Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
„Inklusion ist ein Must-Have“
Stuttgart/Konstanz . Samuel Koch ist Schauspieler und stammt aus Wintersweiler in der Nähe von Lörrach. Ab der kommenden Spielzeit wechselt er vom Mannheimer Nationaltheater, wo er seit 2018/19 festes Ensemblemitglied war, an die Münchner Kammerspiele. Dort will er erste Regie-Erfahrungen sammeln. Damit geht er konsequent einen weiteren Karriereschritt, seit er nach seinem Unfall bei der ZDF-Sendung „Wetten, dass…?“ 2010 im Rollstuhl unterwegs ist.
Künstler und Bühnenhandwerker, die für ihren Arbeitsplatz besondere Vorrichtungen wie barrierefreie Zugänge, Leitlinien für Seheingeschränkte oder ein anderes Zeitmanagement brauchen, sind nach wie vor selten in Kultureinrichtungen. Die Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne, die die Hauptrolle in dem 2014 gedrehten Spielfilm „Be my Baby“ spielte, setzt sich für Inklusion ein. Dies bedeutet, „dass die Vielfalt der Menschen von Anfang an als selbstverständlich angesehen wird“, heißt es auf ihrer Homepage, „Als Mensch mit Down-Syndrom weiß ich und erfahre ich täglich, dass dies aber nicht selbstverständlich ist.“
Für Stipendien sind laut Olschowski Geschlecht oder Behinderung keine Kriterien
Aktuelle Statistiken, wie viele Menschen mit Behinderungen in Kultureinrichtungen des Landes beschäftigt sind, gibt es nicht. Für Stipendien oder Stellenbesetzungen spiele die Qualität und die künstlerische Freiheit eine wichtige Rolle, nicht das Kriterium Geschlecht oder Behinderung, erläuterte Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne) im Landtag anlässlich einer Großen Anfrage im vergangenen Jahr zu Diversität und Inklusion in Kulturbetrieben.
Kühne schreibt in ihrem Blog: „In den meisten Filmen steht die Behinderung im Vordergrund und die Darstellung ist sehr klischeehaft, realitätsfern und voller Vorurteile.“ Darstellern oder Darstellerinnen mit Behinderung würden Kompetenzen und Fähigkeiten meist abgesprochen, deshalb würden oft Akteure ohne Behinderung solche Rollen übernehmen.
Nationaltheater und Staatsgalerie haben schon eigene Angebote
Kühne hält dagegen: Darstellende „mit der entsprechenden Einschränkung könnten diese Rollen bestimmt viel realistischer, authentischer und glaubwürdiger spielen. Die Behinderung ist nämlich Teil ihres Lebens und sie wissen, wie es sich anfühlt.“
Es gehöre „Mut von Entscheidungsträgern dazu, auch Darstellern mit einer Einschränkung Rollen anzubieten und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen“, so Kühne. Nicht gelten lassen will sie Argumente wie „wir würden ja gerne, aber es ist leider nicht möglich, weil wir auf die Drehzeiten achten müssen und die finanziellen Mittel leider fehlen“ oder „wir finden leider gar keine Darsteller, die solche Rollen spielen können“.
Kultureinrichtungen – vom Nationaltheater Mannheim über die Staatsgalerie Stuttgart bis zum Museum Ritter in Waldenbuch – entwickeln im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen schon seit Jahren eigene Angebote (siehe Kasten). Doch es ist definitiv noch sehr viel Luft nach oben.
Barrierefreiheit ist beim Festival des Theaters Konstanz Programm
„Inklusion ist kein ‚Extra‚‘, das man mal machen kann, sondern ein ‚Must-have‘“, sagt Lea Seiz, Dramaturgieassistentin am Theater Konstanz. Dort findet vom 28. bis 30. Juni das Festival „Let’s Ally – Ideal Teilhabe“ zu Inklusion und Barrierefreiheit statt – auf, vor und hinter der Bühne. Das Programm setzt sich aus Gastspielen – etwa von YES aus Stuttgart mit einem „Wimmelstück für taube und hörende Kinder“ – und Eigenproduktionen zusammen. Dazu kommen Stadtinterventionen, Publikumsdiskussionen und Workshops. In SPIN, einem Interaktiven Dance Rave für alle, untersuchen drei gehörlose Gastgeberinnen und ein DJ spielerisch, wer bei Raves dazugehören kann. Das Stück der australischen Tänzerin Anna Seymour stellt die Annahme infrage, dass gehörlose Menschen nicht in diese Räume gehören.
Konzipiert wurde das Festival vom Theater Konstanz gemeinsam mit der Initiative Barrierefrei Feiern und der Beratung von lokalen Experten in eigener Sache.
Die Vorbereitungen für das Festival laufen schon länger
„Allyship ist nichts Kurzfristiges“, so Dramaturgin Sabrina Toyen, „die Vorbereitung läuft schon länger. Teilhabe und Inklusionsorientierung sollen auch weitergehen, da ist die Beratung aus dem lokalen Raum wichtig.“ Barrierefreiheit könne nur umgesetzt werden, „wenn sie von Anfang an mitgedacht wird“ – und das ganze Ensemble wie in Konstanz dahintersteht. Um möglichst viele zu erreichen und Teilhabe zu ermöglichen, gibt es beim Festival eigens ein Awarenessteam. Es ist Ansprechpartner – vor dem Besuch, begleitet den Besuch aber auch, wenn gewünscht. Einzelne Programmpunkte etwa werden in Deutsche Gebärdensprache übersetzt; Ziel war, Barrieren auf allen Ebenen zu vermeiden.
„In Filmen bekomme ich immer Rollen, in denen ich mehr eingeschränkt spielen muss, als ich es in Wirklichkeit bin“, sagt Kühne. „Da heißt es einfach, wer so fit ist, wie du, kann auch jemanden spielen, der vieles nicht so gut kann. Umgekehrt wäre das natürlich nicht möglich.“ Dass es dafür den Raum gibt, dafür bereitet das Theater Konstanz mit seinem Festival den Weg.
Teilhabe als Daueraufgabe
Mittlerweile gibt es ein breites Angebot in Kultureinrichtungen, das von Kunstvermittlung für Menschen mit Seheinschränkung, Gebärdenübersetzung oder Hörhilfen im Theater oder Konzertaufführungen für Demenzerkrankte reicht.
Das Zentrum für Kulturelle Teilhabe ( ZfKT ) des Landes ist mit jährlich rund 1,726 Millionen Euro ausgestattet und fördert solche Angebote und unterstützt die Institutionen bei der Vernetzung und Umsetzung. Das Theater Konstanz nimmt am Programm „Kurswechsel Kultur – Netzwerk.Richtung.Inklusion “ teil, einem Gemeinschaftsprogramm, bei dem das ZfKT eng mit der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung ( LKJ ) kooperiert.