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Spagat zwischen Mahnmal und Verherrlichung
Stuttgart. 70 Künstler haben an der Auslobung des Wettbewerbs teilgenommen, mit dem ein Entwurf für eine künstlerische Intervention am Finanzamt Ulm gesucht wird. An dem 1938 errichteten Gebäude findet sich neben dem Eingang ein Reichsadler, ein Symbol der nationalsozialistischen Herrschaft. Schon vor Längerem wurde er mit roter Farbe beworfen. Entfernt wurde die Farbe nicht, weil man dies durchaus als Stellungnahme und Auseinandersetzung mit diesem strittigen Gebäudebestandteil verstehen könne, so Tilmann Häcker, Leiter von Vermögen und Bau Amt Ulm.
Lediglich an zwei weiteren Landesgebäuden – am Kollegiengebäude I der Uni Freiburg und im Innenraum der Stadthalle in Maulbronn im Enzkreis – gibt es ebenfalls Relikte aus der Nazizeit. In den entsprechenden Rahmen gerückt werden sie über Infotafeln und QR-Codes, die zu mehr Informationen führen sollen.
Am Schlageter-Denkmal in Schönau scheiden sich die Geister
In Schönau im Schwarzwald (Landkreis Lörrach) wollte der Gemeinderat am Montag über den Text zu Info-Tafeln entscheiden, die beim Ehrengrabmal und Denkmal für Albert Leo Schlageter aufgestellt werden sollen. Aufgrund der langen Tagesordnung wurde der Beschluss auf die nächste Sitzung verschoben.
Die Erinnerung an Schlageter ist schwierig: Den einen ist er ein Held des Widerstands im Ruhrkampf 1923, der von der französischen Besatzungsmacht hingerichtet wurde – er hatte verschiedenen Sprengstoffanschläge verübt. Für die anderen ist der ehemalige Soldat und Freikorps-Angehörige Schlageter mehr oder weniger ein Nazi. Sicher ist: seine Person und sein Handeln wurden von den Nationalsozialisten vereinnahmt.
In seinem Geburtsort Schönau sollte – wie in anderen rund hundert Orten deutschlandweit – ein Schlageter-Denkmal entstehen. Über Grundmauern ist es nicht hinausgekommen, die aber wie das Ehrenmal immer wieder zum Anziehungspunkt werden: Für rechtes Gedenken oder linke Gegendemonstration.
„Diese Rechten, die Schlageter verherrlichen, kommen regelmäßig, sie kommen, gedenken am Grab und verschwinden wieder“, sagt Dirk Pfeffer, Hauptamtsleiter der Stadt Schönau. In den 1980er-Jahren erlebte das 2450-Einwohner-Städtchen „Riesenaufmärsche“, „100 Rechtsdenkende, 1000 Linksdenkende, es wurde aufgekocht und Stimmung gemacht“.
Die gegenwärtige Diskussion wurde von einem Antrag der Freien Wähler im Gemeinderat ausgelöst, die vorschlugen, das Ehrengrab nicht mehr als solches zu behandeln. „Aber wenn Sie hingehen und räumen das Grab ab, dann verlagert sich das zum Denkmal oder Geburtshaus“, meint Pfeffer. Nun sollen Info-Tafeln den Charakter des Grab- und Denkmals als Mahnmal unterstreichen, mit ergänzenden QR-Codes sollen sich Interessierte weitere Infos holen können. „Zu viel ist nichts, zu wenig ist auch nichts“, meint Pfeffer.
In Heidenheim an der Brenz hat man einen anderen Weg beschritten. Das im Jahr 1961 vom Verein der Kriegsveteranen des Deutschen Afrikakorps errichtete Denkmal für Generalfeldmarschall Erwin Rommel ist – wie die Person selbst – ebenfalls umstritten. Eine „Lösung“ bietet seit 2020 das Gegendenkmal des Künstlers Rainer Jooß: Ein Schattenriss aus Bronze eines einbeinigen Mannes auf Krücken erinnert in geringem Abstand zum Rommel-Denkmal an die Folgen des Krieges: Verletzte und Tote durch Minen, die bis heute im afrikanischen Boden liegen.
Auch in Ulm soll eine künstlerische Intervention den Reichsadler am Finanzamt zum Mahnmal machen. „Gebäude der Vergangenheit und ihren Zierrat zu zerstören, bedeutet, die Spuren der Geschichte zu verwischen“, wird zusätzlich auf einer Info-Tafel stehen. Das Land Baden-Württemberg als Eigentümerin des Gebäudes habe sich daher entschlossen, „den Reichsadler nicht zu entfernen, sondern ihn als Aufforderung zur fortwährenden Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu erhalten“. Fünf ausgewählte Künstler werden voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 ihre Entwürfe abgeben.
Das Denkmal wird Gegenstand eines Bildungsprojekts
Die Umsetzung des Siegerentwurfs ist mit 15 000 Euro dotiert. „Es wäre möglich gewesen, die letzten verbliebenen Symbole zu entfernen“, meint Häcker. „Allerdings sind solche Symbole auch Spuren unserer Geschichte.“ Im Rahmen eines Bildungsprojekts mit einem Ulmer Gymnasium haben sich Schülerinnen und Schüler darüber aktiv mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt.
„Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn man den Reichsadler einfach entfernt hätte“, so Häcker. Wichtig sei, „dass die Symbole eingeordnet werden und nicht einfach so am Gebäude zu sehen sind“, sagt Häcker. „Denn entscheidend ist, die Erinnerungen an die verbrecherische NS-Herrschaft wach zu halten. Es darf niemals in Vergessenheit geraten, was diese Diktatur angerichtet hat.“
Denkmal in Auendorf
Das Schlageter-Denkmal in Auendorf, das 1933 als Steinpyramide errichtet wurde, zieht kaum mediale Aufmerksamkeit auf sich. Allenfalls taucht es als Orientierungspunkt für Wanderungen rund um den Ortsteil von Bad Ditzenbach (Landkreis Göppingen) auf Wander-Apps auf, wo dann auch auf die Geschichte des Denkmals verwiesen wird. Entsprechende Hinweise finden sich am Denkmal selbst nicht, eine früher vorhandene Tafel am Denkmal wurde entfernt.