Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Wie Oberbürgermeister Millionen Zuschauer erreichen
Pforzheim. Als erster gewählter Politiker hatte Pforzheims Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) seinen großen Auftritt in einer Spezial-Ausgabe der Reihe „Undercover Boss“. Der 44-Jährige war in der Sendung verkleidet als Stadtentdecker Timo zu sehen, wo er incognito in unterschiedliche Bereiche der Stadt hineinschnupperte.
Die 90-minütige Folge lief am Montag beim Privatsender zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Laut dem Mediendienst DWDL sahen 1,28 Millionen Menschen zu. Das sei zwar die niedrigste Reichweite, die „Undercover Boss“ jemals eingefahren hat, in der wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen war es aber der beste Wert seit dreieinhalb Jahren. Die Serie schickt seit 15 Staffeln (echte) Firmenchefs vor die laufende Kamera: Damit der Boss die alltägliche Arbeit der Mitarbeitenden kennenlernt, verkleidet er sich und erfährt so, wo der Schuh drückt und was man besser machen kann.
Boch denkt bei Kasperletheater an „die ein oder andere Gemeinderatssitzung“
Die Spezial-Ausgabe aus Pforzheim zeigt, dass das Konzept auch in einer Stadt funktioniert, dafür zeigt es auch, fast brutal, die unschönen Seiten, etwas am Anfang: Bevor es mit dem Einsatz losgeht sieht Boch eine Umfrage unter den Bürgern und die sparen nicht mit Kritik: die Innenstadt sterbe aus, sie sei zu laut, zu dreckig und zum Einkaufen fahre man besser nach Karlsruhe oder Stuttgart.
Solche Kritik ärgere ihn, sagt ein sichtlich angefasster Oberbürgermeister, der seit 2017 im Amt ist, und begegnet den Kritikern selbst mit Klartext: Auf die Aussage einer Passantin, dass die Politik an ein Kasperletheater erinnere, erwidert er, dass er bei dem Begriff an die „ein oder andere Gemeinderatssitzung“ denken müsse.
Dann verwandelt sich Boch in „Timo“, der an der fiktiven RTL-Sendung „Die Stadtentdecker – Pforzheim hautnah“ teilnimmt. Mit blondierten Haaren, Schnauzer und falschen Zähnen geht er als Praktikant in die Betriebe der Stadt und begegnet vielen Mitarbeitern. Als Müllsheriff sucht er nach Abfallsündern, in eine Kita turnt er mit den Kindern. Den pünktlichen Einsatz beim Technischen Dienst verpasst Timo, weil der Bus nicht an der Haltestelle hält. Nach einem kleinen Rüffel fürs Zuspätkommen durch Mitarbeiter Axel Schönthaler repariert er als Praktikant eine kaputte Bank.
Zurück im Rathaus bringt der Boss viele Ideen mit
Auch in anderen Szenen zeigt die Sendung die Realität der Großstadt ungeschminkt: Die Inhaberin einer Bäckerei berichtet von ihrer Angst, abends alleine rauszugehen. Gezeigt werden aber immer wieder die schönen Seiten der Stadt, allen voran sympathische Mitarbeiter und einen authentischen und unterhaltsamen Praktikanten. Weitere Stationen für Timo sind der Rettungsdienst, die Stadtreinigung und die Feuerwehr.
Zurück im Rathaus bringt Boch, jetzt wieder Boss, viele Ideen mit: Klimaanlagen für städtische Fahrzeuge, eine Kita-App, mehr Beleuchtung für öffentliche Plätze, damit das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger steigt, denn Pforzheim sei objektiv die sicherste Großstadt im Land, betont der einstige Polizist.
„Ich wollte herausfinden, wo bei den Menschen der Schuh drückt, was sie umtreibt und wie die von der Stadt begonnenen Projekte so ankommen – und zwar ganz auf Augenhöhe und in anderer Rolle“, resümiert Boch. Insgesamt habe sich der Einsatz für die Stadt sehr gelohnt.
Auch andere Oberbürgermeister hatten ihren TV-Auftritt
Für Rafael Bauschke bietet ein Reality-Format durchaus Chancen für Amtsinhaber, sich gut darzustellen und die Zerrbilder über Bürgermeister gerade zu rücken. Eine solche Show funktioniere auch, wenn der Zuschauer davon ausgeht, dass die ein oder andere Szene vorgeschrieben ist, so der Professor für politische Kommunikation an der Verwaltungshochschule in Ludwigsburg.
Spannend ist die Frage, wie es Boch, der 2025 wiedergewählt werden will , in die Reality-Show geschafft hat. Für die Antwort verweist die Stadt Pforzheim auf RTL. Der Sender allerdings gibt über Produktionsinterna keine Auskunft. Vorteile will die Stadt nun für die Personalgewinnung ziehen und hat eine Marketing-Kampagne gestartet . Slogan: „Bei uns bleibst Du nicht lange undercover – Komm ins Team Pforzheim“.
Doku begleitet Horn, Späth ist Statist bei den Fallers
Auch andere Oberbürgermeister hatten 2024 schon ihren TV-Moment: Ein Doku-Team hat Freiburgs Rathauschef Martin Horn (parteilos) ein Jahr begleitet. „Jung, engagiert und attackiert“ wurde am 13. Juni im SWR ausgestrahlt, 133 000 Menschen schalteten ein. Darin zeigen die Macher die Anfeindungen gegen Politiker. Sie begleiten Horn zum Bundespräsidenten sowie in die ukrainische Partnerstadt Lviv und filmen schwierige Diskussionen mit Bürgern.
Harmonisch ging es dagegen in Baden-Baden zu. Oberbürgermeister Dietmar Späth (parteilos) war im Mai in der Schwarzwald-Serie „Die Fallers“ als Komparse zu sehen. Späth verkörperte allerdings keinen Rathauschef, sondern einen Gast in der Dorfkneipe. Zum Auftritt war er gekommen, weil er noch als Bürgermeister von Muggensturm (Kreis Rastatt) den Drehbuchschreibern der beliebten TV-Reihe Tipps gab, wie die Rolle des Bürgermeisters authentisch rüberkommt.
Kressbronns Bürgermeister gewinnt Wette gegen Gottschalk
Einen vielbeachteten Radio-Auftritt hatte auch Kressbronns Bürgermeister Daniel Enzensperger (CDU) im November 2023. Von einem Anrufer hatte er erfahren, dass im Radio auf SWR3 eine Wette gegen ihn läuft. Moderator Thomas Gottschalk hatte gewettet, dass die Gemeinde am Bodensee es nicht schaffe, den Rathauschef dazu zu bringen, in der Show anzurufen und auf der Trompete die Eurovisionshymne zu spielen.
Hobbymusiker Enzensperger griff zum Hörer und trompetete, die Wette war gewonnen. Der Auftritt habe seine Bekanntheit und die der Gemeinde gesteigert, noch heute würden sich viele daran erinnern, ist er sich rund acht Monate danach sicher. Als Preis erhielt die Gemeinde ein gerahmtes Grußwort für das Rathaus von Thomas Gottschalk.