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Gemeinnützigkeitsrecht

Vereine sehen ihr demokratisches Engagement in Gefahr

Das Gemeinnützigkeitsrecht ist die Existenzgrundlage für viele Vereine. Doch was als steuerliche Regelung gedacht ist, sehen viele Vereine als Gefahr für ihr demokratisches Engagement. Denn sie können den Status der Gemeinnützigkeit verlieren, wenn sie sich außerhalb ihrer Satzungszwecke zu oft zu politischen Themen äußern. Rund einhundert Vereine wendeten sich in einem offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz.

Für Verein besteht derzeit eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich des politischen Engagements, wie hier etwa auf einer Demonstration gegen Rechts in Freiburg.

IMAGO/imageBROKER/Daniel Schoenen)

Stuttgart/Berlin. Rund hundert gemeinnützige Organisationen, überwiegend aus Ostdeutschland, wendeten sich vergangene Woche in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sie sehen ihr demokratisches Engagement durch eine steuerpolitische Regelung in Gefahr und fordern eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts. Denn Vereine, die politisch Stellung nehmen, kann der Status der Gemeinnützigkeit entzogen werden (siehe Kasten). In einigen ostdeutschen Bundesländern ist anscheinend Praxis, dass Vereine bei Finanzämtern von AfD-Abgeordneten angezeigt werden.

In Baden-Württemberg ist zwar nicht die steuerrechtliche, aber die zivilgesellschaftliche Situation – noch – eine andere. „Auch wenn hier Vereine unter Druck kommen, ist die Anzahl von Gruppen, die vor Ort etwas bewirken wollen, nicht weniger geworden“, schätzt Anni Schlumberger, Geschäftsführung Allianz für Beteiligung, die Lage ein. „Es kann, gerade nach den Kommunalwahlen, schwieriger werden, vielleicht bricht der Konsens, der bisher auch in Gemeinderäten herrschte.“ Was sich beobachten lasse: „Es findet eine Entpolitisierung statt, indem verschiedene Themen vermieden werden“.

Auch hierzulande hatte die Regelung schon Auswirkungen

Gleichwohl sei die Ehrenamtsstruktur im Land stark, die Förderung von Beteiligung und der Zivilgesellschaft spiele eine große Rolle, Erfahrungen seien in der Bevölkerung da.

Doch die steuerpolitische Regelung hatte auch hierzulande schon Auswirkungen. 2019 wurde dem Soziokulturellen Zentrum DemoZ in Ludwigsburg vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt, auch weil man auf der Website rechtsextreme Parteien und Organisationen ausschloss und der Verein dadurch einen „offene demokratische Diskussion“ verhindere. Eine der Folgen: ein Finanzierungsproblem, denn etwa die Landesförderung ist an die Gemeinnützigkeit gebunden. Über eine außergerichtliche Einigung wurde 2022 diese wieder zuerkannt.

„Die grundsätzliche Rechtsfrage, wie Gemeinnützigkeit und politisches Engagement zusammengehen, ist nach wie vor nicht geklärt“, sagt Laila Koller, bei der LandesArbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und Soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg (LAKS) für strategische Planung zuständig. „Speziell die AfD geht gerne mit Juristen vor, sie haben diese Lücke in der Gesetzgebung gefunden und fahren hier eine Zermürbungsstrategie.“ Gerade für kleine Initiativen sei es schwierig, einen langen Rechtsstreit zu führen. Deshalb unterstütze die LAKS den offenen Brief an den Bundeskanzler.

Stiftungen im Land fordern Rechtssicherheit

Rechtssicherheit haben Ende Mai dieses Jahres acht Stiftungen, darunter die Robert Bosch Stiftung in Stuttgart und die Schoepflin Stiftung in Lörrach, eingefordert. In einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordern sie „eine rechtssichere Klarstellung hinsichtlich der politischen Betätigung“ und „eine Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke“, etwa die „Förderung des Schutzes und Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte“.

Solange es keine rechtssichere Regelung gibt, sei es noch wichtiger, „in Zivilgesellschaft, Dialog und Austausch zu investieren“, sagt Schlumberger. Der Bundesverband Soziokultur und die Landesverbände, auch der LAKS, haben die Kampagne „Wir leben Demokratie“ gestartet, um die Bedeutung der demokratischen Arbeit der meist als Verein organisierten Soziokulturellen Zentren verstärkt ins Bewusstsein zu rücken.

LAKS-Preis wurde für besonderes Engagement verliehen

„Die Vereine sind die Orte, wo Demokratie gelebt wird“, sagt Koller. „Wir setzen uns für eine offene Gesellschaft ein, wollen Zugänge für Randgruppen schaffen.“

Der Kulturpreis der LAKS, der in dieser Woche vergeben wurde, geht deshalb in diesem Jahr als „Preis für besonderes soziokulturelles Engagement für die Demokratie“ an das TALK Projekt aus Tübingen. Das inklusives Jugendkulturangebot läuft seit 2013 und bietet wöchentliche Rap- und HipHop-Tanz-Workshops für Jugendliche. Das Besondere: das Peer-Coaching-Konzept „each one teach one“, jeder lernt von jedem.

Ohne die Initiative und das politische Engagement  von Vereinen für die Demokratie wird es schwierig. „Ein wichtiger Schlüssel ist die Wertschätzung“, sagt Koller, „Es gilt, Räume zu bieten und in den Austausch zu kommen, anzuerkennen, was die Vereine für die Demokratie tun.“ Vor allem dürfe man die kleinen Vereine nicht alleine lassen. „Da ist die Verbandsebene, aber auch die Politik gefordert“, sagt Koller, denn es werde weiter Angst geschürt.

Eine rechtliche Regelung steht weiterhin aus

2014 hatte der Bundesfinanzhof der Nichtregierungsorganisation Attac die Gemeinnützigkeit entzogen, weil sie „zu politisch“ sei. Seither herrscht Unsicherheit, wie stark sich gemeinnützige Vereine politisch äußern können. 2022 wurde der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zur Klarstellung im Gemeinnützigkeitsrecht geändert. Demnach können sich gemeinnützige Vereine gelegentlich demokratisch engagieren. Eine rechtliche Regelung steht weiterhin aus.

2014 hatte der Bundesfinanzhof der Nichtregierungsorganisation Attac die Gemeinnützigkeit entzogen, weil sie „zu politisch“ sei. Seither herrscht Unsicherheit, wie stark sich gemeinnützige Vereine politisch äußern können. 2022 wurde der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zur Klarstellung im Gemeinnützigkeitsrecht geändert. Demnach können sich gemeinnützige Vereine gelegentlich demokratisch engagieren. Eine rechtliche Regelung steht weiterhin aus.

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