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Nachgehakt: Rettungsdienst

Björn Steiger Stiftung will das gesamte Rettungsdienst-System überprüft haben

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde will die Björn Steiger Stiftung auf „veraltete Organisationsstrukturen“ im Rettungswesen aufmerksam machen. Nicht nur, aber vor allem im Südwesten. Denn die neuen gesetzlichen Regelungen drohten die alten, im Extremfall lebensgefährlichen Fehler zu zementieren.

Der Präsident der Björn Steiger Stiftung kritisiert das neue Rettungsdienstgesetz. Das Land kalkuliere etwa bei Herzinfarkten von vorneherein mit einer planerischen Sterbequote von 20 Prozent.

IMAGO/Karsten Schmalz)
Was kritisiert die Björn Steiger Stiftung vor allem?

Der eigenen Tradition entsprechend, „sich für das bestmöglich Machbare zum Wohle des Notfallpatienten einzusetzen“, wurde das Anfang August in Kraft getretene veränderte Rettungsdienstgesetz analysiert. Eine wesentliche Schwachstelle ist nach Einschätzung von Andreas Pitz, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht an der Hochschule Mannheim, dass sich aus dem Grundgesetz (GG) ableitende Ansprüche nicht erfüllt sind.

Aus dem Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 GG) und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1) ergibt sich laut Pilz, dass ein Rettungsdienstsystem funktionieren muss. Wie dies in Baden-Württemberg gewährleistet sein soll, sei völlig unklar, denn „alles Wesentliche wird offengelassen oder ist unzureichend geregelt“. Ein weiterer Punkt ist die Selbstverwaltung des Rettungswesens im Land, die laut Pilz von den Aufsichtsbehörden unbeanstandet schon in den vergangenen Jahrzehnten rechtswidrig gehandelt habe, „indem sie falsche Planungsgrundlagen heranzog und die Hilfsfrist gesetzeswidrig berechnete“.

Welche Auswirkungen kann das neue Gesetz konkret haben?

Pierre-Enric Steiger, der Präsident der 1969 mit Sitz in Winnenden gegründeten Stiftung, wird im Gespräch mit dem Staatsanzeiger drastisch. Baden-Württemberg erkläre mit diesem Gesetz 20 Prozent der Herzinfarktpatienten faktisch als nicht rettbar, weil, so Steiger, von vorneherein mit einer planerischen Sterbequote von 20 Prozent kalkuliert und dies gar gesetzlich verankert werde. Es könne nicht sein, dass in einem Gesetz festgelegt werde, dass nur 80 Prozent der Herzinfarktpatienten innerhalb der medizinisch notwendigen Frist von einer Stunde medizinisch adäquat versorgt werden müssten. So „sterben jeden Tag Menschen alleine wegen gesetzlicher Planungsvorgaben“.

Was will die Stiftung erreichen?

Die Verfassungsbeschwerde soll Anlass sein, das System auf den Prüfstand zu stellen, um sich an internationalen Vorbildern zu orientieren. Steiger nennt zwei Zahlen: In der Bundesrepublik werde in 36 Prozent der Fälle, in denen die Notwendigkeit besteht, die Beratung zu lebensrettenden Sofortmaßnahmen per Telefon durchgeführt. In Österreich seien es 100 Prozent, auch weil Strukturen der Leitstellen sachgerechter und Verfahren automatisiert seien.

Welche Bedeutung haben Hilfsfristen?

„Einmal geht es wirklich um Sekunden, beim anderen Mal ist es im Grunde genommen egal, ob der Rettungswagen nach zehn oder 15 Minuten eintrifft oder ob der Patient nach 15 Stunden behandelt wird“, erläuterte Innenminister Thomas Strobl (CDU) bei der Verabschiedung des Gesetzes vor der Sommerpause im Landtag. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof gilt jedoch die Vorgabe einer Hilfsfrist von zehn Minuten, die aber kein Rettungsdienst im Land zu mehr als 73 Prozent einhalten kann.

Für Steiger haben Hilfsfristen deshalb keine Bedeutung, weil sie ohnehin nicht als Maßstab für die Qualität des Rettungswesens herangezogen werden könnten. So beginnt in dem neuen Gesetz die Frist erst dann zu laufen, wenn die Meldung eines Notfalls in der Leitstelle und die damit verbundenen Gespräche beendet sind.

Wie reagiert das Innenministerium auf die Verfassungsbeschwerde?

Es sei das Recht der privatrechtlichen Björn Steiger Stiftung, sagt ein Sprecher, „einen Rechtsstreit mit dem Land Baden-Württemberg zu beginnen, auch wenn wir die heute vorgetragene Kritik nicht nachvollziehen können“. Trotz der in der Anhörung und damit vor der Verabschiedung geäußerten vielen Einwände von Fachleuten bleibt das von Strobl geführte Haus dabei, dass das neue Gesetz die Weichen für einen zukunftsfähigen und noch schnelleren, am Wohle der Patienten orientierten Rettungsdienst stelle. Der Innenminister spricht sogar von einem „Siebenmeilenschritt in die Zukunft“ und davon, dass ein solcher eben „auch Sorgen und Ängste mit sich bringt.“

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