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Andreas Stoch: „Grün-Schwarz bringt das Land nicht voran“
Staatsanzeiger: Grün-Schwarz streitet über Klima, Atomkraft, Schulden. In Berlin dasselbe Schauspiel, nur dass dort die Ampel regiert. Was wäre eigentlich besser, wenn sich Herr Kretschmann 2021 mit Herrn Rülke und Ihnen eingelassen hätte?
Andreas Stoch: Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Koalition aus Grünen, SPD und FDP einen deutlich höheren Anspruch hätte, Politik zu gestalten. Grüne und CDU haben kaum Gemeinsamkeiten in wichtigen politischen Fragen, was dazu führt, dass sie sich über Kleinigkeiten streiten. Sobald es um Bereiche geht, in denen es Ideologieunterschiede gibt, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, hakt und hängt es überall. Diese Landesregierung ist nicht in der Lage, das Land voranzubringen.
Andreas Stoch, SPD-Fraktionsvorsitzender
Foto: dpa | Bernd Weißbrod
Sie werfen dem Finanzminister vor, sich künstlich arm zu rechnen: Herr Bayaz könne sogar 25 Milliarden Euro investieren, ohne dass die Neuverschuldung steigt. Befördern Sie mit solchen Äußerungen nicht das Klischee, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können?
Wenn ich darauf hinweise, welche Möglichkeiten die Landesregierung hat, heißt das noch lange nicht, dass ich sie auffordere, 25 Milliarden Euro aus dem Fenster zu werfen. Ich erwarte aber von einer Regierung, dass sie in politisch schwierigen Zeiten die richtigen Entscheidungen trifft. Wenn uns die Landesregierung täglich erzählt, wie wichtig der Ausbau der erneuerbaren Energien ist, de facto aber nichts passiert – fünf Windräder wurden in diesem Jahr gebaut, gerade einmal zwei Prozent der Landesgebäude haben eine Photovoltaikanlage –, dann läuft da etwas falsch. Wir haben beim Klimawandel nicht die Zeit, zu warten, bis Corona und der Ukraine-Krieg vorbei sind. Und was die 25 Milliarden Euro angeht: Das sind bereits vom Landtag genehmigte Kreditermächtigungen, das heißt, das sind finanzielle Handlungsspielräume, die das Land jetzt schon hat, ohne dass wir die Schuldenbremse strapazieren müssen.
Sie rühmen sich Ihres guten Drahts ins Kanzleramt, sitzen aber nach wie vor auf der Oppositionsbank. Warum geht es für die SPD in Baden-Württemberg nicht bergauf?
Wir haben in den letzten Jahren wechselvolle Zeiten durchlebt – auch innerhalb der Partei. Doch seit 2018, als ich den Landesvorsitz übernommen habe, befinden sich sowohl die Landespartei als auch die Landtagsfraktion im Vorwärtsgang. Wir sind als Landespolitiker auch abhängig von bundespolitischen Stimmungen. Das merkt man an den Umfragen, die manchmal auch Grund zur Freude sind. Nach der gewonnenen Bundestagswahl lag die SPD im Land vor der CDU und nur noch knapp hinter den Grünen. Das zeigt mir, dass wir die Möglichkeit haben, stärker zu werden als bei der letzten Landtagswahl. Das muss auch unser Anspruch sein. Wir brauchen eine SPD in der Landesregierung, damit endlich etwas passiert, sei es bei den erneuerbaren Energien, beim bezahlbaren Wohnraum oder bei der Bildung.
Apropos Bildung: Sind die Schulen bei der neuen Kultusministerin in besseren Händen als bei ihrer Vorgängerin?
Dass sie bei Frau Eisenmann, die das Amt von 2016 bis 2021 innehatte, in schlechten Händen waren, ist niemandem verborgen geblieben. Frau Eisenmann hat versucht, die notwendigen Reformprozesse zu stoppen oder gar das Rad der Zeit zurückzudrehen. Aus meiner Sicht waren das fünf verlorene Jahre. Ich sehe allerdings bei der aktuellen Amtsinhaberin Frau Schopper keinerlei Initiativen.
