Für Sie entdeckt: Orte der Kultur

Die Schlafstätte des Gesellen war karg

Im Gerbereimuseum in Calw geht es auch um Lohkäse und davonschwimmende Felle. Auf den Lohkäse geht eine schwäbische Redensart zurück, die davonschwimmenden Felle sind als solche allgemein bekannt. Im 1996 eröffneten Museum gibt es noch vieles andere zu entdecken, wie Regine Gerst schreibt. 

Calw. „Schwätz koin Lohkäs“ – die schwäbische Redensart geht auf einen dürftigen Rest beim Gerben zurück, der höchst frei in diesem Fall zum Unsinn mutierte. Alles andere als Unsinn bekommen die Besuchenden bei einer Führung durch das Gerbereimuseum in Calw zu hören. Das heutige Museum war der einstige Handwerksbetrieb der 1878 gegründeten Weißgerberei Balz.

Im Erdgeschoss mit Backsteinanbau befinden sich die Wasserwerkstätten voll historischer Maschinen für das Waschen, Gerben und Walken der Felle. Ein jahrhundertealter Modergeruch hängt in der Luft.

Im ehemaligen Wohngeschoss gibt es Informationen zur Geschichte

Die Räume im ersten Stockwerk dienten als Fellstube und Zurichtraum. Heute werden hier die Trockenverarbeitung der Felle und Häute sowie deren Vermessung gezeigt. Im ehemaligen Wohngeschoss darüber informieren Dokumente zu Gerbereigeschichte und -produkten. Oben auf dem Dachboden liegt zwischen Fellsäcken eine Rosshaarmatratze – die karge Schlafstätte des Gesellen.

Seit dem 15. Jahrhundert gehörte das Gerberhandwerk neben der Tuchmacherei zu den wichtigsten Gewerbezweigen der Stadt Calw. Die Gerber siedelten sich an der Nagold an. Die Felle hängten sie in den Fluss zum Wässern. Allgegenwärtig war ihre sprichwörtliche Angst: „Die Felle schwimmen davon“.

Die Gerber waren bei ihren Mitmenschen nicht wohlgesehen

Auch die Abwässer leiteten die Lederhandwerker direkt in die Nagold. Es muss ein übel riechendes Geschäft gewesen sein, weshalb Gerber nicht unbedingt geschätzt wurden.

Gegerbt haben sie auf dreierlei Arten: pflanzlich, mineralisch und tierisch – auch sämisch genannt. Allerdings hatten tierische Gerbstoffe nur eine geringe Bedeutung. Bei der Weißgerbung dienten Alaun und Kochsalz als Gerbstoff. Für die pflanzliche Rotgerbung wurde getrocknete Eichen- und Fichtenrinde zerkleinert und in der Lohmühle gemahlen. Die so entstandene Lohe enthielt Gerbstoffe, die das Leder rot-braun färbten. War die Rinde ausgelaugt, wurde sie zu billigem, schlechtem Brennmaterial gestampft, dem Lohkäse.

Um 1860 gab es in Calw noch 19 Gerbermeister. Gegen die aufkommende Lederindustrie aber, die überwiegend auf Chromgerbung umstieg, konnten sich die wenigsten halten. 1900 existierten nur noch die Rotgerberei Naschold und die Weißgerberei Balz. Letztere fertigte die Schürzen für die Goldschmiede in Pforzheim. 1986 wurde die Gerberei Balz, einer der wenigen noch erhaltenen Orte, an denen sich Hermann Hesse als Kind aufhielt, als letzter Gerbereibetrieb geschlossen, unter Denkmalschutz gestellt und 1996 als Museum eröffnet – mit Räumen für Wechselausstellungen im Vorderhaus.

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