Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Benedikt Weibel
Hier könnten einmal die Züge aus Zürich enden, aus Singen und vom Bodensee. Hier, auf diesem zugigen Bahnsteig in Stuttgart-Vaihingen, an dem derzeit sechs Regionalzüge am Tag halten, drei in die eine, drei in die andere Richtung. Hier oder in Stuttgart-Nord, wo es auch nicht hübscher ist. An einem Vorstadtbahnhof mit S-Bahn-Anschluss. Jedenfalls, solange es noch keinen Milliarden-Tunnel gibt, der die Gäubahn mit dem Flughafen verbindet und von dem, Stand heute, niemand sicher sagen kann, ob er je gebaut wird.
„Lasst euch das nicht gefallen“, ruft Benedikt Weibel am Montagabend etwa 300 Stuttgarterinnen und Stuttgartern zu. Der ehemalige Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) hat sich am Nachmittag selbst ein Bild gemacht, ist in einem Schienenbus ins zugige Vaihingen gefahren. Nun wendet er sich im großen Sitzungssaal des Rathauses an Stuttgart-21-Gegner, viele der ersten Stunde, etwa den Schauspieler Walter Sittler. Das Durchschnittsalter dürfte nicht deutlich unter jenem liegen, das Weibel im Oktober erreicht: Dann wird der „Beppo“, wie ihn seine Freunde nennen, 78.
In einem Interview sprach er zuletzt vom Aberwitz, 11,5 Milliarden Euro zu vergraben mit dem Ergebnis, dass der Hauptbahnhof von Süden her nicht mehr erreichbar ist. An diesem Abend spricht er von Megalomanie. Und davon, wie in der Schweiz größenwahnsinnige Projekte rechtzeitig gestoppt wurden, weil das Volk gefragt wurde. (Darüber, dass 2011 die Volksabstimmung in Baden-Württemberg zugunsten von Stuttgart 21 ausging, spricht er nicht.)
Weibel müsste sich das nicht antun. Er könnte hauptsächlich wandern; schließlich ist er ausgebildeter Bergführer. Er könnte sich nur noch um die Familie kümmern. Oder mit seiner Frau durch die Weltgeschichte radeln. Einmal fuhren sie mit dem Rad bis zur dänischen Nordspitze – und bei der Rückreise mit der Bahn mussten sie 22 Mal umsteigen, jeder zweite Fahrstuhl war kaputt.
Und dann saß er 2013 im Zug ins Tessin und erfuhr per Kurznachricht, dass die Deutsche Bahn (DB) gerade den Mainzer Hauptbahnhof stillgelegt hatte, weil unter den Stellwerkern die Grippe grassierte. Da hielt es ihn nicht mehr. Noch im Zug verfasste er einen Artikel über die Hilflosigkeit der DB.
„Ich bin kein Bahnlobbyist, ich bin ein Bahnüberzeugungstäter“, sagt Weibel, der auch bei der österreichischen „Westbahn“, bei der SNCF und im Weltverband der Bahnunternehmen aktiv war. Und dass ihn das Drama, das die DB derzeit durchlebt, schon allein deshalb nicht unbeteiligt lässt, weil die Schweiz davon extrem betroffen sei.
Die DB-Kollegen seiner Zeit – Weibel leitete die SBB von 1993 bis 2006 – hat er alle gekannt und gemocht, etwa Hartmut Mehdorn, der aus der Luftfahrtindustrie kam und 1999 bei der Bahn einstieg. Ähnliche Karrieren hatten die anderen vorzuweisen. „Es würde doch keinem Mercedes in den Sinn kommen, einen Branchenfremden an die Spitze stellen“, nennt Weibel einen Grund für den Niedergang des Staatsunternehmens, der seit Jahren nicht mehr in die Spur kommt.
Drei Fragen…
Mit 77 Jahren könnten Sie auch kürzertreten. Warum sind Sie noch so aktiv?Meine Strategie für den Ruhestand lautet: nie aufhören, sich zu bewegen. Und zwar nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf.
Haben Sie Stuttgart 21 von Anfang an kritisch gesehen?Ja. Mir war sofort klar: Der Ansatz ist falsch. Stuttgart 21 war immer ein städtebauliches Projekt, nie ein Verkehrsprojekt. Trotzdem wurde behauptet, dass es bahntechnische Gründe gibt, etwa die Strecke Paris–Bratislava. Es ist unfassbar, dass die DB dieses Spiel mitmacht.
Hat die Eisenbahn eine Zukunft?Davon bin ich fest überzeugt, insbesondere in Europa und für das Klima. Deutschland ist dabei so wichtig, dass ich mir erlaube, meine Expertise hier einzubringen.