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Aus einfachsten Verhältnissen in die Spitzenpolitik
Berlin. Aus dem Maschinenraum der Macht in Berlin dringen nach der Haushaltseinigung in letzter Minute vor der Sommerpause nur wohltemperierte Töne. Der Kanzler spricht von einem guten Etat, „auf den sich die Bundesregierung in so langer Zeit und in einer Nacht ohne Schlaf geeinigt hat.“
Und Katja Mast, rechte Hand von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der wiederum für Olaf Scholz den Ausputzer macht, lässt über einen Pressesprecher verlauten: „Mit diesem Haushaltsentwurf setzen wir ein starkes Zeichen: Wir investieren mutig in die Zukunft Deutschlands, stärken den sozialen Zusammenhalt und schaffen Fortschritt und Gerechtigkeit – Hand in Hand!“
Gerne würde man wissen, ob es jetzt in ihr brodelt, der badischen Sozialpolitikerin, will doch die Ampel beim Bürgergeld die Schrauben derart anziehen, dass Nikolaus Blome schon auf Spiegel-Online spottet: „Hurra! Hartz IV ist zurück.“
Doch Katja Masts Aussagen gehen über die Fraktionspressestelle. Es macht eben einen Unterschied, ob du einfacher Abgeordneter bist oder Erste Parlamentarische Geschäftsführerin. Die einen können reden, wie sie wollen, was aber im Zweifel nicht allzu viele Journalisten interessiert. Katja Mast muss ihre Worte genau wägen. Schließlich organisiert sie die größte Fraktion im Deutschen Bundestag: 207 Frauen und Männer.
Und damit ist es nicht getan. Sie hält den Kontakt zu Partei und Regierung, kümmert sich um die Bund-Länder-Koordinierung, gehört dem Ältestenrat an und ist für den Vermittlungsausschuss zuständig. „Das ist eine ganz vielfältige Aufgabe“, sagt sie im Gespräch. Sie werde zum Beispiel aktiv, wenn sich Gesetze auf den letzten Metern verhaken.
Das Amt, das die 53-Jährige nun bekleidet, markiert den vorläufigen Höhepunkt eines langen Aufstiegs. Und aufgestiegen ist die Frau, die seit 2005 Pforzheim und den Enzkreis im Bundestag vertritt, nicht nur in der Politik. Sie stammt aus einfachsten Verhältnissen, ihre Mutter musste sie und ihre drei Geschwister als Putzfrau und mit Sozialhilfe durchbringen, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte; da war sie neun.
Fortan konnte Katja Mast sich so manches nicht mehr leisten: das Eis nicht, weshalb sie daheim blieb, wenn die Freundinnen am Sonntag zur Eisdiele fuhren; aber auch nicht den Nachhilfeunterricht, die aus der guten möglicherweise eine sehr gute Schülerin gemacht hätte.
Katja Mast wäre gerne auf die Realschule gegangen, doch die Grundschullehrerin riet wegen der schwierigen Familiensituation zur Hauptschule. Von dort könne sie später immer noch wechseln. Was sie auch tat und am Wirtschaftsgymnasium ihr Abitur machte. Danach ging sie bei der Sparkasse Offenburg in die Lehre zur Bankkauffrau. Auf die Idee, direkt an die Uni zu wechseln, sei sie nicht gekommen. So etwas war in ihrer Familie nicht vorgesehen – „ich wusste ja gar nicht, ob ich das kann“. Alle machten eine Ausbildung. Ihre drei Geschwister wurden Landwirtin, Werkzeugmacher und Altenpfleger und sind es bis heute geblieben.
Bei der Sparkasse war Katja Mast die beste Auszubildende ihres Jahrgangs, doch den Filialleiterjob bekam ein jüngerer Kollege. Also an die Universität, nach Heidelberg, Biologie, Politik und Geografie studieren auf Lehramt.
Parallel dazu hatte Mast sich politisiert. Sie versuchte, der Mutter klarzumachen, dass es besser für die Umwelt sei, wenn man die Milch in der Flasche kaufe statt im Tetrapak. Woraufhin diese erwiderte, dass das fünf Mark mehr pro Woche koste. „Und dieses Geld hatten wir schlichtweg nicht.“
Da war für Katja Mast klar, dass ihre politische Heimat nur die SPD sein könne, nicht die Grünen, die einem nur sagen, wie man leben soll, aber nicht, wie das mit beschränkten finanziellen Mitteln geht.
2005 zog sie in den Bundestag – für Ute Vogt, die als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2001 für die SPD respektable 33,1 Prozent gewonnen hatte und sich gerade anschickte, es erneut zu versuchen, weshalb sie aus der Bundes- in die Landespolitik wechselte und Mast den Wahlkreis Pforzheim überließ.
