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Restitutionsgesetz

Rückgabe von NS-Raubgut: Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz

Noch vor den Neuwahlen wollte die Bundesregierung das Gesetz zur Restitution von NS-Raubgut reformieren. Vor zwei Wochen hat das Bundeskabinett der Reform eines Verfahrens zugestimmt. Aber es gibt auch Kritik: In einem offenen Brief haben sich Fachleute für NS-Raubkunst an Olaf Scholz gewandt.

Die Sammlung Gallinek wurde 2020 als NS-Raubgut an die rechtmäßigen Erben restituiert und konnte zurückgekauft werden (rechts Kunstministerin Petra Olschowski).

ARTIS - Uli Deck)

Berlin/Stuttgart. Auf den ersten Blick scheint es eine gute Sache: Die Beratende Kommission, die nur dann entscheidet, wenn beide Seiten sie anrufen, soll durch ein Schiedsgericht ersetzt werden, das einseitig anrufbar sein soll. Mit dem neuen Verfahren soll die Rückgabe von nationalsozialistischem Raubgut in Deutschland also erleichtert werden. So sehen es zumindest Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sowie die Kulturminister, die Kultursenatoren der Länder und die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die die Reform des Verfahrens im Oktober 2024 auf den Weg gebracht haben. Am 8. Januar machte das Bundeskabinett den Weg frei für das Schiedsgericht-Verfahren.

Land will vor der Anrufung der Schiedsstelle Lösungen finden

Mit der Schiedsstelle werde der Umgang mit NS-Raubgut auf ein neues Fundament gestellt und mehr Rechtssicherheit geschaffen, sagt dazu Baden-Württembergs Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne). „Wichtige Anliegen der jüdischen Verbände wurden aufgenommen – etwa die einseitige Anrufbarkeit der Schiedsstelle und die Verbindlichkeit der Entscheidung. Unser Ziel bleibt es aber, mit den Nachkommen und Erben bereits vor einer Anrufung der Schiedsstelle faire und gerechte Lösungen zu finden.“ Dazu wolle das Land die Provenienzforschung an Museen und Einrichtungen weiter vorantreiben.

Und auch der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jewish Claims Conference, die bei der Reform mitgewirkt hatten, sehen diese positiv: „Die paritätische Schiedsgerichtsbarkeit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem auch für private Institutionen verpflichtend geltenden Restitutionsgesetz, wie es andere europäische Länder bereits haben und welches das Ziel der jüdischen Gemeinschaft auch in Deutschland bleibt“, heißt es auf der Internetseite des Zentralrats.

Allerdings gibt es auch andere Stimmen: Anwälte, Historiker und Erben von Geschädigten meldeten sich in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Wort. „Anders, als von Frau Roth angekündigt, sind die geplanten Schiedsgerichtsverfahren nur mit Zustimmung der heutigen Besitzer anrufbar“, heißt es darin. Die Situation der Opfer verschlechtere sich durch die neue Regelung, die Rahmenbedingungen seien intransparent.

Initiatoren des Schreibens sind der Rechtsanwalt und Präsident der Schweizer Israelitischen Gemeinde Winterthur Olaf Ossmann sowie der Provenienzforscher und Kunstfahnder Willi Korte. Es sei unklar, wie kommunale Einrichtungen sich zum Schiedsverfahren stellten, heißt es im Spiegel, dem das Papier vorliegt.

Im Kunstministerium teilt man die Vorwürfe nicht. Das neue Schiedsgericht kann zukünftig abschließende Schiedsurteile treffen, die vollstreckbar sind, stellt ein Sprecher klar. Darüber hinaus werde es einen verbindlichen Bewertungsrahmen geben, in dem erstmals der Themenkomplex Fluchtgut geregelt ist und der Beweiserleichterungen für die Seite der Verfolgten vorsieht.

Anders als bei der Beratenden Kommission wird die jüdische Seite einen Teil der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter selbst auswählen können. Weiterhin verpflichteten „Bund und Länder sich in dem geplanten Verwaltungsabkommen, öffentlich ein Angebot zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung abzugeben“. Dieses Angebot beinhalte die Zusage, mit jedem, der dies möchte, ein Schiedsgerichtsverfahren vor dem Schiedsgericht auf Grundlage des festgelegten Bewertungsrahmens durchzuführen. Die Antragstellenden könnten dieses Angebot annehmen und dadurch das Schiedsverfahren einseitig einleiten.

Entwurf zur Gesetzesreform stieß bei Experten auf massive Kritik

Indes ist die Reform des Verfahrens nur ein Baustein in dem Gesamtpaket zur Restitution von NS-Raubgut, das die aktuelle Regierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte.

Auch ein „Gesetz zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ wollte man noch auf den Weg bringen. Einen Entwurf dazu gibt es bereits. Der stieß aber bei einer Sachverständigenanhörung des Kulturausschusses am 4. November auf massive Kritik (siehe Kasten). Die Chancen, dass ein neues Gesetz vor dem Regierungswechsel gelingt, sind gering, und ob die neue Regierung sich des Themas annehmen wird, bleibt abzuwarten.

Gesetzesentwurf stößt im Kulturausschuss auf Kritik

Der Gesetzentwurf „zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ ( 20/13258 ) ist bei einem Fachgespräch des Kulturausschusses im November auf massive Kritik gestoßen. Die Experten kritisierten etwa den Auskunftsanspruch gegenüber Verkäufern und Händlern der betreffenden Kulturgüter. Ebenso sahen sie die Möglichkeit kritisch, die Herausgabe des Kulturguts zu verweigern, wenn „der Besitz in gutem Glauben erworben“ wurde. Rechtmäßige Eigentümer könnten ihren Anspruch auf Restitution daher kaum durchsetzen.

https://kurzlinks.de/entwurf

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