Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
„Aus damaliger Sicht würde ich wieder so handeln“
Herr Mappus, lange nichts mehr gehört. Wie geht’s Ihnen?
Mir geht es sehr gut. Privat, gesundheitlich, und auch beruflich. Hier hatte ich zeitlebens das große Glück, immer spannende Tätigkeiten zu haben. Lange Jahre in der Politik, dann in der IT-Branche, und seit vergangenem Jahr hier in München als Geschäftsführer der Eutop Group. Was will man mehr!
Schauen wir auf Ihre politische Karriere zurück. Wie kaum ein anderer wird der Rückkauf der EnBW-Aktien mit Ihnen verbunden, was höchst umstritten war.
Heute ist wahrscheinlich niemand unglücklich darüber, dass die EnBW wieder in öffentlichen Händen ist. Ich bin mehr denn je der Überzeugung, dass diese Transaktion im besten Interesse des Landes und seiner Bürger richtig war. Ich schaue mir seit 6. Dezember 2010 jeden Morgen den EnBW-Aktienkurs an. Er lag zuletzt bei 64,50 Euro, wir hatten damals für den Wert von 40 Euro gekauft. Das ist ein Buchgewinn von rund 3,2 Milliarden Euro. Das spricht für sich.
Wie kam es zu dem umstrittenen Beschluss in einer Nacht- und Nebelaktion am Parlament vorbei?
Es war keine Nacht- und Nebelaktion, sondern ein langer Entwicklungsprozess. Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke OEW haben uns regelmäßig gespiegelt, dass die Zusammenarbeit mit der EDF nicht gut funktioniere. Als ich ins Amt kam, hat der damalige Vorstandschef der EDF, Henri Proglio, bei einem Treffen in Stuttgart aus seiner Sicht exakt das Gleiche geschildert und mir klar zu erkennen gegeben, dass er auch die andere Hälfte der EnBW-Aktien übernehmen wolle. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen. Ich habe entgegnet: „Herr Proglio, nehmen wir einmal den entgegengesetzten Fall an und ich würde dem französischen Staat erklären, wir wollen sämtliche Anteile an der EDF übernehmen. Glauben Sie wirklich, dass Sie hier zustimmen würden?“
Was war seine Antwort?
„Niemals!“ Und ich wage die Prognose, kein Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, egal welcher Partei er angehört, würde zulassen, die Stromversorgung zu 100 Prozent in ausländische Hände zu geben – heute noch weniger als damals. Ich hatte übrigens bereits 2007 mit Hendrik Wüst und Markus Söder ein Papier verfasst, in dem wir entsprechende energiepolitische Forderungen aufgestellt haben. Die EnBW hätte mit französischen Partnern an Bord niemals ihre spätere Rolle bei der Energiewende spielen können.
Nun hätten Sie sicher eine breite Mehrheit im Parlament bekommen. Warum haben Sie sich diese nicht besorgt?
Die Zeitachse war sportlich. Die Situation hatte sich zugespitzt und der Handlungsdruck wurde größer. Ich war im November 2010 auf einer zehntägigen Delegationsreise in Südostasien. Der Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg war beschlossen worden. Gleichzeitig nahte der Landtagswahlkampf, was zu einer Politisierung des Themas geführt hätte. Ich wollte die Entscheidung vorher herbeiführen. Doch es hatte noch nie einen vergleichbaren Case gegeben. Es gab Beispiele für den Verkauf von staatlichen Anteilen an Private, aber es gab noch nie einen Rückkauf, vor allem nicht im Energiesektor, an dessen Verfahren wir uns hätten orientieren können.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ein juristisches Problem war, dass das, was gesellschaftspolitisch ohne Zweifel richtig und notwendig war, in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht mit dem Landesverfassungsrecht an einer entscheidenden Stelle nicht so einfach in Übereinstimmung zu bringen war. Nach der Verfassungslage war es zunächst meine Einschätzung, dass ein solcher Deal unter normalen Umständen vom Parlament beschlossen werden muss. Es ging immerhin um fünf Milliarden Euro.
Sie hätten doch zumindest die Fraktionschefs einbinden können.
