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Gedenkstätten

Erinnerungsarbeit: Gedenkstätten suchen neue Wege ohne Zeitzeugen

Textlastige Fakten-Ausstellungen waren gestern. Im Erinnern an die Gräueltaten der Nationalsozialisten werden neue Wege gegangen. Denn die Zeitzeugen werden immer weniger. Gedenkstätten und Engagierte machen es sich zur Aufgabe, die emotionale Wirkung, die deren Erzählen erzeugt, mit neuen Formaten weiterzutragen.

Kunst am Ort der KZ Gedenkstätte in Hailfingen Tailfingen soll die Emotionen der Besucher wecken.

Wolfgang Schmidt)

Stuttgart. In der KZ-Gedenkstätte Hailfingen Tailfingen erinnern seit Anfang Juli die Kunstprojekte „Bilder in Bäumen“ und „Fußabdrücke“ an die Gräueltaten während der NS-Zeit. In Obrigheim wollte sich eine Schule nach einem Verfolgten des Nazi-Regimes benennen. Die Erinnerungsarbeit an die Zeit des Nationalsozialismus wird für Gedenkstätten und Engagierte herausfordernder, weil es immer weniger Zeitzeugen gibt.

„In jahrzehntelanger Arbeit haben wir Zeitzeugeninterviews geführt, sodass wir ein breites Spektrum an Berichten haben, doch die direkte Ansprache gibt einen anderen emotionalen Bezug“, sagt Benjamin Merkt, Vorstandsvorsitzender des Vereins KZ Gedenkstätte Hailfingen Tailfingen. „Die Frage ist, wie können wir die emotionale Wirkung der Zeitzeugenberichte weitertragen. Die Spuren, die es vom KZ gab, sind fast verschwunden.“

Die Kunst soll noch vorhandene Spuren sichtbar machen

Übrig geblieben ist eine Reparaturhalle und die ehemalige Start- und Landebahn – dicht bewachsen. Davon wurde ein Teil frei- und ein Skulpturenpfad angelegt. „Wir wollen die noch vorhandenen Spuren mit Kunst sichtbar machen“, so Merkt. „Die Kunst legt neue Spuren“

Hinzu kommt: „Die Aufmerksamkeitsspanne nimmt ab, große Texte liest keiner“, sagt Merkt. Deshalb sei die Aufgabe, „die Dinge sehr prägnant in relativ kurzer Zeit in einem kurzen Text oder prägnanten Bildern auf den Punkt zu bringen, um zu emotionalisieren.“

„Bilder in Bäumen“ des Fotografen Wolfgang Schmidt weckt durch Zitate von ehemaligen Häftlingen und eine schemenhafte Bildsprache die Emotionen von Besuchern. Durch den Wechsel der Jahreszeiten und der Witterung ergeben sich besondere Eindrücke, lässt sich die Situation der Betroffenen nachempfinden.

Dieser Situation geht auch das Projekt „Fußabdrücke“ nach, das den Skulpturenpfad ergänzt: Schüler des Paul-Klee-Gymnasiums Rottenburg haben sich mit dem Schicksal jüdischer Häftlinge beschäftigt und dies in einer Tonfigur gestalterisch umgesetzt, die nun auf der Landebahn eingelassen ist.

Umbenennung einer Schule als Form des Erinnerns

„Die Schüler haben so einen anderen Zugang und das Thema anders emotional erreicht als über das Lesen von Texten“, so Merkt. „Die künstlerischen Formate sprechen unterschiedliche Gruppen an und eröffnen Raum für Interpretationen – das wird anders wahrgenommen als eine Ausstellung.“

„Erinnern durch Benennen“ könnte man ein Projekt der Realschule Obrigheim überschreiben: Dort gab es Überlegungen, die Schule in Vinzenz Rose Schule umzubenennen. Initiator des Projekts war ein Geschichtslehrer. Der Sinto Vinzenz Rose war ein Überlebender des KZ Neckarelz und machte sich um die Erinnerung an die nationalsozialistische Verfolgung von Sinti und Roma verdient. Schüler erarbeiteten seine Lebensgeschichte, ordneten sie in die Zeitumstände und die Geschichte vor Ort ein. Daraus entstand die Ausstellung „Ein Sinto als Namensgeber: Vinzenz Rose. Mensch! Sinto! Bürger.Rechtler! Einer von uns?!“. Zurzeit ist sie im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg zu sehen.

„Wenn man die Idee der Umbenennung in den öffentlichen Raum stellt, braucht es Unterfütterung, denn nur wenn die Schule und die politische Öffentlichkeit wissen, um was es geht, kann einen Entscheidung getroffen werden“, sagt Dorothee Roos von der Gedenkstätte KZ Neckarelz. Diese hatte das Projekt mitgetragen und wird die Schau an Interessierte weitervermitteln.

Der Gemeinderat lehnte die Umbenennung ab

Die Umbenennung der Schule haben die Schüler nicht erreicht. Der Gemeinderat entschied sich dagegen. Ein von der Schule vorgelegter Kompromissvorschlag, alternativ eine Neckarbrücke nach Vinzenz Rose zu benennen, lehnte der Gemeinderat ebenfalls ab. Der darin enthaltenen Errichtung eines Erinnerungszeichens und eines „Parks der Menschenrechte“ an der Schule stimmte er zu. Das Projekt wurde mit einem Preis der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichnet und erfährt viel Anerkennung in der Öffentlichkeit. Das ist den Schülern wichtig. „Die Anerkennung hat den Misserfolg ausgeglichen“, meint Roos.

Brücke für die Zukunft

Die Gedenk- und Bildungsstätte Blaues Haus in Breisach nimmt den Neubau einer Eisenbahnbrücke zum Anlass, das deutsch-französische Erinnerungsprojekt „Brücke für die Zukunft“ umzusetzen. 2025 jährt sich das Kriegsende zum 80. Mal. In einem Schülerprojekt werden Biografien von Menschen recherchiert, die im Elsass und in Baden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Das Blaue Haus organisiert hierzu Lehrerfortbildungen. Zusätzlich gibt es ein Tanzprojekt mit Schülern. Die Stiftung Erinnern, Verantwortung, Zukunft finanziert das Projekt mit 500 000 Euro.

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