Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Dokumentationszentrum Nationalsozialismus in Freiburg

NS-Dokumentationszentrum: Zwischen Bildungsauftrag und Anfeindungen

Die Stadt Freiburg setzt ein Zeichen für Toleranz und gegen das Vergessen: Seit Ende März steht Besuchern das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus als Erinnerungs-, Gedenk- und Lernort offen. Doch ohne politische und zivilgesellschaftliche Unterstützung können die Gedenkorte im Land ihre Arbeit nicht leisten.

Das neue Dokumentationszentrum Nationalsozialismus (DZNS) gibt in seiner Dauerausstellung Einblick in den Alltag der Menschen in Freiburg unter dem Regime.

Seeger)

Freiburg/Ulm. „In Zeiten von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Geschichtsverdrehung müssen wir uns für unsere Demokratie starkmachen.“ Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) und die Stadt Freiburg setzen hier ein Signal: Seit dem vergangenen Wochenende können Besucher das neue Dokumentationszentrum Nationalsozialismus (DZNS) besuchen, das zentral in der Innenstadt liegt.

Das Besondere dieses Gedenkortes: Es ist eine bundesweit einmalige „Demokratie-WG“ entstanden. Denn im Ensemble von altem Rotteckhaus und dem ehemaligen, aus den 1930er-Jahren stammenden Verkehrsamt sind die Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung und das DZNS eingezogen – als zentraler Ort der Erinnerung wie als Lernort für die Gegenwart und Zukunft.

„Mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums Nationalsozialismus setzen wir ein wichtiges politisches Zeichen: für Toleranz und Menschlichkeit und gegen das Vergessen“, betont Horn. „Die Erinnerung an die schrecklichen Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft droht heute zu verblassen.“

Tatsächlich wollen 55 Prozent der Deutschen laut einer aktuellen Befragung im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit, dass 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gezogen wird. Andererseits stimmen auch fast 80 Prozent dem Satz zu: „Es ist für uns Deutsche Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Geschichte des Nationalsozialismus und der Holocaust nicht vergessen werden.“

Das neue Dokumentationszentrum Nationalsozialismus liegt zentral in der Innenstadt.

Die Gedenkstätten stehen vor einer doppelten Herausforderung

Dieser Zwiespalt, den die Gesellschaft derzeit in sich trägt, ist auch in der Gedenkstättenarbeit spürbar, erläutert Nicola Wenge, wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm und Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg (LAGG).

„Es ist eine doppelte Herausforderung. Einerseits erfahren wir gesteigerte bildungspolitische Erwartungen von Politik und Zivilgesellschaft, das heißt mehr Aufklärungsarbeit gegen Rassismus, Antisemitismus und Geschichtslügen zu leisten“, so Wenge. „Gleichzeitig werden Gedenkstätten zunehmend als Symbole und Orte der Erinnerungskultur angegriffen.“

Immer wieder werden sie Ziel von Beschädigungen, Schmierereien, Beleidigungen oder Kritzeleien. So wurde zuletzt die Infotafel der KZ-Gedenkstätte in Vaihingen an der Enz im Februar und März ein Ziel von Zerstörungswut, ob politisch motiviert, bleibt offen. Die Plexiglasscheibe wurde von Unbekannten zerschlagen. Offene Gewaltdrohungen gegen Mitarbeitende von Gedenkstätten, so Wenge, habe es in Baden-Württemberg wohl noch nicht gegeben – anders als in Sachsen oder Thüringen. „Wir können aber auch“, sagt Wenge, „ein ungebrochen steigendes Besucherinteresse beobachten, bei uns in Ulm wie überall, das konterkariert die Rede vom Schlussstrich. Es gibt viele, die mehr über den Nationalsozialismus wissen wollen.“

In Freiburg bietet das DZNS nun die Chance, „Lücken zu schließen“, sagt die wissenschaftliche Leiterin im DZNS, Julia Wolrab. „80 Jahre nach Kriegsende wird deutlich, dass viele Fragen mit regionalem Fokus noch nicht beantwortet wurden.“ Und das, obwohl die Erinnerungsarbeit auch in Freiburg schon kurz nach Ende des Krieges einsetzte. Wie das nationalsozialistische Regime sich in der Stadtgesellschaft etablierte, wie es in den Alltag der Menschen eindrang und die Beziehungen der Menschen untereinander bestimmte, lässt sich in der Dauerausstellung „Hinter den Fassaden. Freiburg im Nationalsozialismus“ nachvollziehen. Erinnert wird im eigens gestalteten Innenhof mit einer langen Namensreihe an die bis jetzt 1048 Verfolgten und Ermordeten in Stadt und Region, deren Biografien ergänzend dargestellt oder noch erschlossen werden sollen.

„Gerade in diesen Zeiten einen solchen Ort zu haben, der die Geschichte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft dokumentiert und zeigt, wie schnell demokratische Strukturen abgeschafft, menschenverachtende Ansichten sich in der Gesellschaft durchsetzen können, ist wichtig“, sagt Wolrab.

Das Haus selbst setzt da Zeichen: durch seine offene, transparente Gestaltung, die Besucher einladen soll, einzutreten; aber auch durch das Konzept, das auf Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen in der Stadt setzt, etwa Kooperationen mit dem Stadttheater. Das DZNS soll in die Stadtteile hineinwirken. „Wir wollen eine möglichst breite Zielgruppe ansprechen und über Dauer- und Wechselausstellung thematische Angebote machen“, betont Wolrab. „Es geht aber auch darum, Angebote von Zielgruppen gestalten zu lassen.“

Im Innenhof des DZNS wird mit einer langen Namensreihe an die Verfolgten in Stadt und Region erinnert, ihre Biografien sollen noch ergänzend dazu dargestellt werden.

Die Einrichtungen sind trotz großes Interesses stets finanziell am Limit

Jugendliche, der Sinti-Verein, die jüdischen Gemeinden können sich einbringen, um „ein Gefühl von Selbstwirksamkeit“ zu erreichen. Schlussendlich geht es darum, mit ihnen und nicht über sie und über ihre Sicht und Erfahrungen zu sprechen. „Die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus hat oft etwas Belehrendes, wir wollen das vermeiden“, so Wolrab.

Nicht aus dem Schul- oder Sachbuch zu lernen, sondern den historischen Ort zu erleben, an dem Geschichte stattgefunden hat, sei der große Vorteil, den die Gedenkstätten und Erinnerungsorte böten, meint Wenge. „Wir können zeigen, wie schnell Demokratie gefährdet ist. Voraussetzung ist, dass Politik und Zivilgesellschaft das mittragen, auch finanziell. Denn wir sind trotz des großen Interesses immer am Limit.“

Bis März 2026 ist der Eintritt in das DZNS frei

Das neu eröffnete Dokumentationszentrum Nationalsozialismus (DZNS) in Freiburg ist ein Erinnerungs- und Lernort und ist Teil des Verbunds der Städtischen Museen Freiburg.

Das DZNS bietet einen Gedenkraum für verfolgte und ermordete Menschen aus Freiburg und der Region, eine Dauerausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus in Freiburg und im Dreiländereck. Hinzu kommt eine Fläche für Sonderausstellungen, Seminarräume und die Gertrud-Luckner-Bibliothek. Die Stadt Freiburg hat das Gebäude für 6,8 Millionen Euro gekauft.

In Umbau und Sanierung sind 5,9 Millionen Euro geflossen, dazu 1,6 Millionen Euro für Einrichtung und Erstausstattung. Für den laufenden Betrieb sind rund 700 000 Euro jährlich vorgesehen. Bis März 2026 ist der Eintritt frei.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch