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Kein „Nice to have“, sondern eine Notwendigkeit
Staatsanzeiger: Frau Seng, noch kann man ein gutes, erfolgreiches und gesundes neues Jahr wünschen, was ich hiermit tue. Haben Sie Vorsätze?
Eva-Maria Seng: Ich wünsche Ihnen und den Lesern auch ein ereignisreiches und wunderbares neues Jahr. 2025 wird die ABK mit Veranstaltungen und Ausstellungen noch mehr in Stadt und Region präsent sein und den Transfer fortsetzen. Die erfolgreiche Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart soll durch eine von nun an jährlich stattfindende Präsentation der Diplomarbeiten aus der Kunst bereichert werden. Weiterhin ist eine Zusammenarbeit mit der Internationalen Bachakademie geplant sowie neue Formate mit weiteren Institutionen.
Sie haben bereits am 1. Juni 2024 Ihr Amt angetreten. Am 12. November war die feierliche Amtseinführung. Wieso so spät?
Das Semester war zu der Zeit meines Amtsantritts schon reichlich fortgeschritten. Zudem stand der „Rundgang“ vor der Tür. Man hätte die Amtseinführung reinquetschen können, aber wir dachten, es ist besser, diese mit einem Vorlauf durchzuführen. Zugleich stand mit meinem Amtsantritt ja auch die Neuwahl des Rektorats beziehungsweise der Prorektoren an. Ich fand es deshalb schöner, mit dem neuen Team anzutreten, um es so auch gleich vorstellen und einführen zu können.
Warum ein neues Rektorat?
Das ist in unserer Ordnung so festgelegt, dass bei Amtsantritt eines neuen Rektors beziehungsweise einer neuen Rektorin auch ein neues Rektorat antritt. In unserem Fall muss man dazusagen, dass nach dem langen Interim die bisherigen Verantwortungsträger auch froh waren, zu einem Ende zu kommen. Nun haben wir ein neues Team.
Gibt es Änderungen?
Der Bereich Internationalisierung hieß vorher anders und wurde nun so benannt, weil wir hier meiner Ansicht nach uns stärker engagieren müssen. Damit meine ich nicht nur den Studierendenaustausch, sondern eben auch unter Lehrenden, in der Forschung. Neu ist, dass wir zwei Beauftragte haben, eine für Kunst, Katrin Ströbel, und einen für die Campus-Entwicklung, Tobias Walliser, eine unserer wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre.
Was steht in diesem Jahr sonst noch auf dem Programm?
Zum einen eben die Internationalisierung, aber auch die Steuerung von Prozessen, die etwas schlanker gemacht werden können. Ganz wichtig ist uns der eingangs schon erwähnte Transfer in die Stadt und ins Land, dem ich mich auch durch meine Antrittsbesuche gewidmet habe. Eine meiner weiteren Aufgaben zu Beginn war es auch, alle Abteilungen und Fachgruppen der Akademie anzuschauen. Ich habe Werkstattbesuche gemacht und die sechs Außenstellen besucht. Das sind unsere echten Problemkinder. Es ist das Ziel, alle Studierenden auf unserem Campus zusammenzuführen. Gelebte Interdisziplinarität, wie wir sie wollen, kann nur funktionieren, wenn sie alle hier auch zusammenarbeiten können. Auch das Studieren der verschiedenen Disziplinen wird so ermöglicht.
Viel Platz bietet der Campus aber nicht mehr, zumal hier ja auch das Besucherzentrum der IBA ‘27 entstehen soll…
Es gab dazu eine Machbarkeitsstudie und einen Wettbewerb, aus dem ein erster Preis hervorging. Es gibt Möglichkeiten, hinter dem Altbau einen Ersatzbau zu errichten. Dann stehen auch die dringend notwendigen Sanierungen beim Neubau I und ein weiterer Neubau III oder Ersatzbau für den Bildhauerbau an. Gerade der Bildhauerbau war ja mehrfach wegen herabfallender Decken immer wieder in der Presse.
Das wird auf viel Kritik stoßen. Gerade erleben wir die Diskussion um die Sanierung des Opernhauses in Stuttgart.
D ennoch. Wir sind fast der exemplarische Fall dafür, wie schlecht etwas sein kann, was Heizung und Dämmung angeht. Wir haben Problemfälle aus allen Zeiten: den Altbau, den Neubau I, der ein großes Problem ist, und diesen Bau, wo das Rektorat drin ist. Im Winter ist es hier extrem kalt.
Ist in den vergangenen Jahrzehnten baulich nichts gemacht worden?
