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„Antisemitismus bekämpft man entweder überall oder man bekämpft ihn gar nicht“
Antisemitismus ist nicht irgendein Hass. Rabbi Jonathan Sacks, einst Oberrabbiner von Großbritannien, seligen Angedenkens, hat einmal gesagt, dieser Hass beginnt immer bei Juden, aber er endet nie bei ihnen. Antisemitismus ist ein verschwörungsmythologischer Angriff auf das Miteinander der Religionen und Kulturen, der demokratischen Parteien, der Verbände, der Zivilgesellschaft. Wer es zulässt, dass ein Staat, ein Volk, eine Religionsgemeinschaft der Vernichtung preisgegeben wird, der lässt zu, dass niemand mehr auf der Welt sicher leben kann. Deshalb müssen wir gemeinsam gegen Antisemitismus stehen und an der Seite der Republiken Israel und Ukraine stehen. Nicht, weil wir ein schlechtes Gewissen hätten oder weil wir Jüdinnen und Juden einen Gefallen tun würden, sondern aus unserer eigenen Überzeugung heraus, dass in einer freien Gesellschaft Vielfalt okay sein muss, dass es okay sein muss, jüdisch, christlich, muslimisch, Bahai, buddhistisch, nichtreligiös zu sein, dass es okay ist, verschieden zu sein in einer freiheitlichen Rechtsordnung, die jedem Menschen das Recht auf Sicherheit gewährt. Dafür stehen wir ein! Baden-Württemberg hat als erstes Land in der Bundesrepublik das Amt eines Antisemitismusbeauftragen geschaffen. Und ich bin sehr froh, dass ich nicht gewusst habe, was diese Beauftragung mit sich bringt. Ja, die heutigen Meldungen stimmen, es ist gegenüber mir, meinem Team und meiner Familie wieder eine Morddrohung eingegangen, diesmal aus dem Umfeld der Hamas. Aber ich hatte im Irak keine Angst und werde in Baden-Württemberg damit nicht anfangen. Terroristen wollen Terror und Angst verbreiten und das dürfen wir nicht zulassen. Danke, dass Ihr Position bezieht!
Die jüdischen Gemeinden haben mich damals bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann vorgeschlagen, und wir wussten, wenn Badener und Württemberger einen gemeinsamen Vorschlag machen, egal in welcher Religion, dann ist das zu berücksichtigen. Und ich weiß, dass sehr viele Mitglieder der Grünen selbst bittere Erfahrungen mit digitalem Hass, mit Hetze und Antisemitismus machen. Das Massaker der vergangenen Woche war nicht zufällig an einem Sabbat, an Simchat Tora, das ist das Fest der Torafreude im Judentum, an dem man sich eigentlich über das Geschenk der Tora freut, tanzt und lacht. Die Terroristen wussten also wie vor 50 Jahren am Jom Kippur, am Versöhnungstag, genau, wann sie angreifen, damit sie die Menschen in ihrer Staatlichkeit, aber auch in ihrer Religiosität maximal treffen können. Jede Tora-Rolle der Erde besteht aus 304.805 von Hand geschrieben Alphabet-Buchstaben. Das Judentum war die erste Religion der Alphabetisierung, der Begriff der Bildung entstammt direkt dem ersten Buch Mose. Der Mensch, heißt es dort, jeder Mensch, sei im Bilde Gottes geschaffen. Daher kommt unser vielleicht schönstes deutsches Wort, der Begriff der Bildung. Und weil ich heute zu Grünen sprechen darf, will ich auch erwähnen, dass auch der Regenbogen aus dieser biblischen Geschichte um Noah und Sem kommt. Und wenn Faschisten sich darüber aufregen, dass Deutschland Regenbogen auf den Zügen hat, dann kann ich nur sagen, diese Leute sind keine Retter des Abendlandes, sie kennen nicht einmal die Wurzeln unserer gemeinsamen Kultur! Muhterem Aras und ich sind uns ganz einig in der Zurückweisung des muslimischen Antisemitismus. Und gleichzeitig dürfen wir nicht so tun, als könne man nicht sogar in deutschen Bundesländern mit Antisemitismus wieder Wahlen gewinnen. Antisemitismus bekämpft man entweder überall oder man bekämpft ihn gar nicht. Ich brauche auf einem Grünen-Landesparteitag niemandem zu erklären, was gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist, was Rassismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus und dergleichen sind. Rabbi Sacks sagt: Immer dann, wenn Menschen aufgespalten werden, in die absolut gute Eigengruppe und die Gruppe der vermeintlich absoluten Verschwörer, dann geht das in Terror und Extremismus über. Und eben weil das Judentum die erste Religion der Alphabetisierung, der Bildung war, wird es praktisch immer mit Verschwörungsmythen verbunden, mit einem Glauben an eine Weltverschwörung. Und es geht mit Vernichtungsphantasien einher.