Ute Vogt ist nach zahlreichen Anfeindungen und Rückschlägen aus der Politik ausgeschieden und leitet mittlerweile die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft. Und auch Katja Mast hat erfahren, dass die Politik ein hartes Geschäft ist. 2016 zog sie sich aus der Landespolitik zurück, nachdem die SPD bei der Landtagswahl von 23,1 auf 12,7 Prozent abgestürzt war. Zuvor war Mast fünf Jahre lang SPD-Generalsekretärin im Südwesten – unter Nils Schmid, der inzwischen ebenfalls im Bundestag sitzt. Wie übrigens auch Leni Breymaier, die Schmid an der Spitze der Landespartei beerbte, bis sie sich selber nicht mehr auf dem Schleudersitz halten konnte. Es folgten Andreas Stoch und ein Ende der allzu wilden Zeiten.
Sie teilt das Büro mit einem, der genau 100 Jahre älter ist
Mast hatte da schon längst ihren Fokus auf die Bundespolitik gelegt und dort aufs Soziale. Zwölf Jahre lang kämpfte sie für den gesetzlichen Mindestlohn und gegen die Mär, dass dies zu massenhaftem Jobverlust führe. „Kein einziger ist arbeitslos geworden“, sagt sie und dass stattdessen mehr sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden seien.
Außerdem setzte sie sich dafür ein, dass Schüler aus einkommensschwachen Familien umsonst Nachhilfe bekommen. Die zahlt jetzt der Bund, obwohl Bildung Ländersache ist und man auch argumentieren könnte, dass das nicht sinnvoll ist. „Aber da bin ich dann pragmatisch und denke mir, dass das Kind wichtig ist.“
Katja Mast teilt ihr Bundestagsbüro mit einem, der auf den Tag 100 Jahre älter ist: Friedrich Ebert wurde am 7. Februar 1871 in Heidelberg geboren. Die Büste des ersten Reichspräsidenten steht an der Wand, er schaut streng aus. Wäre er nicht so früh gestorben, hätte die Weimarer Republik vielleicht gerettet werden können.
Mast verdankt Ebert in gewisser Weise, dass es mit dem Studium geklappt hat. Als der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) auf die Idee kam, allen, die schon eine Ausbildung absolviert hatten, das Bafög zu streichen, bewarb sie sich für ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mit Erfolg.
Ihr politisches Vorbild ist Friedrich Ebert aber nicht, es sind auch nicht Willy Brandt und Helmut Schmidt, Namen, die oft genannt werden, wenn es um sozialdemokratische Vorbilder geht. Die Person, an der sie sich in ihrem Leben am stärksten orientiert hat, ist ihre Mutter, „eine einfache Frau mit dem Herzen am richtigen Fleck“.
Von ihr habe sie gelernt, dass man erreicht, was man sich vornimmt, wenn man sich fokussiert. Und dass man vor niemandem Angst haben muss. „Meine Mutter hat uns gut durch das Leben gebracht und ich würde heute nicht hier sitzen, hätte ich ihr Vertrauen nicht gehabt.“
Es war auch das Los der Mutter, das sie zur SPD brachte, der einzigen Partei, die ihrer Ansicht nach eine Antwort auf die soziale Frage hat. Die Mutter habe lange gebraucht, bis sie Sozialhilfe beantragte, erst wurde der Dispo-Kredit ausgereizt. Sie musste putzen gehen, während andere Mütter mit ihren Kindern spielten oder Hausaufgaben machten. Und jetzt hetze die CDU gegen Bürgergeldempfänger. „Ich finde das schlimm.“
Sie hat doch ein Vorbild in der SPD: Malu Dreyer
Masts Motto lautet „Solidarität statt Ellenbogen“. Dass es das in der Politik bisweilen nicht gibt, dass auch in der SPD mit harten Bandagen gekämpft wird, weiß sie. Das liege daran, dass es um Gestaltungsmacht gehe und dass man so im Fokus stehe.
Am Ende des Gesprächs fällt Katja Mast doch eine Sozialdemokratin ein, die für sie ein Vorbild ist: Malu Dreyer, die gerade als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zurücktrat. Sie habe Politik mit Herz und Verstand gemacht und sei dabei Mensch geblieben. Das sei auch ihr wichtig: „Ich bin zuerst Katja Mast und dann kommt ganz lange nix.“
Zur Person: Katja Mast
Katja Mast wurde 1971 in Offenburg geboren und lebt in Rastatt. Sie war von 2011 bis 2016 Generalsekretärin der SPD Baden-Württemberg, von 2014 bis 2018 Vorsitzende der SPD-Landesgruppe Baden-Württemberg im Bundestag und von 2017 bis 2021 stellvertretende Fraktionsvorsitzende. 2021 wurde sie mit 82 Prozent der Stimmen zur Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin gewählt. Mast kam stets über die Landesliste in den Bundestag, erstmals im Jahr 2005. Ihr Wahlkreis ist Pforzheim, wozu auch der Enzkreis gehört.