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Im Land sorgt die Extremismusklausel für Klarheit
Berlin/Stuttgart. „Ihr müsst doch merken, dass es hier um die demokratische Gesellschaft als Ganzes geht. Woran sie glaubt und wofür sie zu kämpfen bereit ist.“ Das sagte der Starpianist und Co-Künstlerische-Leiter des Heidelberger Frühlings Igor Levit im November in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Für ihn ist – neben seiner künstlerischen Arbeit – das Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ein Herzensanliegen. Er vermisst hierzulande in Reaktion auf den terroristischen Angriff auf Israel durch die Hamas im vergangenen Oktober breites gesellschaftliches Engagement und Solidarität.
Antisemitismus im Kulturbetrieb ist nicht erst seit der Documenta in Kassel oder der Berlinale Thema. Ende 2023 wurde deswegen die Fotobiennale in Mannheim und Heidelberg abgesagt. 2022 hat das Land den Europäischen Dramatiker:innenpreis der Staatstheater Stuttgart deswegen nicht verliehen. „Bei kritischen Vorfällen wird es immer wichtig sein, den Einzelfall konkret und umfassend zu prüfen, ob evidente antisemitische Inhalte vorliegen, und das Vorgehen abzuwägen“, so Kunststaatssekretär Arne Braun (Grüne). „Diese Bewertungs- und Abwägungsfragen werden komplex bleiben. Dieser Verantwortung stellt sich das Land.“
Eine „Antisemitismusklausel“, wie es sie zeitweise in Berlin und Schleswig-Holstein als Verwaltungsvorschriften gab und die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken kassiert wurden, wirft erhebliche juristische Probleme auf. Das stellte der Berliner Rechtsprofessor Christoph Möller in einem Rechtsgutachten fest, das er im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erstellte. Dennoch könne der Staat bei seinen Förderbestimmungen zusätzliche Ziele wie etwa den Kampf gegen Antisemitismus vorgeben.
Mitte März haben die Kulturministerkonferenz, die Kunststaatsministerin und die kommunalen Spitzenverbände nun eine Gemeinsame Erklärung verabschiedet. Sie legt Strategien gegen antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb fest.
Die Eigenverantwortung der Kultureinrichtungen ist gefragt
Bund, Länder und Kommunen hätten sich „auf eine gemeinsame Position zur Freiheit der Kunst und der Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und jeder Form von Menschenfeindlichkeit im Kulturbereich verständigt“, sagte Roth. es gehe um „ebenen- und auch parteiübergreifend Orientierung für die Kultur“ und „um präzisere Förderbedingungen, wo nötig, und um Sensibilisierungen durch Fortbildungen und Workshops wie auch Code of Conducts, die in Eigenverantwortung von den geförderten Einrichtungen und Projekte erarbeitet werden sollen“.
Im Land sieht man keinen akuten Handlungsbedarf, Förderrichtlinien zu ändern. Die Förderung wird auf Grundlage der Landeshaushaltsordnung geregelt. Die Förderbescheide des Kunstministeriums enthalten eine Extremismusklausel. Diese schließt die Förderung von Personen oder Organisationen aus, die sich etwa gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden. Das Grundgesetz sei die Grundlage für die Kulturförderungen, heißt es vonseiten des Kunstministeriums. Angewendet wurde die Extremismusklausel bisher noch nicht.
Grundrechte Dritter können die Kunstfreiheit einschränken
Die Kunstfreiheit sei „ein hohes Gut, das wir bewahren müssen, weil sie wesentlicher Teil unserer Demokratie ist“ und werde allenfalls durch „kollidierendes Verfassungsrecht“ eingeschränkt, etwa Grundrechte Dritter oder andere Verfassungsrechtsgüter, so der Sprecher.
Es gelte aber auch: „Der Kunst ist es wesensimmanent, mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten zuzulassen. Deshalb wird es im Zusammenhang mit Antisemitismusvorwürfen selten eine eindeutige Bewertung oder einfache Lösung geben.“ Die Institutionen selbst sollten Maßstäbe und Regeln erarbeiten.
Aus Sicht des Städtetags ist es „grundsätzlich schwierig, bei Förderrichtlinien vorab Vorgaben zu machen“. Eine genaue Definition sei schwierig und „würde viele Diskussionen nach sich ziehen“. Zurzeit ziehe man die – nachgeschaltete – Einzelfallprüfung vor. Kommunen spielten „im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus vor Ort eine aktive Rolle“, befindet der Gemeindetag. Mit den örtlichen Akteuren trügen sie dazu bei, „eine inklusive und diverse Gesellschaft zu schaffen, in der jeder Mensch respektiert und wertgeschätzt wird“.