Nein, auch das war nicht möglich. Abgesehen davon, dass es das beschriebene rechtliche Problem nicht gelöst hätte, bestand Herr Proglio auf einem „unkonditionierten“ Angebot. Er wollte nicht in den EDF-Aufsichtsrat gehen, in dem ein Verkauf ziemlich unpopulär war, ohne eine rechtssichere Zusage. Er wollte das Geschäft dort nur vorschlagen, wenn er sicher sein konnte, dass es realisierbar ist und unter der klaren Bedingung, dass es vorher nicht an die Öffentlichkeit kommt. Bei einem börsennotierten Unternehmen nachvollziehbar – aber mit einer klassischen parlamentarischen Befassung schwerlich in Übereinstimmung zu bringen.
Was war Ihre Antwort?
Ich sagte ihm: Wenn ich Ihnen als Ministerpräsident mein Wort gebe, können Sie sicher sein, dass die Regierung so beschließen wird. Auf der Suche nach einem rechtlich gangbaren Weg hatte schließlich eine Stuttgarter Großkanzlei, die die rechtliche Beratung in dieser Transaktion übernommen hatte, die Idee geboren, Artikel 81 der Landesverfassung in Anwendung zu bringen. Dieser greift, wenn ein Ereignis „unvorhersehbar und unabweisbar“ ist. Später im Untersuchungsausschuss konnten sich leider nicht mehr alle an dieses Detail erinnern – es war aber schriftlich dokumentiert! Dieser Artikel dreht sozusagen das Prozedere um: Zuerst der Beschluss der Regierung und die vertragliche Fixierung, danach die Befassung des Parlaments.
Wo es ja auch eine Mehrheit gab.
Richtig! Genau das hatte die Opposition über viele Jahre hinweg immer gefordert. Ich war zuvor Fraktionschef der CDU im Landtag gewesen, daher wusste ich, dass eine sehr große Mehrheit des Parlaments hinter dieser Idee stehen würde.
Nur Ihr eigener Koalitionspartner, die FDP, war strikt dagegen …
Ich hatte mit den FDP-Kollegen einen Kompromiss gefunden. Auch die Grünen haben zunächst zugestimmt und fanden die Idee gut. Erst nach einiger Zeit dämmerte es ihnen, dass es doch nicht so clever sein könnte, dem Ministerpräsidenten vier Monate kurz vor der Landtagswahl Recht zu geben. Dann hat sich der Wind gedreht. Es gab eine Reihe von Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft. Die übrigens bis Sommer 2012 alle abgewiesen wurden!
Wie ging es dann weiter?
Ich kam aus Südostasien zurück und mir war klar: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder du springst oder du springst nicht. Die Situation konnte nicht so bleiben wie sie war. Ich bin dann nach Paris gefahren, um mit Herrn Proglio zu sprechen. Dieses Gespräch werde ich nie vergessen. Proglio begann mit den Worten: „Every-thing is on the table“. Nachdem ich ihm nochmals bestätigt habe, dass ein weiterer Anteilserwerb durch die EDF nicht möglich sein würde, ging es dann recht schnell in die Richtung, dass die EDF ihre Anteile verkauft.
Würden Sie heute genau wieder so handeln? Oder war es ein Fehler?
Aus damaliger Sicht würde ich immer wieder so handeln. Mit dem Wissen jedoch, dass der Staatsgerichtshof das Vorgehen später für verfassungswidrig halten würde, sicherlich nicht. Das ist klar. Es gibt allerdings auch namhafte Juristen, die unsere Vorgehensweise für korrekt gehalten haben. Dazu gab es ja auch einige Gutachten. Und wirtschaftlich betrachtet war und ist es für Baden-Württemberg ein Top-Geschäft.
Der zweite Vorwurf war, dass Sie die Aktien überteuert eingekauft haben und damit dem Land geschadet.
Dieser Punkt kam erst auf, als die Regierung meines Amtsnachfolgers ein Gutachten in Auftrag gegeben hat über die Werthaltigkeit der Transaktion. Das Gutachten kam – oh Wunder – zu dem Ergebnis, dass wir angeblich viel zu teuer gekauft haben.