Die Hamas möchte eben keine friedliche Zwei-Staaten-Lösung! Israel hat sich 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen. Seit 2007 herrscht die Hamas, und sie unterdrückt auch das eigene Volk. Palästinenserinnen und Palästinenser, die wieder wählen wollen, die demonstrieren wollen, die vielleicht Friedensgespräche wollen, werden blutig verfolgt. Und jetzt hat die Hamas nicht nur israelische Zivilisten, Frauen, Kinder Babys getötet, geschlachtet, sondern sie nutzt auch Palästinenserinnen und Palästinenser als lebendige Schutzschilde! Lasst also niemandem durchgehen, für die Hamas zu plädieren und zu behaupten, damit für die Palästinenser zu plädieren! Wer auch für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser ist, wer für Frieden und die Reste einer Chance auf eine Zwei-Staaten-Lösung ist, der muss gegen die Hamas sein!
Ich war vergangene Woche zu Gesprächen in Washington und habe mich gefragt, warum im State Department oder dem Holocaust-Memorial so viel Interesse an Baden-Württemberg besteht. Einer der Hauptgründe dafür ist das Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg. Sie, Herr Ministerpräsident, hatten den Mut, meinem Team und mir das Vertrauen auszusprechen und auch selbst politisch viel zu riskieren. Wir konnten dem Terrorismus, dem Fanatismus des sogenannten Islamischen Staats entgegenstehen, 1100 vor allem ezidische Frauen und Kinder aus dem Irak herausholen und ihnen hier eine neue Zukunft geben. Danke für diese Courage! Wir sind dem Terrorismus des sogenannten Islamischen Staats und seiner Verbündeten, der Hisbollah und der Hamas, schon zu einer Zeit entgegengetreten, als andere das noch nicht ernst genommen haben. Und dafür danke ich Ihnen, Herr Kretschmann, von Herzen! Wenn wir es zulassen, dass Terrororganisation Menschen verfolgen können, werden wir nicht im Frieden leben können. Die Nazis ermordeten eben auch die Roma und Sinti. Der sogenannte Islamische Staat ermordete auch die Eziden. Und die Hamas würde, wenn sie es könnte, beispielsweise auch die Drusen vernichten. Lasst uns gemeinsam immer daran festhalten, dass es nicht zwei Arten des Hasses gibt. Sondern: Wer einen Menschen töten will, einfach nur, weil er oder sie zu einer Gruppe gehört, der kann keine Demokratin und kein Demokrat sein. Jedes Leben ist wertvoll und jedes Leben ist heilig! Aber ich glaube, es läuft bei allem, was wir an Übel erleben und was uns bedrückt, sehr vieles auch gut. Es ist jetzt die Zeit, gemeinsam an der Seite von Israel und der Ukraine zu stehen und denjenigen entgegenzutreten, die die Demokratien, die Republiken, die Europäische Union, die Idee der Menschenrechte und Menschenwürde zerstören wollen. Koalitionen sind nie leicht, aber wir leben hier in Baden-Württemberg ein Miteinander. Ich will einfach mal betonen: Demokratinnen und Demokraten können untereinander Wettbewerber sein; sie können unterschiedlicher Meinung sein, das kommt sogar alles auch innerhalb von Parteien vor. Aber niemals, wirklich niemals sind sie Feinde. Und sie sind auch keine Hauptgegner, sondern sie sind demokratische Partner! Und sie müssen in der Lage sein, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, wie