Wie bewerten Sie ihre Außenwirkung?
Ich komme an Schulen, wo mir gesagt wird: Über Frau Eisenmann konnte man sich aufregen, aber sie war wenigstens sichtbar. Von Frau Schopper hört und sieht man nichts. Und das ist für eine Kultusministerin in der aktuellen Situation, wo der Unterrichtsausfall so groß ist wie noch nie, deutlich zu wenig. Ich habe den Verdacht, dass Frau Schopper von Herrn Kretschmann ins Kultusministerium gesandt wurde mit dem klaren Auftrag: Ich möchte von dir möglichst wenig hören. Halte den Bildungsbereich still. Aber das kann nicht der Anspruch sein. Frau Schopper ist zwar deutlich freundlicher als Frau Eisenmann, aber was ihre bildungspolitischen Leistungen angeht, kann ich keine positiven Zeichen erkennen.
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Die Opposition hat einen Untersuchungsausschuss erwirkt. Normalerweise kommt dabei außer einem Haufen Papier wenig heraus. Werden diesmal Köpfe rollen?
Da möchte ich widersprechen. Erinnern Sie sich an den Flowtex-Untersuchungsausschuss, über den zwei FDP-Minister stolperten? Oder an jenen zur EnBW, eine Aufarbeitung der Regierungszeit Mappus? Das war für die demokratische Hygiene in diesem Land extrem wichtig. Nicht zu vergessen der Schlossgarten-Untersuchungsausschuss, der einer der Gründe dafür war, dass die CDU aus der Villa Reitzenstein geflogen ist.
Wie sieht es mit dem aktuellen Untersuchungsausschuss aus?
Herr Strobl hat es geschafft, als Innenminister, also als Verfassungsminister dieses Landes, Recht zu brechen, indem er ein Schreiben aus einem laufenden Disziplinarverfahren an einem Journalisten weitergeleitet hat. Das ist strafbewehrt. Was mich an diesen Sachverhalt fast am meisten erschüttert, ist, dass Herr Kretschmann keinerlei Anstalten macht, das zu verurteilen. Außerdem geht es um die Aufarbeitung von Fällen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und um sehr fragwürdige Beförderungspraktiken im Innenministerium. Die Frage ist doch: Was muss eigentlich noch passieren, damit ein Minister entlassen wird? Herr Kretschmann will mit Herrn Strobl seinen wichtigsten Verbindungsmann zur CDU nicht verlieren. Aber mit Verlaub: Strategische Überlegungen stehen nicht über dem Gesetz.
Die Sonne meint es derzeit besonders gut mit uns, doch alle Blicke gehen in Richtung Herbst. Ist Baden-Württemberg in Sachen Energie gut vorbereitet?
Wir müssen in den nächsten Jahren Abschied nehmen von fossilen Brennstoffen, sei es Kohle, Öl oder Gas. Das wäre auch ohne den Ukraine-Krieg eine große Herausforderung. Jetzt wird es noch schwerer, aber umso notwendiger. Doch ich bin sicher: Wir können das schaffen, wenn wir auf technologischen Fortschritt setzen. Deswegen setze ich auch bei der Frage, wie wir durch die nächsten Monate kommen, auf die Intelligenz der Menschen. Es kann sein, dass wir unsere Heizgewohnheiten ändern müssen. Aber die Frage, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen, hätten wir auch ohne Krieg längst stellen müssen.
Fünf Fraktionschefs – fünf Perspektiven
Wie schaffe ich es, die SPD aus dem Umfragetief herauszuholen? Wie greife ich eine Regierung an, an deren Spitze ein populärer Ministerpräsident sitzt? Wie kann ich aus der Opposition heraus so viel wie möglich für meine Partei, aber auch für das Land tun?
Das sind Fragen, wie Andreas Stoch sie sich stellt. Der Chef der SPD im Landtag von Baden-Württemberg ist der zweite Fraktionsvorsitzende, der dem Staatsanzeiger ein Sommerinterview gibt. In der kommenden Woche ist Hans-Ulrich Rülke (FDP) an der Reihe.