Die Staatsanwaltschaft hat Ihnen vorgeworfen, dass die EnBW-Aktien 840 Millionen Euro zu teuer gewesen seien. War der Preis nicht doch zu hoch?
Ganz sicher nicht, wie später übrigens auch gerichtlich bestätigt wurde. Der Kaufpreis entsprach dem Wert, mit dem der EnBW-Anteil bei der EDF in den Büchern stand. Herr Proglio hatte erklärt, er werde keinesfalls unter dem Buchwert verkaufen. Der Preis war absolut korrekt und angemessen. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren dazu hat zwei Jahre und drei Monate gedauert, dann wurde es nach Paragraf 170 II der Strafprozessordnung eingestellt: Wegen erwiesener Unschuld! Die Einstellung des Verfahrens war den Medien lediglich eine kleine Randnotiz unten rechts wert, nach dem Motto „Sie konnten es ihm leider nicht beweisen …“. Während zuvor ausführlich berichtet wurde.
Die Presse hat ja nur berichtet, was ermittelt und gesagt wurde. Fühlten Sie sich ungerecht behandelt?
Das sehe ich etwas anders. Es wurden kontinuierlich und selektiv vertrauliche Unterlagen durchgestochen und auch in politisch eindeutiger Weise journalistisch verwendet. Hätte man die Vorwürfe mit etwas Sorgfalt betrachtet, hätte man recht schnell sehen können, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Es gab auch renommierte Experten, die den Preis für gerechtfertigt gehalten haben.
Dennoch: Der Wert bleibt umstritten.
Im Gegenteil: Er wurde ja gerichtlich durch das internationale Schiedsgericht, das auf Antrag Baden-Württembergs tätig wurde, bestätigt. Es gibt in der Betriebswirtschaftslehre verschiedene Wertermittlungsmethoden, die im Regelfall ein Unternehmen innerhalb gewisser Bewertungsbandbreiten sehen. Auch die LBBW hatte den Wert der Aktien in der Größenordnung bewertet, die wir bezahlt haben. Ich halte die Vorgehensweise, daraus den Vorwurf der schweren Untreue zu konstruieren, bis heute für äußerst fragwürdig, zumal wir vor der Transaktion alles hatten gründlich prüfen lassen. So hatte eine international renommierte Investmentbank eine Due Diligence gemacht, die die Korrektheit des Preises bestätigt hat.
Dann kam Fukushima, die CDU war in der Defensive. Wie haben sie das erlebt?
Fukushima hat einfach alles verändert. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die politische Stimmung über Nacht durch ein singuläres Ereignis, das noch nicht einmal in Deutschland geschah, jemals so beeinflusst wurde. Wir hätten wahrscheinlich in der heißen Phase des Wahlkampfs auch in den Urlaub gehen können und es wäre keinem aufgefallen. Die Kampagne, die wir vorbereitet hatten, wurde überlagert. Wir sind innerhalb von zwei Wochen auf 39 Prozent abgesunken.
Wie haben Sie den Wahltag erlebt?
Als ich nachmittags ins Staatsministerium gefahren bin, erhielt ich gegen 15 Uhr die erste Prognose. Daraufhin durfte ich Hans-Ulrich Rülke mitteilen, dass die FDP aktuell unter fünf Prozent lag. Am Ende hat es der FDP noch knapp gereicht mit 5,3 Prozent, aber nicht mehr für die Koalition.
Hat auch der Konflikt um den Tiefbahnhof Stuttgart 21 geschadet?
Stuttgart 21 war zu diesem Zeitpunkt durch. Die CDU war durch dieses Thema im Sommer 2010 im tiefen Tal, da lagen die Umfragewerte bei 37 Prozent. Die Grünen haben sowohl den Protest gegen Stuttgart 21 als auch gegen die Kernkraft gebündelt, und konnten dadurch 2011 sogar noch knapp an der SPD vorbeiziehen. Die CDU saß, wenn Sie so wollen, in einer strategischen Falle. Aber 17 Tage vor der Wahl, einen Tag vor Fukushima – lagen wir laut Umfrage von Stuttgarter Zeitung und SWR bei 42 Prozent.
Haben Sie nicht auch selbst Fehler gemacht bei Stuttgart 21?
