Asyl ja im selben Terrain.
Unser Dreh- und Angelpunkt ist nicht die AfD. Wir brauchen vernünftige Lösungen für unser Land. Fast 70 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg sagen, dass unser Land mit der irregulären Migration überfordert ist. Wir sehen es bei den Wohnungen, bei den Sprachkursen, bei den Kita-Plätzen, in den Grundschulen. Die Menschen, die zu uns kommen, sind natürlich daran nicht schuld. Aber es gibt Grenzen dessen, was wir leisten können. Deshalb müssen wir Asylverfahren an den EU-Außengrenzen durchführen und nur die Menschen zu uns lassen, die wirklich politisch verfolgt sind.
Sehen Sie Schnittmengen mit der AfD?
In manchen Bereichen. Doch die Decke ist dünn. Wenn etwa Alice Weidel davon erzählt, dass Deutschland fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder mehr für Waffen ausgeben soll, dann passt das überhaupt nicht mit dem BSW zusammen – wir sind eine Friedenspartei. Das bedeutet aber nicht, dass die AfD von morgens bis abends nur Unsinn erzählt. Eine Corona-Aufarbeitung etwa ist dringend notwendig. Das nicht zu fordern, weil es die AfD auch will, wäre absurd.
Ihrer Partei und Sahra Wagenknecht wird eine auffällige Nähe zu Russland und Wladimir Putin attestiert.
Das ist kompletter Unsinn. Was wir wollen, ist Frieden in Europa. Deshalb streben wir eine diplomatische Lösung an und lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Dieser Krieg hat unserer Wirtschaft massiv geschadet, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben nichts gebracht. Stattdessen haben sie dazu geführt, dass wir von billigem Gas abgeschnitten wurden und unsere Wirtschaft nun den Preis bezahlt.
Könnten Sie sich vorstellen, einer neuen Bundesregierung anzugehören?
Ja, sofern diese Regierung das Leben der Menschen spürbar verbessert. Mit Renten nach österreichischem Modell, Investitionen in die Infrastruktur, einer Reform der Schuldenbremse, einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, niedrigeren Mieten, einer diplomatischen Lösung im Ukraine-Krieg. Aber wenn man uns nur als Steigbügelhalter braucht für eine Politik, wie sie gerade gemacht wird, bin ich dagegen. Dann sollten wir in der Opposition bleiben und dafür kämpfen, so stark zu werden, dass wir wirklich Verbesserungen bewirken können.
Wird das BSW bei der Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg antreten?
Selbstverständlich. Gerade Baden-Württemberg als starker Industriestandort braucht eine gute Wirtschaftspolitik.
Zur Person: Jessica Tatti
Die parlamentarische Geschäftsführerin im Bundestag, Jessica Tatti, hatte diese Woche alle Hände voll zu tun: Immer neue Abstimmungsvorlagen zur Migrationspolitik mussten gesichtet und bewertet werden. Die Reutlingerin mit sardischen Wurzeln zog erstmals 2017 in den Bundestag. 2023 schloss sie sich dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht, das beim Thema Asyl einen wesentlich restriktiveren Kurs als die Linke fährt.