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Worauf es im Wahlkampf wirklich ankommt
Stuttgart. Der OB-Wahlkampf von Martin Horn in Freiburg 2018 gilt vielen Experten als beispielhaft und hat im Social-Media-Bereich neue Standards gesetzt. Die damalige SPD-Generalsekretärin Luisa Boos war hier Mentorin und Beraterin. Der bis dato unbekannte Horn (parteilos) schaffte es bekanntlich, den damaligen Oberbürgermeister Freiburgs, Dieter Salomon (Grüne), abzulösen. Boos beriet auch Luigi Pantisano (Die Linke) in Konstanz 2020, allerdings reichte es für ihn bei der Neuwahl nicht zum Sieg gegen Amtsinhaber Uli Burchardt (CDU).
Ein Kandidat muss unbedingt gewinnen wollen
Worauf kommt es im Wahlkampf an? Boos will auch die Nichtwähler ansprechen – unabhängig davon, ob der Amtsinhaber herausgefordert wird oder nicht. „Mir ist wichtig, dass die Wahlbeteiligung steigt, weil die Bürger zum ersten Mal das Gefühl haben, selbst etwas bewirken zu können“, erklärt Boos, die heute Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion im Saarland ist. Ein Wahlkampf sei auch für einen Amtsinhaber eine Chance, um neue Kontakte aufzubauen und Neues über die Kommune zu lernen.
Dafür brauche es einen Kandidaten, der unbedingt gewinnen will und eine gute Ortskenntnis, die Boos in Freiburg hatte, weil sie aus dem Umland der Breisgau-Stadt stammt.
Ein Social-Media-Wahlkampf könne nur gelingen, wenn man ein klares Bild vom Bewerber hat, das man vermitteln will. „Welche persönliche Facetten, welche Hobbys hat jemand, was ist authentisch und womit kann der Wähler sich identifizieren?“, all das müsse passen.
Timm Kern nennt in seinem Buch „Warum werden Bürgermeister abgewählt“ als Erfolgsfaktoren die beiden Begriffe Identifikation und Projektion: Sinngemäß sollten sich die Bürger mit dem Bewerber auf emotionaler Ebene identifizieren und ihre Wünsche auf ihn übertragen.
Die Wahlkampfthemen sind oft ähnlich
Experten raten Kandidaten dazu, authentisch zu bleiben, sich über den Ort zu informieren und Verbündete und Mitstreiter zu suchen. Dabei sollten sie die Eigenschaften betonen, die zur aktuellen Situation der Gemeinde am besten passen: Etwa indem sie die eigene Kreativität hervorheben, wenn der Amtsinhaber nach drei Amtszeiten nicht mehr kandidiert und sich viele Bürger nach neuen Impulsen sehnen.
„Man sollte vor allem keinen Wahlkampf gegen sich selbst führen“, sagt Steffen Kirsch, der das Buch „Erfolg bei Bürgermeisterwahlen“ geschrieben hat. Ein kopflastiger Mensch, von dem alle wissen, dass der direkte Umgang mit dem Bürger nicht seine Stärke ist, sollte nicht unbedingt den Slogan „Mit Herz für die Stadt“ plakatieren. Um herauszufinden, welche Haltung und Kampagne zu einem passt, sollte man unbedingt auf den Blick von außen setzen, rät Kirsch.
Auf dieses Bild abgestimmt werden Infomaterialien wie Flyer, Webseite und Plakate. Nur die Wahlkampfthemen seien oft bei fast allen Kandidaten ähnlich: Fehlt es im Ort an Kita-Plätzen, wird jeder das Thema auf seine Agenda setzen.
Kirsch: „Zeit ist der einzige irreversible Faktor“
Kirsch, Büroleiter eines CDU-Landtagsabgeordneten, hat 2023 selbst bei der Bürgermeisterwahl in Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg) kandidiert, unterlag aber. Nach seiner Erfahrung ist der Faktor Zeit entscheidend für eine Wahlkampf, um die Botschaften, Aktivitäten und Ressourceneinsatz, also Geld, Werbemittel, Helfereinsätze, gut vorzubereiten. „Zeit ist der einzige irreversible Faktor“, betont der Politologe.
Für Boos ist der Kontakt- und Beziehungsaufbau immens wichtig. Mit diesem Prinzip könne man auch mit einem unbekannten Bewerber ins Rennen gehen. „Ich habe Wahlkämpfe immer darauf ausgelegt, dass der Wähler möglichst viele Kontakte mit dem Kandidaten hat. So entstehen echte Beziehungen“, erklärt Boos.
Es sei wichtig, eine Illusion der Omnipräsenz zu erzeugen, sodass der Kandidat überall zu sein scheint: im Supermarkt, auf dem Marktplatz, er klingelt an den Haustüren der Bürger und begegnet einem in den Sozialen Medien. Dazu zählen auch innovative Formate wie der Besuch einer Studenten-WG. Die Kandidaten müssten in Wahlkämpfen dieser Art deshalb sehr viel laufen und Termine wahrnehmen.
Flankiert und verstärkt werde die Omnipräsenz im Internet, wobei Social Media nur ein Baustein ist. Am Ende des Wahlkampfs sollte es laut Boos zwei Personengruppen geben: „Die, die das Gefühl haben: Ich kenne den Bewerber. Und die, die jemanden kennen, der ihn kennt“.