Ich habe nie behauptet, dass ich fehlerfrei bin! Aber auch von all den klugen Köpfen, die sich danach an vermeintlichen Fehlern abgearbeitet haben, waren im Sommer 2010 keine Lösungen für den Konflikt, der ja schon viel länger andauerte, zu hören. Aus heutiger Sicht hätte bereits vor dem Sommer 2010 einiges anders laufen müssen. Wir hätten im September 2010 nie an diesen Punkt kommen dürfen.
Wie hätte es besser laufen können?
Es ist sicher auch Teil des Problems gewesen, dass es von 1992 an 18 Jahre gebraucht hat, um das Projekt zu beginnen. Da ist viel Wissen um das Projekt und in Teilen der Bevölkerung die Akzeptanz verloren gegangen. Ich habe übrigens damals im Staatsministerium eine wissenschaftliche Studie über die Polarisierung der Gesellschaft durch Stuttgart 21 in Auftrag gegeben, die mein Nachfolger wieder eingesammelt hat.
Der Schwarze Donnerstag war jedenfalls der Kipppunkt für die Stimmung.
Der Schwarze Donnerstag hätte nie passieren dürfen.
Ihnen wurde vorgeworfen, die Stimmung polarisiert zu haben. Welchen Anteil hatten Sie an der Eskalation?
Der Baubeginn hatte sich wie dargestellt immer weiter verzögert. Ab dem 1. Oktober durften nach geltender Rechtslage keine Bäume mehr gefällt werden. Wir reden hier von keinem riesigen Wald, sondern von etwas mehr als 20 Bäumen. In den Ministerien entstand die Idee für eine Ausnahmegenehmigung, um die Bäume auch später fällen zu können, aber das wollte ich politisch nicht. Es sollte keine Extrawurst für Stuttgart 21 geben. Übrigens war und ist die Deutsche Bahn der Bauherr und hatte und hat ein geltendes Baurecht. Ich hätte das Projekt als Ministerpräsident gar nicht stoppen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Wir hätten uns als Land schadensersatzpflichtig gemacht, zumal mehr als 400 Millionen Euro schon ausgegeben waren.
Daher wollten Sie, dass vor dem 1. Oktober die Bäume gefällt werden?
Deshalb war klar, dass die Räumung im Schlossgarten vor dem 1. Oktober passieren musste. Mir wurde im Nachhinein vorgeworfen, ich hätte künstlich Zeitdruck aufgebaut, was schlicht nicht wahr ist. Die Alternative wären weitere Verzögerungen und damit auch Kosten gewesen, die aber mit Blick auf Pro und Contra des Projektes nichts gebracht hätten. Was nicht hätte passieren dürfen, sind die direkten und indirekten Folgen des Polizeieinsatzes.
Bei dem auch durch den Einsatz von Wasserwerfern viele Demonstranten verletzt wurden.
Und knapp 30 Polizisten – nicht zu vergessen. Vermutlich hat die Polizei die Rahmenbedingungen unterschätzt. Gleichwohl wurde gegen die Polizei massiver Widerstand geleistet – auch das gehört zur Wahrheit: Einsatzfahrzeuge wurden besetzt, Wege wurden blockiert, eine Schülerdemo wurde fatalerweise in den Schlossgarten umgeleitet, was die Lage weiter verschärfte und anderes mehr.
Die Wirkung des harten Einsatzes war politisch eine Katastrophe, oder?
Als ich nach der Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit, die in jenem Jahr in Bremen stattfand, nach Berlin gefahren bin, legte mir der Regierungssprecher alle Sonntagszeitungen ins Auto. Und überall war dasselbe Bild auf Seite 1 zu sehen: Der Demonstrant, der am Auge schwer verletzt worden war. Dass er – wie auf den Polizeivideos dokumentiert ist – mehrere Male von der Polizei vom Geschehen weggeführt wurde und immer wieder zurückkam, wurde nicht berichtet. Die Botschaft war: Übermäßiger Polizeieinsatz, politisch motiviert und angeordnet, um Staatsmacht durchzusetzen.
In zwei Untersuchungsausschüssen im Landtag wurde Ihnen das vorgeworfen. Was war Ihre Rolle am 30. September?
Ohne einen einzigen Zeugen zu finden, der die These, dass dieser Einsatz quasi aus der Staatskanzlei angeordnet worden sei, bestätigt hat. Der erste Untersuchungsausschuss hat nichts zutage gebracht, was wir nicht schon gesagt hatten. Als die Regierung gewechselt hatte, hat man in einem zweiten Ausschuss noch einmal anderthalb Jahre gesucht, aber nichts gefunden. Vielleicht eine andere Interpretation, aber keine anderen Fakten. In der ersten Sitzung des zweiten Untersuchungsausschusses wurde jedoch recht deutlich darauf hingewiesen, was das Ziel der Veranstaltung sein sollte: Den früheren Ministerpräsidenten der uneidlichen Falschaussage zu überführen. Denn dafür droht eine Gefängnisstrafe.
Also, Sie haben nie gesagt: Ich will, dass die Baumfällung unbedingt durchgesetzt wird und setzen Sie dazu auch Wasserwerfer ein?
Absolut, nein.
Im Rückblick: Was hätten Sie anders machen können in diesem Herbst oder in diesen dramatischen Tagen?
Wenn ich noch einmal entscheiden könnte, würde ich die Mediation durch Heiner Geißler früher initiieren. Idealerweise direkt nach dem 10. Februar 2010 – also dem Tag, als ich ins Amt kam.
Wie kam es zur Schlichtung?
Mir war nach dem 30. September klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Es haben sich Dinge in diesem Land zugetragen, die man sich heute fast nicht mehr vorstellen kann. Da wurde jeden Montagabend die komplette Stuttgarter Innenstadt lahmgelegt mit teilweise mehr als 40 000 Demonstranten. Und diese Bilder kamen Woche für Woche via Fernsehen in jeden Haushalt.
Wie kamen Sie auf Heiner Geißler?
Ich habe mich in jenen Tagen regelmäßig mit Angela Merkel abgestimmt. Man darf nicht vergessen, dass das Jahr 2010 bislang für die CDU vorsichtig ausgedrückt nicht sehr gut verlaufen war: Die Koalition mit der FDP in Berlin lief schlecht, der Bundespräsident war unerwartet zurückgetreten, die Folgewirkungen der Weltfinanzkrise waren sehr massiv, schwierige Haushaltsberatungen standen an. Ich war mir mit der Kanzlerin einig: Wir benötigen eine Art Intermediär, jemanden, der Perspektiven aus neutraler Sicht einbringt, der moderiert und der von beiden Seiten akzeptiert würde.
Wie kamen sie auf Heiner Geißler?
Der Name fiel in einer Landtagsde-batte von Winfried Kretschmann. Ich fand Geißler schon immer gut, auch wenn er manchmal sehr eigen war. Die Idee stieß in CDU und FDP zunächst auf eher bescheidene Zustimmung. Sie hatte den immensen Charme, dass sie vom politischen Gegner kam, der sich folglich schwertun würde, Geißler abzulehnen. Ich rief ihn also an. Als ich seinen Namen in der Landtagsdebatte präsentierte, war Winfried Kretschmann sichtlich überrascht.
Wie ging es für Sie 2011 weiter?
Ich habe mit meiner Frau am Abend vor der Wahl entschieden: Sollte es nicht reichen, gehe ich raus aus der Politik. Im Juli 2012 begann dann das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, welches im Sommer 2014 an einen Punkt kam, der mich am Rechtsstaat hat zweifeln lassen.
Was ist aus Ihrer Sicht passiert?
Ich hatte durch einen riesigen Zufall erfahren, dass der von der Staatsanwaltschaft bestellte Gutachter von der LMU München bereits einige Jahre zuvor im Auftrag der EnBW ein Gutachten über deren Wert erstellt hatte. Damals hatte er einen rund eine Milliarde Euro höheren Unternehmenswert errechnet als nun in seinem Gutachten für das Land. Dies, obwohl die EnBW zwischenzeitlich deutlich mehr Umsatz und Gewinn machte und im Übrigen die im Sommer 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke gleichfalls deutlich werterhöhend wirkte.
