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Europabüro der kommunalen Verbände

Patrick Wegener: „Wir sind ein wichtiger Argumentverstärker“

Seit Ende der 90er-Jahre betreiben Städte-, Gemeinde- und Landkreistag ein Europabüro in Brüssel. Patrick Wegener leitet seit 2021 die Vertretung der drei  Kommunalverbände und kämpft um Einfluss auf Abwasserrichtlinien oder Schweiz-Abkommen. Das Kontaktverzeichnis dürfte sein wichtigstes Werkzeug sein.

Was im Kommissionsgebäude in Brüssel passiert, ist für Patrick Wegener, den Leidter des Europabüros der baden-württembergischen Kommunen, eine entscheidende Information. Foto: YOUSSEF MEFTAH

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Staatsanzeiger: Es gibt die Landesvertretung Baden-Württembergs und Büros diverser kommunaler Bundesverbände in Brüssel – warum noch ein Büro extra für die Südwest-Kommunalverbände?

Patrick Wegener: Anlass zur Gründung war der Vertrag von Maastricht 1992, der die Vollendung des Binnenmarktes vorschrieb und damit sehr stark auf die kommunale Ebene ausstrahlte, etwa mit der Dienstleistungsrichtlinie. Seither hat die europäische Gesetzgebung auf bis zu 80 Prozent unserer Gesetze Einfluss. In Baden-Württemberg war klar, dass die Kommunen nicht nur auf Landes- und Bundesebene aktiv sein müssen, sondern auch auf europäischer Ebene. Deshalb haben die drei Kommunalverbände 1999 das Europabüro gegründet, das wir gemeinschaftlich mit den bayerischen Kollegen führen. Sachsen war fast 20 Jahre dabei, wollte seine Interessen aber nun durch die Bundesverbände in Brüssel repräsentieren lassen.

Bei den vielen Organisationen auf Bundes- und Länderebene, von staatlichen Institutionen und Verbänden, zerbröselt da nicht die Interessenvertretung?

Ich sehe uns eher als einen wichtigen Stein im Mosaik der Interessenvertretung. Das A und O unserer Arbeit ist die Abstimmung mit den Bundesverbänden. Wir erarbeiten gemeinsam eine einheitliche Position, die dann aus verschiedenen Ecken zu hören ist. Wir sind ein wichtiger Argumentverstärker. Bei anderen Themen können wir schnell agieren und die Sicht Baden-Württembergs adressieren. Das beschleunigt die Diskussion hier in Brüssel.

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?

Die Schweiz ist für baden-württembergische Kommunen wichtiger als in Berlin. Die Diskussionen um Horizont, das Förderprogramm für Forschung und Innovation, um Grenzgänger oder das neue Rahmenabkommen mit der Schweiz ist in anderen Bundesländern nicht so relevant. Deshalb sorgen wir für Dynamik.

Wo haben Sie noch Dynamik erzeugt?

Die Richtlinie zum kommunalen Abwasser hat uns zuletzt beschäftigt. Dabei geht es um die Einführung einer vierten Reinigungsstufe, mit der Kläranlagen Mikroplastik und Medikamentenrückstände aus dem Abwasser reinigen können. Das ist teuer und besonders energieaufwendig. Deshalb war in der Gesetzgebungsdiskussion die Einführung des Verursacherprinzips wichtig, dass die Hersteller dieser Stoffe stärker an den Abwasserkosten beteiligt werden und nicht nur die Verbraucher. Außerdem sollten die Kläranlagen CO 2 -neutral werden, zunächst indem sie durch PV-Anlagen energieautark werden. Das ist bei Kläranlagen oft schwierig, sie liegen an den tiefsten Stellen der Gemarkungen. Daher konnten wir durchsetzen, dass CO 2 -neutrale Energie zugekauft werden kann. Wir agieren als der kommunale TÜV für EU-Gesetze.

Das schaffen Sie aber nicht flächendeckend, Sie sind doch nur zu dritt.

Entscheidend ist die Qualität, nicht die Quantität, wobei wir dank der Bürogemeinschaft mit den bayerischen Verbänden für Brüsseler Verhältnisse eine durchschnittliche Bürogröße haben. Wir verstehen uns als Generalisten und holen Fachkompetenz bei den Referenten in Stuttgart oder den Mitgliedskommunen. Die politische Ersteinschätzung treffen wir  und bringen die abgestimmte Position über unser Netzwerk ein. Oft sind unsere Verbandspräsidenten in Brüssel, was unsere Position verstärkt .

Abstimmung ist entscheidend, erstarren Sie nicht in Abstimmungsprozessen?

Nein, bei europäischen Themen finden die drei Verbände schnell gemeinsame Positionen, das macht meine Arbeit angenehm. Um auf die EU-Politik gestaltend einzuwirken, müssen wir uns abstimmen, um eine europafähige Position zu haben. Wir repräsentieren eben die kommunale Vielfalt, von der kleinen Landgemeinde bis zur Großstadt und den großen Landkreisen.

Der andere Teil der Arbeit scheint Netzwerken zu sein.

Das stimmt, wir müssen wissen, wer an den Themen in der Kommission und dem Parlament arbeitet und mit wem wir in den Austausch gehen können. Ein wichtiger Teil dieser Arbeit findet auf Fachveranstaltungen statt, ich zum Beispiel bin meist dreimal die Woche abends in Brüssel unterwegs, wobei seit Corona es auch einen Trend zur Mittagsveranstaltung gibt. Gelegentlich organisieren wir eigene Veranstaltungen, etwa ein parlamentarisches Frühstück.

Lobbyismus wird in Deutschland kritisch gesehen. Wie gehen Sie damit um?

Wir sind transparent in unserer Arbeit, gehen zu öffentlichen Terminen und machen unsere Positionen öffentlich. Ob das ausreicht, darüber kann man diskutieren, aber immerhin ist in Brüssel der Lobbyismus reglementiert. Unser Europabüro vertritt keine Wirtschaftsbranche, sondern eine staatliche Ebene, die dem öffentlichen Wohl verpflichtet ist. Es geht hier also um eine gute Sache, und dafür bin ich gerne Lobbyist.

Was erwarten Sie sich von der kommenden EU-Legislaturperiode?

Wir erwarten einen Kulturwandel, bei dem Kommunen nicht mehr nur als Umsetzungsebene, sondern auch als Gestaltungsebene gesehen werden. Wir möchten schon im Vorfeld in die kommunal relevanten Themen einbezogen werden. Und wir hoffen, dass wir in vielen Politikfeldern ins Doing kommen, etwa beim Green Deal oder dem Migrationskompromiss.

Das Interview führte Peter Schwab

Zur Person

Politik liegt Patrick Wegener am Herzen, ob in Brüssel bei Kommission und Parlament oder zu Hause in Öhringen im Hohenlohekreis, wo er seinen Erstwohnsitz hat und für seine dritte Amtsperiode als SPD-Stadtrat kandidiert. Das zeigte sich bei dem Politikwissenschaftler schon durch die Studienwahl. Viel Zeit verbringt der 29-Jährige in Zügen zwischen der Heimatstadt, Brüssel, Straßburg und Stuttgart – „ich bin bahnerfahren“, sagt Wegener schmunzelnd. Vor seiner Zeit in Brüssel hat Wegener in einem Abgeordnetenbüro gearbeitet und für den Landtag kandidiert.

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