es in Baden-Württemberg geschieht. Deswegen will ich hier und heute auch den Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz und Manuel Hagel dafür danken, dass sie eine funktionierende, demokratische Koalition zusammenhalten! Ich kenne kein Land in Geschichte und Gegenwart, das jemals positive Erfahrungen in einer Koalition mit Faschisten oder Antisemiten gemacht hätte. Und ich kann auch nur davor warnen, so etwas in Deutschland zu probieren. Die demokratischen Parteien müssen zusammenhalten und die Brandmauer darf nicht nur Folklore sein. Von großer Bedeutung sind Bildung und Integration. Wir sind uns einig, dass wir Terrorismus bekämpfen müssen, dass wir Polizei und Militär dafür brauchen. Wichtig und entscheidend ist aber auch, dass wir verhindern, dass Menschen überhaupt radikal, verschwörungsgläubig und antisemitisch werden. In dem Antisemitismus-Bericht, dem ich dem Landtag vorgelegt habe, bitte ich nur an einer einzigen Stelle um mehr Geld, und die ist im Bereich Bildung. Sie glauben gar nicht, wie viele Anfragen wir bekommen aus Schulen und Hochschulen. Menschen wollen etwas tun, sie wollen verhindern, dass Kinder und Jugendliche in die Fänge des Hasses geraten Sie wollen den Kids helfen, mit den neuen Medien umzugehen, nicht auf Propaganda und Verschwörungsmythen hereinzufallen. Das ist unsere Verantwortung als Land, hier können wir etwas tun. Auf der einen Seite gilt es die Terroristen zu bekämpfen und auf der anderen zu verhindern, dass Terrororganisationen, antisemitische Organisationen, egal welcher Herkunft, überhaupt noch Nachwuchs finden. Und dann will ich noch etwas sagen, sage es auch an anderer Stelle und damit mache ich mich nicht unbedingt beliebt. Völlig zu Recht wollen Sie die Kommunen stärken und völlig zu Recht betonen Sie die Energiewende und übrigens da auch die Bedeutung von Wasser, das große Thema der kommenden Jahre. Nicht von ungefähr ist der Verschwörungsmythos des Brunnenvergifters eine der ältesten antisemitischen Verschwörungsmythen.
Es sind aber wir selbst, die mit unserer Gier nach Öl und Gas autoritäre Regime, wie Russland, wie den Iran, wie Katar, Saudi-Arabien oder Venezuela finanzieren. Die Energie- und Verkehrswende, der Umstieg auf Erneuerbaren Energien sind nicht etwas, was man auch machen kann, wenn man gerade Zeit hat, sondern sie sind von enormer strategischer Bedeutung!
Solange wir diese Regimes finanzieren, solange wir etwa über Indien russisches und iranisches Öl beziehen, auch jetzt und heute noch, so lange finanzieren wir die Raketen und die Terrorgruppen und die Gewalt mit, die auf unsere israelischen und ukrainischen Verbündeten niedergehen. Deswegen ist meine Bitte an alle demokratischen Parteien: Lassen Sie uns endlich Energie- und Verkehrspolitik so wichtig nehmen, wie sie sind. Wir müssen raus aus der Abhängigkeit von antisemitischen autoritären Organisationen und Terrorgruppen. Wir müssen den Antisemitismus bekämpfen und wir dürfen ihn nicht finanzieren. Ich weiß, das ist eine Aufgabe, die ist groß. Und deswegen danke ich allen, danke ich Euch, die sich für die Transformation in ein besseres Morgen einbringen. Schalom.
Quelle/Autor: Michael Blume