Was folgte daraus für Sie?
Es war offensichtlich, dass in dem aktuellen Gutachten für die Staatsanwaltschaft etwas nicht stimmen konnte. Der Clou war: Dieses frühere Gutachten war der Staatsanwaltschaft gar nicht bekannt. Wie sollte es sein, dass wir angeblich 840 Millionen Euro zu viel gezahlt hatten, wenn derselbe Gutachter zuvor das Unternehmen schon rund eine Milliarde Euro werthaltiger gesehen hatte? Da wurde offensichtlich auch der Staatsanwaltschaft einiges klar. Keine drei Monate später wurde das Verfahren eingestellt …
Wie empfanden Sie das lange Verfahren gegen Sie damals?
Es war sehr belastend. Daher war es mir sehr wichtig, dass das Verfahren vollständig wegen erwiesener Unschuld eingestellt wird, nicht wegen geringer Schuld gegen Geldauflage.
Haben Sie damit abgeschlossen?
Ich habe das große Glück, ein sehr stabiles Umfeld zu haben: Allen voran meine Frau und die gesamte Familie, gute Freunde, die immer zu mir gestanden haben, wie im Übrigen auch die CDU in meinem früheren Wahlkreis. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, die Sache hätte mich nicht lange beschäftigt. Schließlich ist es auch berufsschädigend, wenn Sie – wie es zeitweise der Fall war – ständig durch die Presse geschmiert werden. Aber man muss mit einem solchen Ereignis irgendwann abschließen, sonst kann man auch daran kaputt gehen. Ich habe für mich irgendwann diesen Entschluss gefasst – mit aller Konsequenz – auch hinsichtlich einiger persönlicher Beziehungen im Privaten und in der Partei.
Der CDU-Chef Hagel hat sie zum Sommerfest 2023 eingeladen. Wie kam es dazu?
Ich habe mir lange überlegt, ob ich hingehe. Aber ich halte Manuel Hagel für eine große Zukunftshoffnung. Er hat im Gegensatz zu manchem seiner Vorgänger begriffen, dass eine Partei nur dann stark sein kann, wenn sie einig ist. Wir hatten im Vorfeld der Feier zwei oder drei Gespräche, wo er mich einlud und mich darum bat, doch zu kommen. Zunächst war ich zurückhaltend. Aber dann obsiegte die Überzeugung: Wenn die CDU Baden-Württemberg mit Manuel Hagel wieder jemanden hat, der meines Erachtens einen sehr guten Job macht und die CDU hoffentlich wieder an die Spitze dieses Landes bringt, und mich dieser Mensch um etwas bittet, dann versage ich mich nicht. Es wurde dann ein sehr schöner Abend!
Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Wolfgang Leja
Zur Person
Stefan Mappus ist seit April 2024 Geschäftsführer der EUTOP Group in München. Er leitet das Unternehmen mit Christian Schaufler, der seit 2011 bei EUTOP tätig ist und 2019 Geschäftsführer wurde. Er ist der Sohn des ehemaligen Verkehrs- und Wirtschaftsministers Hermann Schaufler (CDU). EUTOP berät hauptsächlich große Dax-Unternehmen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik und vertritt diese im Vorfeld von Gesetzesvorhaben.
Davor war Mappus von 2015 bis 2023 bei pmOne AG tätig, zuletzt als Chief Financial Officer (CFO). Bei pmOne entwickelte er Controlling-Systeme. Seinen Posten als Brasilien-Chef von Merck musste er nach kurzer Zeit aufgeben.
Seine politische Karriere begann als Gemeinderat in Mühlacker, 1996 dann mit 29 Jahren Abgeordneter im Landtag. Zwei Jahre später ernannte ihn Erwin Teufel (CDU) zum Staatssekretär im Umwelt- und Verkehrsministerium. Als Günther Oettinger 2005 Ministerpräsident wurde, setzt sich Mappus gegen Peter Hauk als Fraktionschef durch. 2010 wurde Oettinger EU-Kommissar, der Landtag wählte Mappus am 10. Februar zum neuen Regierungschef. Nach der Wahlniederlage 2011 trat er als Landesvorsitzender zurück, schied aus dem Landtag aus.