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Pro und Contra zur Oper „Sancta“

Stadtdekan Christian Hermes: „Theater trägt Verantwortung für die mentale Gesundheit des Publikums“

Aktuell steht die Oper „Sancta“, die derzeit an der Staatsoper Stuttgart aufgeführt wird, im Kreuzfeuer. Wir haben zwei Persönlichkeiten um ein Statement gebeten. Stadtdekan Christian Hermes plädiert auf der Contra-Seite dafür, das Gespräch über „Sancta“ zu wagen.

Die Oper „Sancta“ polarisiert – Stadtdekan Christian Hermes steht auf der Contra-Seite.

Heinz Heiss)

Muss erst Blut fließen, damit über Kunst gesprochen wird? Die Entgrenzungsdynamik der Performativen Kunst hat den Raum des Dramas inzwischen weit über die Bühne des Opernhauses eröffnet. Jetzt geht es um Kunstfreiheit und Religionskritik, um Traumata und Trigger, um Blasphemie und Bashing.

Eine Woche vor der Stuttgarter Premiere diskutierten Florentina Holzinger und ich in der Staatsgalerie über „Sancta“, sexuell-spirituellen Erlösungskitsch und das weite Feld von Gewalt und Religion, Spiritualität und Vulnerabilität, über den Körper als politisches Battlefield. Ich habe Respekt vor der Radikalität Florentina Holzingers. Sie macht sich verwundbar und legt den Finger in die Wunden nicht nur der Religion, sondern unserer Kultur und einer Welt, in der auch heute zu viel unschuldig Blut vergossen wird.

Ist eine dionysische Ästhetik der Gewalt und Überwältigung die Lösung? Ich habe große Zweifel. Dass Mitarbeitende und Besucher „lustvoll“ an und über die Grenzen des ästhetisch und psychisch Erträglichen geführt werden, religiöse Gefühle entgegen aller sonst gepflegten politischen Korrektheit brachial verletzt werden und mit der mentalen Gesundheit der Menschen gespielt wird: Darüber soll man bitte nicht so leichtsinnig hinweggehen. Ein Theater trägt Verantwortung für die mentale Gesundheit von Staff und Publikum. Eine Bürgerschreck-Attitüde oder die Vermutung, dass Schock und Skandal außer Klicks und Tickets irgendwie auch kathartische Verwandlung bewirkten, werden dem Thema überhaupt nicht gerecht. Aus leidvoller Erfahrung meiner Institution weiß ich: Man muss heute informierter sein über seelische Vulnerabilität und was ein solches „unter die Haut“ gehendes Stück auslösen kann, um es bei ein paar Trigger-Warnungen bewenden zu lassen.

Ebenso lustvoll verständnislos scheint der Umgang mit dem, was religiösen Menschen heilig ist. Das Christentum und die Messe zu verhöhnen und mit Kannibalismus zu assoziieren ist obszöne Blasphemie. Ich verteidige die Freiheit der Kunst, aber auch das Recht religiöser Menschen und der Religion, nicht diffamiert zu werden. Religion muss (auch künstlerische) Kritik aushalten, wie gemein sie auch sein mag. Aber religiöse Menschen nicht nur in Stuttgart fragen sich, ob steuerfinanzierte Kunst sich so ahnungs- wie rücksichtslos nur am Christentum oder auch an anderen Religionen „abarbeiten“ sollte? Gibt es da, und wenn ja: wo und warum oder warum nicht Grenzen? Oder nur Opportunitätskalküle?

Der Finger ist in der Wunde. Und nun? Nur wer auch Worte in die Wunde legt und das Gespräch wagt, das schmerzhafter sein kann als ein Piercing, wird der Kunst und der Religion gerecht.

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