Sehr wenig. Im vergangenen Jahr wurde das Dach des Altbaus neu gedeckt, weil es reingeregnet hat. In diesem Zusammenhang wurde eine Photovoltaikanlage installiert, weitere Maßnahmen sollen in energetischer Hinsicht noch erfolgen. Unsere sechs Außenstellen sind auf diesem Gebiet ein Problem, da sie ja nur angemietet sind. Und unser ökologischer Fußabdruck ist sowieso suboptimal, da die Studierenden zwischen ihren Ateliers und der Akademie hin und her reisen müssen. Sie können nicht einfach kurz an der Akademie eine Veranstaltung besuchen oder in die Mensa. Das ist nicht gerade das, was man sich vorstellt, wenn man an der Akademie studieren möchte.
Sie setzen auf Kooperationen. Haben Sie da schon jemandem im Blick?
Ich habe sehr viele Antrittsbesuche gemacht, bei den Museen, den Schlösser und Gärten SSG, der Internationalen Bachakademie, anderen Kultureinrichtungen, Stiftungen und benachbarten Hochschulen. Das war sehr spannend. So habe ich viele Einblicke in die Einrichtungen gewonnen und Ideen bekommen, in welchen Bereichen wir zusammenarbeiten und uns ergänzen könnten. Die Kooperation mit der Musikhochschule etwa betrifft auch gemeinsame Stellen in Bereichen, die wir nicht alleine stemmen können, etwa bei der Digitalisierung oder Verwaltung.
Aber wir sind beide künstlerische Anstalten, da kann man sich noch viel mehr vorstellen, etwa gemeinsame Forschungsanträge zu stellen, aber auch in Studiengängen wie in den Bereichen Bühnen- und Kostümbild oder Performance zusammenzuarbeiten. Mit den Schlössern und Gärten ist die Kooperation im Bereich der Restaurierung wichtig, aber auch Kunstausstellungen, Interventionen und gemeinsame Veranstaltungen sind angedacht. Da wird einiges passieren.
Und wie ist der Kontakt mit der Politik?
Die vergangenen Wochen waren durch Sitzungen im Wissenschafts- und Kunstministerium geprägt, da die Hochschulfinanzierungsvereinbarung III ansteht. Ebenso gab es Gespräche zum Künstlerischen Lehramt. Es gibt einen großen Lehrermangel im Bereich Kunsterziehung. Wir haben Ideen entwickelt, wie man Studierende dafür gewinnen könnte.
Sie sind Kunst- und Architekturhistorikerin und Empirische Kulturwissenschaftlerin, kommen aus der Geschichtsforschung. Fehlt Ihnen das nicht?
Ich habe es keine Sekunde bereut, dass ich mich für das Amt an der Akademie entschieden habe. Es ist etwas ganz anderes, aber etwas sehr Schönes. Diese ABK hat wunderbare Studiengänge, und was hier ganz besonders ist, ist die sehr gute Lehre, die sehr guten Betreuungsrelationen, die sehr guten Werkstätten – keine andere Hochschule auf der ganzen Welt hat so viele Werkstätten wie wir. Sie sind ein charakteristisches und spezifisches Element für die Ausbildung an der Akademie, wo man eben neben dem künstlerisch-theoretischen, methodischen Unterricht auch die Breite der künstlerischen Praxis hat. Dieses Art Laboratorium, wo Studierende unter Anleitung eines Werkstattleiters Dinge umsetzen können, die sie sonst nie umsetzen könnten, ist singulär.
Sie sagten mal: „Wir sind kein ‚Nice to have‘, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit.“ Was meinen Sie damit?
Wenn man an Kunstakademien denkt, denken viele: Schön, dass es das gibt, aber es gibt Wichtigeres. Aber Kunst und Kultur ist ein zentrales Element, ein Bindeglied unserer Gesellschaft. Deshalb ist auch der Zugang zu Kunst und Kultur und zu deren Institutionen von zentraler Bedeutung. Teilhabe an diesen Gütern setzt aber Vermittlung voraus. Eigentlich bräuchte jeder Mensch eine Art künstlerische Grundausstattung, umso schlimmer, wenn der Kunstunterricht in der Schule ausfällt.
Und noch etwas: Wir sind ja nicht nur eine klassische Kunstakademie. An der ABK sind auch die verschiedenen Designstudiengänge vertreten und damit der Bereich der angewandten Kunst, also der sogenannten Kunstgewerbeschule, die erst im 19. Jahrhundert dazukam. Und zwar genau zu der Zeit, als Württemberg von der Industrialisierung erfasst wird. Form, Design, Gestaltung kann man hier studieren. An dem wirtschaftlichen Aufstieg einst hatte die Hochschule einen wesentlichen Anteil.
Deshalb ist sie nun umso mehr gefordert, in jetzigen Transformationsprozess ihre Rolle zu spielen und die Ausbildung voranzutreiben. Zudem haben wir ja auch die Architektur, die im Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz einen Schwerpunkt hat. Auch deshalb sind wir nicht ein „nice to have“, sondern mitten drin und wichtig.